Alexander C. Blankenstein
1.2.3.1 Einführung
Nachdem am 17.10.2024 das "Gesetz zur Zulassung virtueller Wohnungseigentümerversammlungen, zur Erleichterung des Einsatzes von Steckersolargeräten und zur Übertragbarkeit beschränkter persönlicher Dienstbarkeiten für Erneuerbare-Energien-Anlagen" in Kraft getreten ist, besteht die zeitlich befristete Möglichkeit einer Beschlussfassung über die rein virtuelle Durchführung von Wohnungseigentümerversammlungen.
Zunächst sieht § 23 Abs. 1a Satz 1 WEG vor, dass die Wohnungseigentümer mit einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln der abgegebenen Stimmen beschließen können, dass die Versammlungen innerhalb eines Zeitraums von längstens 3 Jahren ab Beschlussfassung ohne physische Präsenz der Wohnungseigentümer und des Verwalters an einem Versammlungsort stattfinden oder stattfinden können.
Wortlaut des § 23 Abs. 1a WEG
"Die Wohnungseigentümer können mit mindestens drei Vierteln der abgegebenen Stimmen beschließen, dass die Versammlung innerhalb eines Zeitraums von längstens drei Jahren ab Beschlussfassung ohne physische Präsenz der Wohnungseigentümer und des Verwalters an einem Versammlungsort stattfindet oder stattfinden kann (virtuelle Wohnungseigentümerversammlung). Die virtuelle Wohnungseigentümerversammlung muss hinsichtlich der Teilnahme und Rechteausübung mit einer Präsenzversammlung vergleichbar sein."
Allerdings sieht die Übergangsregelung des § 48 Abs. 6 WEG bis 2028 die Pflicht zur Durchführung einer jährlichen Präsenzversammlung vor, wenn die Wohnungseigentümer hierauf nicht durch einstimmigen Beschluss verzichten und der Beschluss über die Möglichkeit virtueller Eigentümerversammlungen vor dem 1.1.2028 gefasst wurde.
Wortlaut des § 48 Abs. 6 WEG
"Fassen die Wohnungseigentümer vor dem 1. Januar 2028 einen Beschluss nach § 23 Absatz 1a, ist bis einschließlich 2028 mindestens einmal im Jahr eine Präsenzversammlung durchzuführen, sofern die Wohnungseigentümer hierauf nicht durch einstimmigen Beschluss verzichten. Ein Verstoß gegen diese Pflicht führt nicht zur Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der in einer virtuellen Wohnungseigentümerversammlung gefassten Beschlüsse"
Die Möglichkeit der Durchführung rein virtueller Eigentümerversammlungen bietet sowohl für Verwalter als auch für Wohnungseigentümer unbestreitbare Vorteile (auch) gegenüber einer hybriden Versammlung. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass zur Durchführung der Versammlung keine Versammlungsräume mehr angemietet werden müssen sowie Zeit und Kosten der An- und Abreise entfallen. Bei beschlossener Ermöglichung der Teilnahme in elektronischer Form entfallen auch die Kosten für die im Versammlungsraum erforderliche Technik zur Ermöglichung der Online-Teilnahme.
Nachteilig kann die rein virtuelle Durchführung von Eigentümerversammlungen für technisch nicht versierte und insbesondere betagte Wohnungseigentümer sein. Insoweit ist aber zu berücksichtigen, dass diese Wohnungseigentümer an der Teilnahme im Hinblick auf die Willensbildung nicht ausgeschlossen sind, weil sie entweder Vertretungsvollmacht erteilen können oder gegebenenfalls die Möglichkeit haben, bei einem anderen Wohnungseigentümer im Rahmen einer Art "Nachbarschaftshilfe" an der Versammlung teilzunehmen.
Einfügen neue Grafik: Rein virtuelle Versammlungen nach § 23 Abs. 1a WEG
Versammlungen in Präsenz, hybrid oder virtuell
Die bereits bestehende Kompetenz einer einfachmehrheitlichen Beschlussfassung über die Ermöglichung der Online-Teilnahme an Präsenzversammlungen (Hybrid-Versammlung) besteht unverändert fort.
Die Wohnungseigentümer haben künftig also die Wahl, Eigentümerversammlungen
- in Präsenz,
- hybrid oder
- rein virtuell
durchzuführen.
1.2.3.2 Erforderliche Mehrheit
Der Beschluss über die Ermöglichung der Durchführung virtueller Eigentümerversammlungen erfordert eine Mehrheit von mindestens drei Vierteln der abgegebenen Stimmen. Abgestellt wird also, wie sonst auch, auf das Quorum der in der beschlussfassenden Versammlung anwesenden Wohnungseigentümer. Ebenso wie sonst auch, erfolgt die Abstimmung nach dem jeweils geltenden Stimmprinzip, also dem Kopfprinzip des § 25 Abs. 2 WEG oder einem hiervon abweichend vereinbarten Stimmprinzip (etwa nach Objekten oder Miteigentumsanteilen).
Bei allem bleibt stets zu berücksichtigen, dass nach § 25 Abs. 1 WEG jede Versammlung beschlussfähig ist, soweit nur ein Eigentümer anwesend oder vertreten ist. Da auf die Mehrheit der in der Versammlung abgegebenen Stimmen abgestellt wird, könnte im Fall geringer Teilnahmezahl ggf. eine Minderheit die Einführung der virtuellen Wohnungseigentümerversammlung beschließen, so sie nur die 75%-Grenze der in der Versammlung anwesenden Wohnungseigentümer erreicht. Allerdings ist die Beschlussfassung im Ladungsschreiben anzukündigen und angesichts der Bedeutung des Beschlussgegenstands damit zu rechnen, dass eine Vielzahl der Wohnungseigentümer an der Versammlung teilnehmen oder zumindest Stimmrechtsvollmacht erteilen wird.