rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Familiäre Lebensgemeinschaft. Pflegefamilie. Pflegeeltern. Großeltern. Sorgerecht. Sorgerechtsübertragung. Familiennachzug. Duldung. Abschiebungshindernis. Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung
Leitsatz (amtlich)
1.
- Auch die familiäre Lebensgemeinschaft in einer Pflegefamilie kann ein Abschiebungshindernis aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK begründen, das zu einem Duldungsanspruch gem. § 55 Abs. 2 AuslG und zu einem Ausreisehindernis i.S. von § 30 Abs. 3 AuslG führt.
- Die familiäre Lebensgemeinschaft in der Pflegefamilie (hier zwischen dem ausländischen Großvater und seiner deutschen Enkeltochter) ist nicht deshalb weniger schutzwürdig, weil das Sorgerecht gem. § 1630 Abs. 3 BGB mit Einverständnis der leiblichen Mutter und ohne gerichtliche Entziehung des Sorgerechts auf die Pflegeeltern (hier die Großeltern) übertragen wurde.
- Im Einzelfall kann ausnahmsweise auch der Familiennachzug erwachsener Ausländer zulässig sein, wenn diese in einer langjährigen familiären Lebensgemeinschaft ein deutsches Kind erzogen haben und im Interesse des Kindeswohles diese Familiengemeinschaft fortgeführt werden soll.
2. Zum dauerhaften Abschiebungshindernis als Ausnahmefall vom Regelversagungsgrund des Sozialhilfebezugs (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AuslG).
3. Zur fehlerfreien Ermessensausübung im Rahmen von § 30 Abs. 3 und § 7 Abs. 2 AuslG im Hinblick auf den Sozialhilfebezug einerseits und andererseits das Interesse an einer längerfristigen Aufenthaltsperspektive, um einen Arbeitsplatz zu finden.
Normenkette
GG Art. 6 Abs. 1; EMRK Art. 8; AuslG § 7 Abs. 2, § 30 Abs. 3, § 55 Abs. 2; BGB § 1630 Abs. 3
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 26.08.2005; Aktenzeichen 11 S 879/04) |
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis.
Er ist am xx.xx.1953 geboren, serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger und albanischer Volkszugehöriger aus dem Kosovo. Er reiste am xx.xx.1993 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Dieser Asylantrag wurde durch Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) vom xx.xx.1994 abgelehnt. Die hiergegen erhobene Klage wurde vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Urteil vom xx.xx.1996 (xxx) unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils abgewiesen; dieses Urteil wurde am xx.xx.1996 rechtskräftig. Seither wird der Kläger ausländerrechtlich geduldet. Mehrere Asylfolgeanträge des Klägers blieben ebenfalls erfolglos.
Mit Schreiben vom 27.08.2001 beantragten der Kläger, seine Ehefrau und zwei minderjährige Kinder beim Landratsamt Bodenseekreis, „ihm eine Aufenthaltsgenehmigung, wohl in Form einer Aufenthaltsbefugnis zu erteilen”. Er befinde sich seit 1994 ununterbrochen in Deutschland und habe einen Arbeitgeber, der ihn in seinem Unternehmen benötige und ihn ab Oktober 2001 vollzeitig beschäftigen könne. Er sei seit August 2000 wegen einer Depression in ärztlicher Behandlung. Außerdem habe er eine am 29.08.1999 geborene Enkeltochter namens A., die deutsche Staatsangehörige sei und von ihm und seiner Ehefrau betreut werde.
Mittlerweile wurde dem Kläger und seiner Ehefrau durch Beschluss des Amtsgerichts Ü. vom 08.11.2002 gemäß § 1630 Abs. 3 BGB die elterliche Sorge für diese Enkeltochter übertragen. Zur Begründung der Sorgerechtsübertragung hat das Amtsgericht ausgeführt, A. lebe seit April 2001 bei den Großeltern, also dem Kläger und seiner Ehefrau, in Familienpflege im Sinne des § 1630 Abs. 3 BGB und werde von diesen zusammen mit deren jüngstem Kind betreut und großgezogen. Demgegenüber lebe und arbeite die Mutter in P., so dass sie sich, von Wochenendbesuchen abgesehen, nicht selbst um A. kümmern könne. Auch der Vater des Kindes sei berufsbedingt viel außer Haus.
Bereits mit Bescheid vom 12.02.2002 lehnte das Landratsamt Bodenseekreis den Antrag des Klägers, seiner Ehefrau und der beiden Kinder auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis ab und setzte hierfür eine Gebühr in Höhe von 60,00 EUR fest. Auf die Anordnung des Innenministeriums nach § 32 AuslG über Regelungen für erwerbstätige Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina und der Bundesrepublik Jugoslawien vom 15. Juni 2001 könne sich der Kläger nicht berufen, weil er seinen Lebensunterhalt zum Stichtag nicht aus eigenen Mitteln bestritten, sondern Sozialhilfe bezogen habe. Außerdem sei er in einer Asylbewerberunterkunft untergebracht und verfüge somit nicht über ausreichend Wohnraum im Sinne dieser Anordnung des Innenministeriums. Auf § 30 AuslG könne er sich nicht berufen, weil ihm die freiwillige Ausreise in das Kosovo möglich sei. Außerdem bezögen der Kläger und seine Familie derzeit ergänzende Sozialhilfe in Höhe von 800,00 EUR und verwirklichten damit den Regelversagungsgrund des Ausweisungsgrundes und der mangelnden Bestreitung des Lebensunterhalts. Ein Ausnahmefall von diesen Regelversagungsgründen sei nicht zu erkennen. Die Voraussetzungen eines Familie...