Entscheidungsstichwort (Thema)

Erschließungsbeitrag

 

Nachgehend

BVerwG (Urteil vom 18.11.2002; Aktenzeichen 9 C 2.02)

 

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 1998 und ihr Widerspruchsbescheid vom 5. August 1998 werden aufgehoben.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung eines Erschließungsbeitrags in Höhe von 6.952,47 DM.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Hubertusstraße 59 in Dresden-Pieschen (Flurstück Nr.). Die Beklagte legte im Winter 1993/94 entlang der Hubertusstraße, einer im wesentlichen dem Anliegerverkehr dienenden Straße, auf der West- und der Ostseite jeweils einen Radweg an. Die zwei von der Hubertusstraße abzweigenden, nur wenige Meter langen Sackgassen (Flurstücke Nr.) und Straße erhielten keine Radwege. Die Fahrbahn, die Gehwege, die Beleuchtung und die Straßenentwässerung in der Hubertusstraße waren bereits seit den 30er Jahren fertiggestellt. Ein Bauprogramm für die letztgenannten Maßnahmen liegt nicht vor.

Die Beklagte sah die Hubertusstraße zusammen mit den beiden kurzen Sackgassen als einheitliche Erschließungsanlage an. Am 11. August 1994 nahm das Dezernat Stadtentwicklung und Bau der Beklagten eine Abschnittsbildung in bezug auf die Hubertusstraße vor; die Sackgassen blieben als unselbständige Straßenbestandteile ausgenommen. Der Stadtrat der Beklagten hat dem Oberbürgermeister die Zuständigkeit für die Abschnittsbildung nicht durch einen besonderen Beschluß übertragen.

Mit Bescheid vom 2. Juni 1998 zog die Beklagte die Klägerin zu dem Erschließungsbeitrag in der genannten Höhe heran. Ihren Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. August 1998 zurück.

Die Klägerin hat am 13. August 1998 Klage erhoben. Sie trägt vor, daß nach § 242 Abs. 9 Satz 1 BauGB von ihr kein Erschließungsbeitrag gefordert werden könne, weil die Hubertusstraße vor dem 3. Oktober 1990 bereits hergestellt gewesen sei. Radwege seien in Dresden früher weder in technischen Ausbauprogrammen vorgesehen gewesen noch hätten sie den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprochen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 1998 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 5. August 1998 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die Radwege seien vor dem 3. Oktober 1990 noch nicht hergestellt gewesen. § 242 Abs. 9 Satz 1 BauGB lasse daher die Erhebung eines auf sie bezogenen Erschließungsbeitrags zu, weil nach dieser Vorschrift gerade Teile von Erschließungsanlagen gesondert betrachtet werden dürften.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Erschließungsbeitragsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin dadurch in ihrem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Beklagte kann die Klägerin hinsichtlich der Kosten der Herstellung der Radwege entlang der Hubertusstraße nicht zu einem Erschließungsbeitrag heranziehen, weil es dafür hier an einer gesetzlichen Ermächtigungsnorm fehlt (I). Der Bescheid ist auch von den landesgesetzlichen Vorschriften über die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen nicht gedeckt (II).

I. Die Anforderung eines Erschließungsbeitrags bedarf als Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 15 SächsVerf geschützte Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach dem Vorbehalt des Gesetzes einer förmlich-gesetzlichen Grundlage. Die nach § 132 BauGB erforderliche gemeindliche Satzung stellt für sich genommen keine hinreichende Ermächtigungsnorm für den Beitragsbescheid dar, weil grundrechtsrelevante Satzungen ihrerseits auf einer vom staatlichen Gesetzgeber erlassenen Regelung beruhen müssen, die den grundrechtsbeschränkenden Akt bereits inhaltlich vorprägt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 7.9.1992, BVerwGE 90, 359 (363)). Als derartige gesetzliche Grundlagen sind hier allein die §§ 127 Abs. 3 und 242 Abs. 9 BauGB in Betracht zu ziehen, die die Beitragserhebung für Teile von Erschließungsanlagen zum Gegenstand haben. Damit sind Teileinrichtungen gemeint, die sich durch die gesamte Länge der Erschließungsanlage, regelmäßig einer öffentlich zum Anbau bestimmten Straße (§ 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB), ziehen (MVOVG, Beschl. v. 3.3.1996, DVBl. 1997, 501 (503)). Darunter fallen auch Radwege. Der streitgegenständliche Bescheid findet indes weder in § 127 Abs. 3 BauGB noch in § 242 Abs. 9 BauGB eine Stütze.

1. Die sich speziell mit der Erhebung von Erschließungsbeiträgen im Beitrittsgebiet befassende Vorschrift des § 242 Abs. 9 BauGB scheidet als gesetzliche Grundlage entgegen einer Literaturmeinung (Driehaus, in: ders. (Hrsg.), Kommunalabgabenrecht, Kommentar, Stand 1999, § 8 Rn. 218 a ff.; ders., Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 5. Aufl. 1999, § 2 Rn. 37 ff.) von vornherein aus, weil sie keine Ermächtigung zum Erlaß von Beitragsbescheiden enthält, sondern gerade umgekehrt die Erhebung von Erschl...

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