AG Köln: Ehepaar darf einzige Straße zu seinem Haus nicht benutzen
In einem kuriosen Rechtsstreit hat das, aus der Außensicht auf den ersten Blick etwas starrsinnig wirkende Verhalten eines Kölner Ehepaars zu dem paradoxen Ergebnis geführt, dass die Eheleute die einzige zu ihrem Grundstück führende Stichstraße weder begehen noch befahren dürfen. Für den Fall der Zuwiderhandlung droht ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 EUR oder Ordnungshaft.
Private Stichstraße ist einzige Anbindung an das Straßennetz
Die Streitigkeiten zwischen dem Ehepaar und einer Immobiliengesellschaft schwelen seit Jahren. Die Immobiliengesellschaft ist Eigentümerin einer Stichtrasse, die als einzige Verbindung zum öffentlichen Straßenwegenetz zu diversen Hausgrundstücken führt. Eines dieser Hausgrundstücke gehört dem Ehepaar.
Untersagung der Straßennutzung durch Immobiliengesellschaft
Nach diversen Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Verlegung eines Gasanschlusses zum Grundstück des Ehepaars und dem hierfür erforderlichen Aufriss der Straße untersagte die Immobiliengesellschaft dem Ehepaar die Nutzung der Straße komplett, d.h. weder mit ihrem Fahrzeug noch zu Fuß dürfen die beiden die Straße nutzen, um zu ihrem Grundstück zu gelangen oder dieses zu verlassen.
Persönlich motivierter Privatkrieg
Da die Eheleute sich an das Nutzungsverbot nicht hielten, ihr Fahrzeug auf der Stichstraße weiterhin parkten und nach weiteren, auch persönlich heftigen Streitigkeiten mit dem Geschäftsführer der Gesellschaft, stellte die Immobiliengesellschaft Poller auf, um die Nutzung der privaten Straße durch Nichtberechtigte zu verhindern. Die übrigen Anlieger der Straße erhielten Schlüssel zum vorübergehenden Entfernen der Poller, die beiden Eheleute nicht.
Nutzungsuntersagung unter Androhung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft
Da es weiterhin zu unbefugtem Betreten und Befahren der Straße durch die Eheleute kam und hierbei einige der Poller beschädigt wurden, verklagte die Immobiliengesellschaft die beiden Eheleute vor dem AG. Dieses untersagte dem Ehepaar darauf antragsgemäß die unbefugte Nutzung der Straße und drohte für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft an.
Auch Verwandte dürfen nicht mehr über die Straße zu Besuch kommen
Das Gericht bewertete die Nutzung der Straße durch das Ehepaar als unzulässige Besitzstörung und verbotene Eigenmacht gemäß §§ 861 Abs. 1, 862 BGB. Dies gelte nicht nur, wenn sie selbst die der Klägerin gehörende Straße widerrechtlich betreten oder befahren, sondern in mittelbarer Form auch für das Betreten und Befahren durch Zulieferer oder durch Freunde und Bekannte, die zu Besuch kommen. Das Hausgrundstück der Beklagten ist mit dieser Entscheidung von der Außenwelt völlig isoliert.
Einfacher Ausweg aus dem Dilemma: Das Notwegerecht
Eine Nutzung der Stichstraße durch die Beklagten ist nach der Entscheidung des Gerichts durch keinen Gestattungstatbestand gerechtfertigt. Grundlage für eine Gestattung könne das Notwegerecht gemäß § 917 BGB sein. Das Problem sei aber, dass die Beklagten ein solches Notwegerecht nicht geltend gemacht hätten. Das in § 917 BGB geregelte Notwegerecht entstehe nicht automatisch, wenn einem Grundstück die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt. Vielmehr stelle das Verlangen nach Einräumung eines Notwegerechts nach gefestigter Rechtsprechung ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal des § 917 BGB dar (BGH, Urteil v. 19.4.1985, V ZR 152/83).
Trotz Gerichtshinweises kein Notwegerecht geltend gemacht
Das Gericht warf den Beklagten vor, sich trotz eines ausdrücklichen und ausführlichen Hinweises des Gerichts nicht auf ein Notwegerecht berufen zu haben. In ihrer Klageerwiderung hätten sie bereits mitgeteilt, nicht bereit zu sein, mit der Klägerin einen Gestattungsvertrag abzuschließen. Auch später hätten sie die Einräumung eines Notwegerechts nicht verlangt, obwohl das Gericht ihnen ausdrücklich aufgegeben hatte, dies spätestens bis zum Gerichtstermin klarzustellen.
Beklagte wollen kein - eventuell kostenpflichtiges - Notwegerecht
Die Beklagten hatten sich auf den Standpunkt gestellt, der Voreigentümer ihres Grundstücks habe bereits Erschließungsbeiträge an die Stadt gezahlt. Die Stadt Köln habe daher für eine ordnungsgemäße Zugangsmöglichkeit zu ihrem Grundstück zu sorgen. Für die Einräumung eines Notwegerechts könnten Sie gegebenenfalls gemäß § 917 Abs. 2 BGB zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet werden. Hierzu seien sie nicht bereit.
Ist paradoxes Prozessergebnis Folge der Sturheit der Beklagten?
Diese Argumentation überzeugte das AG nicht. Wörtlich stellte das Gericht fest: „Wenn die Beklagten aber - aus welchen Motiven auch immer - diejenigen Erklärungen, die ihnen möglicherweise zum Prozesserfolg verhelfen könnten, nicht abgeben wollen, ist dies ihr gutes Recht, sie tragen dann aber die rechtlichen Konsequenzen“.
Wer das Notwegerecht nicht verlangt, bekommt es auch nicht
Andere Rechtsgrundlagen, die den Beklagten das Betreten bzw. Befahren der Stichstraße im konkreten Fall gestatten könnten, fand das AG nicht. Insoweit stellte das Gericht fest, dass das Notwegerecht in § 917 BGB eine abschließende Regelung für den Fall enthält, dass Grundstückseigentümer keine ordnungsgemäße Verbindung zum öffentlichen Straßen- und Wegenetz haben. Wer die Einräumung eines Notwegerechts aber nicht verlange, der habe es auch nicht.
Vielleicht kommt die Stadt Köln dem Ehepaar noch zu Hilfe
Schließlich wies das Gericht darauf hin, dass es auf die historischen Hintergründe, die zu der im Ergebnis auch nach Auffassung des Gerichts „unsinnigen“ aktuellen Situation geführt haben, nicht ankommt. Insbesondere sei es für das Rechtsverhältnis der Parteien unerheblich, dass die Stadt Köln aus einem 50 Jahre alten Erschließungsvertrag gegenüber der Immobiliengesellschaft einen Anspruch auf Übertragung des Eigentums an dem streitigen Straßengrundstück habe. Aus welchen Gründen die Stadt dieses Recht bisher nicht umgesetzt habe, spiele für die Entscheidung dieses Rechtsstreits keine Rolle. Laut „Kölner Stadtanzeiger“ hat die Stadt Köln inzwischen mitgeteilt, die Stichstraße in absehbarer Zeit öffentlich widmen zu wollen.
Urteil noch nicht rechtskräftig
Das Urteil des AG ist noch nicht rechtskräftig. Die Beklagten haben gegen das Urteil Berufung eingelegt.
(AG Köln, Urteil v. 3.1.2024, 149 C 520/23)
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