Die Nachzahlung von Mietschulden beseitigt eine ordentliche Kündigung nicht
In einer aktuellen Entscheidung hat sich der BGH zum wiederholten Mal mit der Auslegung der mietrechtlichen Schonfristregelung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB befasst. Die Vorschrift gewährt einem säumigen Mieter die Möglichkeit, im Falle einer außerordentlichen Kündigung die Wirkung der Beendigung des Mietverhältnisses dadurch zu beseitigen, dass er den kompletten Zahlungsrückstand innerhalb einer Frist von 2 Monaten nach Rechtshängigkeit der Räumungsklage ausgleicht.
Die 66. Kammer des LG Berlin II widersetzt sich der BGH-Rechtsprechung
Die gesetzliche Schonfristregelung betrifft nach der Rechtsprechung des BGH ausschließlich die Rechtsfolgen einer außerordentlichen Kündigung und beseitigt nicht die Beendigungswirkung einer daneben oder hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung (zuletzt: BGH, Urteil v. 5.10.2022, VIII ZR 307/21). Die deutschen Zivilgerichte folgen dieser Rechtsauslegung des BGH mit einer Ausnahme. Bereits seit einigen Jahren widersetzt sich die 66.Kammer des LG Berlin II hartnäckig der BGH-Rechtsprechung zur Nachzahlung von Mietschulden innerhalb der Schonfrist. Im Rahmen eines Revisionsverfahrens gegen ein einschlägiges Urteil des LG Berlin hat der BGH nun seine bisherige Linie erneut bekräftigt.
Fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs
Die beklagten Mieter des vom BGH entschiedenen Räumungsrechtsstreits waren mit 3 Monatsmieten in Rückstand. Darauf erklärte der Vermieter nach mehrfachen Mahnungen die fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs. Bereits deutlich vor Ablauf der gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB vorgesehenen Nachzahlungsfrist von 2 Monaten nach Rechtshängigkeit der Räumungsklage glichen die Beklagten den Rückstand vollständig aus.
Räumungsklage vom Berufungsgericht abgewiesen
Erstinstanzlich hatte das Amtsgericht (AG) der Räumungsklage des Vermieters aufgrund der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses stattgegeben. Das AG folgte mit dieser Entscheidung der Rechtsprechung des BGH. Die 66. Kammer des LG Berlin II blieb in der Berufungsinstanz bei ihrer bereits mehrfach in Urteilen vertretenen Rechtsauffassung, wonach eine vollständige Nachholung der rückständigen Mietzahlungen innerhalb der Frist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB auch die Wirkungen einer ordentlichen Kündigung beseitigt. Demgemäß hat das LG in der Berufungsinstanz das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Räumungsklage des Vermieters abgewiesen.
LG Berlin missachtet Willen des Gesetzgebers
Die Revision des Vermieters hatte beim BGH Erfolg. Der VIII. Senat bekräftigte seine Rechtsprechung, wonach die Nachzahlung der Mietschulden innerhalb der Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB lediglich die Beendigungswirkung einer außerordentlichen Kündigung beseitigt, nicht jedoch die ordentliche Kündigung. Der BGH bekräftigte seine Auffassung, dass die Beschränkung der Wirkung der Nachzahlung innerhalb der Schonfrist auf die außerordentliche Kündigung erkennbar dem Willen des Gesetzgebers entspreche. Entgegen der Auffassung des LG habe der Gesetzgeber kurzfristig nicht zahlungsfähige Mieter mit der Schonfrist nicht vor den Wirkungen einer ordentlichen, sondern lediglich vor den wesentlich belastenderen Wirkungen einer außerordentlichen Kündigung schützen wollen.
Gerichte dürfen nicht rechtspolitisch urteilen
Der BGH warf der Vorinstanz vor, die vom Gesetzgeber gewollte beschränkte Wirkung des Nachzahlungsrechts auf der Grundlage eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern zu wollen und durch eine judikative Lösung zu ersetzen, die im Gesetz keine Grundlage habe. § 569 BGB trage die Überschrift „Außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund“. Der Gesetzgeber habe die Schonfrist bewusst im 3. Absatz dieser Vorschrift geregelt unter der erkennbaren Absicht, dem Mieter einen gewissen Schutz gegen die einschneidenden Wirkungen einer außerordentlichen Kündigung einzuräumen. Es handle sich also um eine Ausnahmevorschrift, die auf die ordentliche Kündigung nicht – auch nicht analog – angewendet werden könne.
Erheblichkeitsschwelle der Pflichtverletzung des Mieters
Trotz dieser eindeutigen Rechtsauslegung hat der BGH den Rechtsstreit im konkreten Fall für nicht entscheidungsreif gehalten und auf einen möglichen Ausweg zugunsten der Mieter hingewiesen. In der Tatsacheninstanz müsse die Erheblichkeit der Pflichtverletzung durch die Mieter gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB geprüft werden, denn nur wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt habe, sei nach dieser Vorschrift ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses zu bejahen. Die Vorinstanz habe - nach der von ihr vertretenen Rechtsauffassung folgerichtig - bisher keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Beklagten ihre vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt haben.
Gesamtumstände des Einzelfalls sind zu berücksichtigen
Im Rahmen der Prüfung der Erheblichkeit der Pflichtverletzung müssen nach dem Diktum des BGH sämtliche Umstände des Einzelfalls Berücksichtigung finden. Dazu gehörten u.a. die Dauer und die Höhe des Zahlungsverzugs. Auch habe die Tatsacheninstanz Feststellungen dazu zu treffen, ob die ordentliche Kündigung im konkreten Fall aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise im Sinne von § 242 BGB als treuwidrig angesehen werden kann. Einschränkend hat der BGH allerdings auch klargestellt, dass der Umstand, dass die Mietrückstände im konkreten Fall bereits vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist vollständig beglichen waren, allein nicht geeignet ist, die Pflichtverletzung zu heilen (BGH, Urteil v. 16.2.2005, VIII ZR 6/04).
Rechtsstreit an andere LG-Kammer zurückverwiesen
Im Ergebnis hat der BGH das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung und Entscheidung an eine andere Kammer des LG zurückverwiesen.
(BGH, Urteil v. 23.10.2024, VIII ZR 106/23)
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