Normenkette

SGB VII § 104 Abs. 1, § 106 Abs. 3; BGB § 426; RVO §§ 636-637

 

Verfahrensgang

LG Erfurt (Urteil vom 28.03.2001; Aktenzeichen 5 O 761/00)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Erfurt vom 28.3.2001 im Kostenpunkt aufgehoben und i.Ü. wie folgt abgeändert:

Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes ist berechtigt.

2. Das Verfahren wird zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des geltend gemachten Anspruchs sowie die Kosten des Berufungsverfahrens an das LG Erfurt zurückverwiesen.

3. Der Wert der Beschwer wird auf über 60.000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schmerzensgeldansprüche des Klägers, die dieser nach einem Arbeitsunfall gegen die Beklagte erhebt.

Der Kläger war Auszubildender der Firma Dachdeckerfachbetrieb D., mit welcher die Geschäftsführerin der Beklagen als Eigentümerin und Bauherrin des Hauses Große F.-straße 8 in G. im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen einen Werkvertrag über die Erbringung von Dachdecker-, Zimmermanns- und Klempnerarbeiten geschlossen hatte. Für das gleiche Bauvorhaben führte die Beklagte im Auftrag ihrer Geschäftsführerin Abriss- und Aufräumarbeiten durch. Dabei rissen Mitarbeiter der Beklagten die alten Schornsteine ab. Die Deckenöffnungen, die durch den Abriss entstanden, wurden als Entsorgungsöffnungen für den anfallenden Bauschutt genutzt und blieben ungesichert. Am 4.4.1997 stürzte der zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alte Kläger durch die Deckenöffnung des Dachgeschosses ca. 9 m tief bis in das Erdgeschoss.

Der Kläger erlitt bei dem Sturz derart schwere Verletzungen, dass er ohne Aussicht auf Heilung querschnittsgelähmt ist. Er bedarf ständiger ärztlicher und pflegerischer Betreuung und ist in seiner Erwerbsfähigkeit um 100 % gemindert. Aufgrund des Unfalles erhält er aus der gesetzlichen Unfallversicherung eine Verletztenrente und Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Der Arbeitgeber des Klägers und die Geschäftsführerin der Beklagten wurden vom AG Gotha in dem Verfahren AZ.: 602 Js 18821/97 – 6 DS 297/98 wegen fahrlässiger Körperverletzung rechtskräftig verurteilt. Zu Lasten der Geschäftsführerin der Beklagten wurden dabei u.a. folgende Faktoren als unfallursächlich festgestellt:

a) sie unterließ es, dafür Sorge zu tragen, dass der Mitangeklagte D. als Auftragnehmer auf die durch den Schornsteinabriss auf dem Dachboden entstandene Gefahrenquelle hingewiesen wurde;

b) sie veranlasste nicht die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen zu sämtlichen ungesicherten Deckendurchbrüchen.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte habe die ihr obliegenden Verkehrssicherungspflichten verletzt. Sie könne sich nicht auf den Haftungsausschluss nach §§ 106 Abs. 3, 104, 105 SGB VII berufen, da hier keine gemeinsame Betriebsstätte vorgelegen habe.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes angemessenes Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 200.000 DM nebst 4 % Zinsen seit Zustellung der Klage zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Ihrer Auffassung nach habe eine gemeinsame Betriebsstätte vorgelegen, da sowohl sie als auch die Firma D. gemeinsam auf der Baustelle tätig gewesen seien. Als gemeinsames Ziel sei die Bausicherung erfolgt.

Zudem treffe den Kläger ein weitaus überwiegendes Mitverschulden. Außerdem müsse er sich das Unterlassen von Sicherungsmaßnahmen durch seinen Arbeitgeber im Wege des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs entgegenhalten lassen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird gem. § 543 Abs. 2 ZPO auf den Tatbestand des Urteils des LG Erfurt vom 28.3.2001 verwiesen.

Das LG hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass ein etwaiger Schmerzensgeldanspruch des Klägers aus den §§ 823, 847 BGB nach den §§ 106 Abs. 3, 3. Alt., 104 Abs. 1, 105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen sei, weil der Kläger und die Mitarbeiter der Beklagten vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichtet hätten.

Nach der Rspr. des BGH komme es auf ein bewusstes Miteinander im Arbeitsablauf an, welches zwar nicht nach einer rechtlichen Verfestigung verlange, sich aber zumindest als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellen müsse. Dies ergebe sich hier aus dem tatsächlich abgestimmten Zusammenwirken beider Unternehmen, da für die parallele Ausführung der jeweiligen Tätigkeiten eine organisatorische Abstimmung unerlässlich gewesen sei.

Die Mitarbeiter der Beklagten hätten die Schornsteine abgetragen, während der Kläger in die hierdurch entstandenen Durchbrüche Wechsel eingezogen habe. Auch wenn diese Arbeiten nicht gleichzeitig stattgefunden hätten, die Beklagte am Unfalltage vielmehr bereits mit der Schuttbeseitigung befasst gewesen sei, sei dies unschädlich, da die Tätigkeit des Klägers auf denen der Beklagten aufbaute bzw. an diese anknüpfte. Darüber hinaus wären die von der Beklagten geschaffenen Durchbrüche ohne die vom Kläger eingebr...

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