Alexander C. Blankenstein
Stets ist bei einer Haftung wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten ein Mitverschulden des Geschädigten zu prüfen. Ein Mitverschulden i. S. v. § 254 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn der Geschädigte diejenigen Sorgfaltspflichten missachtet, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eines eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Es handelt sich hierbei um ein Verschulden "gegen sich selbst". Kennt der Geschädigte die Gefahrenquelle sogar oder ist er ggf. selbst für einen gefährlichen Zustand (mit)verantwortlich, so ist ein Mitverschulden unzweifelhaft zu bejahen und es wäre unbillig, ihm gegen den Verkehrssicherungspflichtigen den vollen Schadensausgleich zuzubilligen. Die Verschuldensquote bzw. der anspruchsmindernde Anteil des Mitverschuldens richtet sich nach den individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls.
Sturz von ungesichertem Podest
Zu einer Hochparterrewohnung mit außenseitigem Wohnungszugang führt eine 3-stufige Treppe auf ein etwa 50 cm hohes Podest entlang der Hauswand. Der Bauplan sah ein Geländer an der Außenseite des Podests und entlang der Treppenstufen vor. Diese Restarbeiten wurden aufgrund finanzieller Schwierigkeiten des Bauträgers nicht mehr ausgeführt. Die 71-jährige werdende Eigentümerin wurde vor ihrem Einzug in ihre Wohnung darauf hingewiesen, dass sie diese auf eigenes Risiko benutze, da noch Restarbeiten zu erledigen seien. Nach entsprechender Beschlussfassung beauftragte der Verwalter erst nach etwa 3 Monaten ein Schlosserunternehmen mit der Errichtung des Geländers. In der Zwischenzeit kam, was kommen musste: Die alte Dame stürzte die 3 Treppenstufen hinunter und zog sich erhebliche Verletzungen zu.
Eine Pflichtverletzung des Verwalters und insoweit der GdWE wurde zwar bejaht. Von dem ursprünglich geforderten Schmerzensgeld wurde der Wohnungseigentümerin jedoch nur ein Viertel zugesprochen, denn ein mitwirkendes Verschulden des Verletzten nach § 254 BGB ist als schmerzensgeldmindernder Faktor stets zu berücksichtigen. Die Wohnungseigentümerin kannte die Gefahrensituation und war auch rechtzeitig zur Vorsicht ermahnt worden, sodass ihr Haftungsanteil wesentlich höher als der des Verkehrssicherungsverpflichteten angesetzt werden musste.
Sturz wegen zu kurzen Lichtintervalls
In einem Kellerflur kam es kurz nach Wohnungsübertragung durch den Sohn zum Sturz einer älteren Wohnungseigentümerin wegen zu kurzer Lichtintervallschaltung.
Eine Haftung wurde zwar grundsätzlich bejaht, allerdings war dem Voreigentümer der Vorwurf eines Mitverschuldens zu machen. Dieser hätte die ältere Dame auf die kurze Lichtintervallschaltung als Gefahrenquelle besonders hinweisen müssen.
Sturz in Dornenhecke
Ein 2-jähriges Kind hatte auf dem gemeinschaftlichen Weg zum ebenfalls gemeinschaftlichen Kinderspielplatz Ball gespielt. Als es dem Ball nachgelaufen war, stürzte es mit dem Kopf in die den Weg begrenzende Dornenhecke und zog sich schwerste Augenverletzungen zu.
Eine Haftung wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht wurde dem Grunde nach zwar bejaht. Wegen eines ganz überwiegenden Verschuldens der aufsichtspflichtigen Eltern wurde eine Ersatzpflicht des Verkehrssicherungspflichtigen letztlich aber abgelehnt, weil die Eltern das Kinderspiel entgegen der Zweckbestimmung auf dem Zugangsweg geduldet haben. Sie hatten kein entsprechendes Verbot ausgesprochen. Des Weiteren hatten sie selbst als Wohnungseigentümer nicht auf eine Entfernung der Dornenhecke, z. B. durch entsprechende Antragstellung in der Wohnungseigentümerversammlung, hingewirkt.
Letzteres Beispiel verdeutlicht, dass eine Haftung dem Grunde nach zwar bestehen, eine Einstandspflicht im Hinblick auf ein überwiegendes Eigenverschulden des Geschädigten aber im Einzelfall ganz entfallen kann. Entsprechendes gilt auch im folgenden Fall:
Stolperfalle
Dem mittlerweile 37-jährigen Wohnungseigentümer ist seit seiner Kindheit bekannt, dass im Bereich der Notausgangstreppe der Tiefgarage die oberste Stufe dem Gartenniveau nicht angepasst ist, sondern eine 15 cm hohe Kante aufweist. Beim Verschließen eines Wasserhahns im gemeinschaftlichen Garten ist er wegen dieser Kante die Treppe hinuntergestürzt. Infolge dieses Sturzes ist er zu 100 % berufsunfähig.
Eine Haftung wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten musste vorliegend nicht sonderlich problematisiert werden. Dem Wohnungseigentümer war der Zustand der Treppe seit Jahrzehnten bekannt. Er hatte diesen Umstand niemals zum Thema einer Eigentümerversammlung gemacht. Er hatte auch zu keinem Zeitpunkt den Verwalter auf diesen Zustand hingewiesen. Wenn aber die Wohnungseigentümer über Jahrzehnte diesen Zustand hinnehmen, ohne ihren Verwalter auf eine Stolperkante, die verkehrssicherungspflichtig sein könnte, hinzuweisen, kann ein "verunfallter" Wohnungseigentümer weder den Verwalter noch die GdWE wegen einer "offenkundigen Gefahrenquelle" in Anspruch nehmen.
Können die für ein eventuelles Mitv...