Alexander C. Blankenstein
Die Verkehrssicherungspflicht ist eine deliktsrechtliche Verhaltenspflicht zur Abwehr von Gefahrenquellen, deren Unterlassen zu Schadensersatzansprüchen nach § 823 BGB führen kann. Wer jedenfalls eine Gefahrenquelle schafft oder für sie verantwortlich ist, muss dafür sorgen, dass durch diese niemand einen Schaden erleidet. Jeder, der einen Verkehr eröffnet, ist für dessen Sicherheit verantwortlich. Im Bereich des Wohnungseigentums sind es weite Bereiche des Gemeinschaftseigentums, die einen derartigen "Verkehr" darstellen bzw. ermöglichen:
- Zuwege zur Wohnanlage,
- Zuwege/Zufahrten zur Tiefgarage,
- Rasen- und Gartenflächen,
- Spielplätze/Spielwiesen,
- Treppenhaus,
- Flure.
1.1 BGB
1.1.1 Generalklausel des § 823 Abs. 1 BGB
Haftungsrelevante Generalklausel ist § 823 BGB. Nach § 823 Abs. 1 BGB haftet auf Schadensersatz, wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt. Dem Deliktsrecht des BGB entstammend, hat die Norm hinsichtlich der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten insbesondere Bedeutung für fahrlässiges Unterlassen erforderlicher Sicherungsmaßnahmen.
1.1.2 Verletzung von Schutzgesetzen nach § 823 Abs. 2 BGB
Für den Bereich der Verkehrssicherungspflichten ist auch § 823 Abs. 2 BGB von erheblicher Bedeutung. Hiernach trifft die Schadensersatzpflicht denjenigen, der schuldhaft gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. In weiten Bereichen konkretisieren öffentlich-rechtliche Sicherungs- und Verhaltenspflichten wie Bauvorschriften, Brandschutz-, Sicherheits- und Unfallverhütungsvorschriften die Verkehrssicherungspflicht. Hierbei handelt es sich regelmäßig um Schutzgesetze nach § 823 Abs. 2 BGB. Die Verkehrssicherungspflicht entfällt im Umkehrschluss aber nicht, wenn derartige Bestimmungen fehlen.
1.1.3 Grundstücksbesitzerhaftung
Eine besondere Ausprägung haben die Verkehrssicherungspflichten in § 836 BGB. Wird hiernach insbesondere durch die Ablösung von Teilen des Gebäudes eine Person verletzt oder eine Sache beschädigt, haftet der Grundstücksbesitzer, wenn die Ablösung Folge insbesondere mangelhafter Unterhaltung ist.
1.2 Nachbarrechtliche Regelungen
Unter Nachbarrecht versteht man die Regeln über die Rechtsbeziehungen zwischen Nachbarn an der Grundstücksgrenze. Maßgeblich sind hierfür zunächst die für das gesamte Bundesgebiet geltenden und im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in den §§ 903 bis 924 und 1004 aufgestellten Regeln. Darüber hinaus können die Nachbarrechtsgesetze der Länder Verkehrssicherungspflichten regeln. Nach BGB können folgende Bestimmungen praxisrelevant werden:
- Die nachbarrechtliche Bestimmung des § 908 BGB verleiht dem Grundstücksnachbarn das Recht, vom Grundstückseigentümer diejenigen Maßnahmen zu verlangen, die von einer Ablösung von Teilen des Gebäudes ausgehen können. Es handelt sich letztlich um vorbeugende Maßnahmen einer Haftung nach § 836 BGB.
- Nach § 909 BGB darf ein Grundstück zwar nicht in der Weise vertieft werden, dass der Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche Stütze verliert. Mangels jeglicher Praxisrelevanz ist die Bestimmung für Eigentümergemeinschaften bedeutungslos.
- § 910 BGB verleiht dem Eigentümer eines Grundstücks das Recht zum Abschnitt der Wurzeln von Bäumen und Sträuchern, die vom Nachbargrundstück eingedrungen sind. Entsprechendes gilt für herüberragende Zweige, wenn diese nach Ablauf einer angemessenen Frist vom Grundstücksnachbarn nicht entfernt wurden.
Praxisrelevant kann der Grenzbaum werden. Er ist in § 923 BGB geregelt. Ein Grenzbaum im Sinne dieser Vorschrift ist ein Baum, wenn sein Stamm dort, wo er aus dem Boden heraustritt, von der Grundstücksgrenze durchschnitten wird. Jeder Grundstückseigentümer ist für den ihm gehörenden Teil eines Grenzbaums in demselben Umfang verkehrssicherungspflichtig, wie für einen vollständig auf seinem Grundstück stehenden Baum. Verletzt jeder Eigentümer die ihm hinsichtlich des ihm gehörenden Teils eines Grenzbaums obliegende Verkehrssicherungspflicht, ist für den ihnen daraus entstandenen Schaden eine Haftungsverteilung nach § 254 BGB vorzunehmen.
Die alte Steineiche
Auf der Grundstücksgrenze zweier Eigentümergemeinschaften stand eine alte Steineiche, die seit mehreren Jahren eine verringerte Belaubung sowie totes Holz in der Krone zeigte. Außerdem hatte sich rings um den Stamm der Fruchtkörper eines Pilzes gebildet. Der Baum stürzte schließlich auf das Nachbargebäude. Da beide Eigentümergemeinschaften verkehrssicherungspflichtig waren, hatte jede die Hälfte des Schadens zu tragen.
Wie vorerwähnt, können sich Verkehrssicherungspflichten auch aus den Nachbarrechtsgesetzen der Länder ergeben, wobei diese in aller Regel für Wohnungseigentümergemeinschaften von untergeordneter Bedeutung sind, soweit nicht Bäume betroffen sind (siehe hierzu Kap. D.IV.4.3.2).
1.3 Örtliche Satzungen
Erhebliche Bedeutung für den Umfang der Verkehrssicherungspflichten kommt demgegenüber örtlichen bzw. kommunalen Satzungen zu, bei denen es sich in aller Regel um Schutzgesetze des § 823 Abs. 2 BGB handelt. Von Bedeutung können insbesondere fo...