Entscheidungsstichwort (Thema)

Beamtenrecht. Entbehrlichkeit der Durchführung eines Vorverfahrens. Wiederaufgreifen des Verfahrens um die Gewährung einer Beihilfe. Antragsfrist. Wiedereinsetzung. Ermessensentscheidung über die Rücknahme rechtswidriger bestandskräftiger Beihilfebescheide. zur Rechtswidrigkeit der Anrechnung eines Eigenanteils bei Aufwendungen für chronisch Kranke in Dauerbehandlung. Fürsorgepflicht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch in beamtenrechtlichen Rechtsstreitigkeiten ist die Durchführung eines Vorverfahrens entbehrlich, wenn der angefochtene Bescheid noch nicht bestandskräftig ist und es sich als reine Förmelei darstellen würde, den Rechtsschutzsuchenden auf das Widerspruchsverfahren zu verweisen, weil Beklagter und Widerspruchsbehörde identisch sind und der Beklagte sich sachlich auf die Klage eingelassen und deren Abweisung beantragt hat.

2. Zu den Voraussetzungen eines Wiederaufgreifens des Verfahrens um die Gewährung einer Beihilfe, der insoweit zu wahrenden Antragsfrist und einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

3. Zur Ermessensentscheidung über die Rücknahme rechtswidriger bestandskräftiger Beihilfebescheide.

4. Zur Rechtswidrigkeit der Anrechnung eines Eigenanteils bei Aufwendungen für chronisch Kranke in Dauerbehandlung.

 

Normenkette

SVwVfG §§ 51, 48; BRRG § 126 Abs. 3; VwGO § 68 f.

 

Tenor

Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers, die in der Zeit vom 23.10.2003 bis 19.06.2006 ergangenen Beihilfebescheide nach § 48 SVwVfG aufzuheben und ihm zu den mit seinem Antrag vom 23.09.2006 aufgelisteten Aufwendungen von insgesamt 16.708,20 Euro eine weitere Beihilfe von 2.506,23 Euro (15 % dieser Aufwendungen) zu gewähren, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 26.09.2006 und der Bescheid des Beklagten vom 20.11.2006 werden aufgehoben, soweit sie der vorstehenden Verpflichtung entgegenstehen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger und der Beklagte jeweils zur Hälfte zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar; der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe seiner aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ersichtlichen Kostenschuld abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

Der für sich und seine Ehefrau beihilfeberechtigte Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten zum Wiederaufgreifen eines beihilferechtlichen, Aufwendungen seiner Ehefrau betreffenden Verfahrens.

Mit an den Beklagten gerichtetem Schreiben vom 23.09.2006 wandte sich der Kläger dagegen, dass der Beklagte in zurückliegenden Beihilfebescheiden von den Aufwendungen für die Krankengymnastik seiner am 17.01.1937 geborenen Ehefrau jeweils einen Eigenanteil von 15 % in Abzug gebracht hatte. Seinem Schreiben fügte er eine an die Adresse des Beklagten ausgestellte „Ärztliche Bescheinigung zur Feststellung einer schwerwiegenden chronischen Krankheit” des behandelnden Arztes vom 14.06.2006 bei, welche mit einem vom Kläger am 19.06.2006 unterzeichneten „Antrag auf Befreiung von Eigenbehalten bei ärztlich verordneten Heilbehandlungen” verbunden war. In der Bescheinigung heißt es, die Ehefrau des Klägers sei seit dem 30.07.2003 wegen derselben Krankheit (postoperative Nervus ischiadicus-Läsion, Z.n. TEP „= total endo prothese” linke Hüfte, Hypothyreose nach Schilddrüsenresektion, Polymyalgia rheumatica) und darauf beruhender dauerhafter Beeinträchtigung der Lebensqualität in Dauerbehandlung. Gleichzeitig verwies der Kläger auf eine Auflistung nebst Belegen, wonach in der Zeit vom 10.09.2003 bis 13.06.2006 entsprechende Aufwendungen in einer Gesamthöhe von 16.708,20 Euro entstanden seien, von denen der Beklagte mit insgesamt 32 in der Zeit vom 23.10.2003 bis 19.06.2006 ergangenen Beihilfebescheiden jeweils einen 15-prozentigen Abzug (insgesamt also 2.506,23 Euro) vorgenommen habe.

Der Beklagte wertete das Schreiben des Klägers vom 23.09.2006 als gegen die vom Kläger aufgelisteten Beihilfebescheide gerichteten Widerspruch, den er mit Widerspruchsbescheid vom 26.09.2006 zurückwies. Zur Begründung ist ausgeführt, der Widerspruch sei verfristet und damit unzulässig, da der Kläger die jeweilige Widerspruchsfrist von einem Monat versäumt habe. Die Beihilfebescheide hätten somit Bestandskraft erlangt. Für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen keine Anhaltspunkte vor.

Mit an den Beklagten gerichtetem Schriftsatz vom 23.10.2006 machte der Kläger geltend, die Wertung seines Schreibens vom 23.09.2006 als Widerspruch sei rechtsfehlerhaft. Gleichzeitig stellte er unter Bezugnahme auf das genannte Schreiben den förmlichen Antrag, „die im Einzelnen aufgeführten Beihilfebescheide gem. § 51 SVwVfG abzuändern und die Befreiung von Eigenbehalten bei ärztlich verordneten Heilbehandlungen zu gewähren”. Hilfsweise beantragte er, „die insoweit entgegenstehenden Beihilfe...

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