1 Leitsatz
Ist eine angegriffene Entscheidung auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, setzt die Zulassung der Berufung voraus, dass für jeden dieser Gründe die Zulassungsvoraussetzungen entsprechend den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt werden.
2 Normenkette
§ 917 BGB; §§ 42 Abs. 2, 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO
3 Das Problem
Teileigentümer K wendet sich gegen 2 Baugenehmigungen, die Teileigentümer B für das in Teileigentum aufgeteilte Grundstück erteilt wurden (Neubau eines Hotels bzw. eines Bürogebäudes). K ist der Auffassung, die Baugenehmigungen seien rechtswidrig, weil sie ihn aufgrund unzureichender Erschließung der im Sondereigentum von B stehenden Räume und einer Fläche, an der B ein Sondernutzungsrecht zustehe, gem. § 917 BGB zur Duldung eines Notwegerechts zwängen.
Das VG weist die Klage als unzulässig ab! K fehle bereits die Klagebefugnis i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO. Sondereigentum nach dem WEG schließe die Geltendmachung öffentlich-rechtlicher Nachbarschutzrechte innerhalb der Gemeinschaft der Miteigentümer ein- und desselben Grundstücks aus. Insoweit enthalte das WEG spezielle, den Inhalt des Sondereigentums bestimmende, materielle und verfahrensrechtliche Regelungen. K sei daher gehalten, seine Abwehransprüche gegen B in einem bereits anhängigen zivilrechtlichen Verfahren weiter zu betreiben.
Dagegen wendet sich K mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung. Er ist der Auffassung, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung und das VG-Urteil sei verfahrensfehlerhaft. Er hält es für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob "ein belasteter Sondereigentümer einer Mehrhausanlage im Ausnahmefall der notwegerheblichen Rechtswidrigkeit einer Baugenehmigung zugunsten eines Sondereigentümers einer angrenzenden Sondernutzungsfläche desselben WEG-Grundstücks in einer öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzklage klagebefugt i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO" ist. Sein Fall stelle einen Ausnahmefall der notwegerheblichen Rechtswidrigkeit einer Baugenehmigung dar, für den das Zivilrecht in Form des Wohnungseigentumsgesetzes keinen – vollständigen – Drittschutz gewähre, weshalb es auch keine Überlagerung bzw. Verdrängung etwaiger öffentlich-rechtlicher Drittschutzansprüche durch das Zivilrecht geben könne.
4 Die Entscheidung
Ohne Erfolg! Die von K als grundsätzlich erachtete Frage sei jedenfalls nicht entscheidungserheblich. Denn das VG habe nicht nur auf einen Vorrang des Zivilrechts erkannt und deutliche Zweifel geäußert, ob die Einräumung eines Notwegerechts zugunsten des B (und damit die Duldung dieses Rechts durch K) überhaupt erforderlich sei. Es habe darüber hinaus in einer weiteren Begründung – selbstständig tragend – festgestellt, die im Streit stehenden Baugenehmigungen seien für die mögliche Entstehung eines Notwegerechts nicht ursächlich. Insoweit habe das VG darauf hingewiesen, die "notwendige Verbindung" i. S. v. § 917 BGB sei bereits aufgrund der Teilungserklärung samt Gemeinschaftsordnung entfallen, weshalb es an der notwendigen Kausalität zwischen der Erteilung der Baugenehmigung und der Entstehung eines Notwegerechts fehle. Damit habe sich K nicht auseinandergesetzt.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall hat die zuständige Baubehörde einem Teileigentümer 2 Baugenehmigungen erteilt, auf dem in Teileigentum aufgeteilten Grundstück zu bauen. Gegen diese Baugenehmigungen geht ein anderer Teileigentümer vor. Er meint, die Baugenehmigungen würden seine Rechte verletzen. Fraglich ist, ob der Kläger die von ihm angenommene Rechtsverletzung im Verwaltungsrechtsweg verfolgen kann.
Die VGH-Lösung
Der VGH löst die Fallfrage prozessual und gibt in der Sache keine Antworten. Das VG habe 2 Begründungen geboten, warum die Baugenehmigungen nicht zu beanstanden seien. Der Kläger habe sich mit der Berufung aber nur mit einer Begründung befasst. Das reiche nicht. Und das stimmt. In der ZPO gilt nichts anderes.
6 Entscheidung
VGH München, Beschluss v. 21.2.2022, 9 ZB 20.2910