Alexander C. Blankenstein
Sachlicher Anwendungsbereich
Fassen die Wohnungseigentümer vor dem 1.1.2028 einen Beschluss über die Durchführung der Eigentümerversammlungen in rein virtueller Form, muss nach § 48 Abs. 6 WEG bis einschließlich 2028 mindestens einmal im Jahr eine Präsenzversammlung durchgeführt werden. Hierauf können die Wohnungseigentümer nur durch einen einstimmigen Beschluss verzichten. Wird ein entsprechender Beschluss nicht gefasst und werden ausschließlich virtuelle Eigentümerversammlungen durchgeführt, führt dies aber nicht zur Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit der in der virtuellen Versammlung gefassten Beschlüsse.
Vereinbarte virtuelle Eigentümerversammlungen
Regelt eine Vereinbarung der Wohnungseigentümer (etwa die Gemeinschaftsordnung) die Möglichkeit der Durchführung von Eigentümerversammlungen in virtueller Form, ist die Bestimmung des § 48 Abs. 6 WEG insgesamt nicht anwendbar. Ihr Anwendungsbereich ist beschränkt auf Beschlüsse, mit denen die Wohnungseigentümer die Möglichkeit der Durchführung von Eigentümerversammlungen in virtueller Form regeln.
Zeitlicher Anwendungsbereich
Die Vorschrift des § 48 Abs. 6 Satz 1 WEG gilt ausschließlich für Beschlüsse über die Durchführung rein virtueller Eigentümerversammlungen, die vor dem 1.1.2028 beschlossen wurden. Wird ein derartiger Beschluss also erst im Jahr 2028 gefasst, besteht keine Pflicht zur Durchführung mindestens einer jährlichen Präsenzversammlung.
Beschlussfassung im November 2024
Nach Inkrafttreten der Neuregelungen beschließen die Wohnungseigentümer im November 2024, in den nächsten 3 Kalenderjahren 2025, 2026 und 2027 Wohnungseigentümerversammlungen rein virtuell durchzuführen.
Gemäß § 48 Abs. 6 Satz 1 WEG muss in den Jahren 2025, 2026 und 2027 dennoch mindestens eine Eigentümerversammlung als Präsenzversammlung durchgeführt werden.
Beschlussfassung im Jahr 2026
Die Wohnungseigentümer beschließen im Jahr 2026 die Wohnungseigentümerversammlungen der Jahre 2027, 2028 und 2029 virtuell durchzuführen.
Mindestens eine Präsenzversammlung muss in den Jahren 2027 und 2028 durchgeführt werden. Im Jahr 2029 muss hingegen keine Präsenzversammlung mehr durchgeführt werden, da der Geltungsbereich des § 48 Abs. 6 Satz 1 WEG bis 2028 beschränkt ist.
Verzichtsbeschluss
Auf die Durchführung mindestens einer Präsenzversammlung können die Wohnungseigentümer durch einstimmigen Beschluss verzichten. Für den Verzicht ist also ein weiterer Beschluss erforderlich. Einstimmigkeit liegt dann vor, wenn keine Gegenstimme gegen den Beschlussantrag abgegeben wird. Stimmenthaltungen spielen also keine Rolle, weil sie ohnehin als Nichtteilnahme am Abstimmungsvorgang gewertet werden. Der sich seiner Stimme enthaltende Wohnungseigentümer wird also so behandelt wie ein abwesender Eigentümer, der auch keine Stimmrechtsvollmacht erteilt hat. Abgestellt wird im Übrigen auf die in der Eigentümerversammlung anwesenden Wohnungseigentümer.
Nach Sinn und Zweck der Regelung kann der Verzichtsbeschluss nicht im Rahmen einer virtuellen Eigentümerversammlung gefasst werden. In diesem Fall könnten gerade diejenigen Wohnungseigentümer nicht an der Abstimmung teilnehmen, denen eine unmittelbare virtuelle Versammlungsteilnahme aus welchen Gründen auch immer nicht möglich ist.
Pflichtverstoß
Haben die Wohnungseigentümer vor dem 1.1.2028 die Durchführung der Eigentümerversammlungen in rein virtueller Form beschlossen, wird aber gegen die Verpflichtung zur Durchführung mindestens einer Präsenzversammlung pro Jahr verstoßen, weil hierauf nicht durch einstimmigen Beschluss verzichtet wurde, führt dies nach § 48 Abs. 6 Satz 2 WEG weder zur Anfechtbarkeit noch zur Nichtigkeit der in der virtuellen Eigentümerversammlung gefassten Beschlüsse. In dieser Hinsicht hat ein Pflichtverstoß keine Konsequenzen.
§ 48 Abs. 6 Satz 1 WEG verleiht den Wohnungseigentümern aber einen klagbaren Anspruch auf Durchführung mindestens einer Präsenzversammlung pro Jahr. Wurde also etwa die ordentliche Wohnungseigentümerversammlung virtuell abgehalten und wurden in dieser die Beschlüsse der laufenden Verwaltung wie insbesondere über die Festsetzung der Vorschüsse auf Grundlage des Wirtschaftsplans, der Einforderung von Nachschüssen bzw. der Anpassung von Vorschüssen auf Grundlage der Jahresabrechnung gefasst, ggf. daneben Beschlüsse über bestimmte Erhaltungsmaßnahmen oder auch die (Wieder-)Bestellung des Verwalters, bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung rein formal begründete Begehren auf Einberufung einer Präsenzversammlung behandeln wird, in der es für eine Beschlussfassung keinen Anlass gibt. In diesem Zusammenhang wird die Rechtsprechung auch zu klären haben, ob Wohnungseigentümer die Durchführung der ordentlichen Wohnungseigentümerversammlung in virtueller Form etwa durch einstweilige Verfügung untersagen lassen können. Dies scheint zwar wenig wahrscheinlich, kann aber nicht ausgeschlossen werden.