Entscheidungsstichwort (Thema)

Wohnungseigentum: Anspruch des gehbehinderten Wohnungseigentümers auf Einbau einer Treppenüberwindungshilfe. Unverhältnismäßigkeit eines dauerhaften Fahrstuhleinbaus. Bestimmtheit des Gestattungsbeschlusses

 

Nachgehend

LG Hamburg (Beschluss vom 23.06.2005; Aktenzeichen 631 Qs 43/05)

 

Tenor

I. Der Beschluß der Wohnungseigentümerversammlung v. 14.12.2004 zu Tagesordnungspunkt 1 wird für ungültig erklärt.

II. Die gerichtlichen Kosten des Verfahrens haben die Antragsgegner als Gesamtschuldner zu tragen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Der Geschäftswert wird auf EUR 11.000,– festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Antragsteller sind (in ideeller Gemeinschaft) selbstnutzende Wohnungseigentümer der Wohnungen Nr. 1 und Nr. 2 in der WEG 76 in Hamburg. Die Antragsgegnerin zu 1.) ist Eigentümerin der Wohnung Nr. 3 im I.OG, die sie gemeinsam mit ihrem 75-jährigen, an Lungenfibrose mit zunehmender Geh- und Atemeinschränkung erkrankten, Ehemann seit 1981 bewohnt; der Antragsgegner zu 2.) ist mit seiner Familie selbstnutzender Eigentümer der Wohnung Nr. 4 im II. OG seit d. J. 2003. Das Haus hat inkl. EG nur drei Etagen nebst Keller. Es bestehen nur 4 Wohneinheiten. Die Beteiligten sind durch Teilungserklärung v. 16.12.1980 (Anl. Ast.2) verbunden. Die weitere Beteiligte ist die bestellte WEG-Verwaltung.

Bereits auf der Eigentümerversammlung v. 13.9.2004 war auf Initiative der Antragsgegnerin G. wegen der infolge der Krankheit ihres Ehemannes bei diesem auftretenden Bewegungseinschränkungen der Einbau eines Fahrstuhles erörtert worden. Nach weiteren Diskussionen und auch teilweisen Ortsbesichtigungen von anderweit eingebauten Fahrstühlen von anbietenden Firmen fasste die Eigentümerversammlung v. 14.12.2004 zu TOP 1 unter Bezugnahme auf eine „Anlage 1” mehrheitlich (Abstimmung gem. § 10 TE nach MEA) den Beschluß, einen Fahrstuhl einbauen zu lassen (auf das Protokoll gem. Anl. Ast.1 wird Bezug genommen). Die Kosten des Einbaus in Höhe von „voraussichtlich EUR 110.000,–” nebst Folgekosten wollten die Antragsgegner tragen.

Die Antragsteller halten diesen Beschluß mangels in Bezug genommener Angebote für unbestimmt und, da es sich um eine bauliche Veränderung mit Nachteilswirkung (Durchbruch Fundament, Geräuschbelästigungsgefahr, etc.) handele, für ungültig, insbesondere, da sie einem Treppenlifter, als milderem Mittel für die Bedürfnisse des Ehemannes der We.erin G. zustimmen würden (unter den üblichen Bedingungen).

Die Antragsgegner halten den Beschluß für ausreichend bestimmt und die bauliche Veränderung wegen der gesundheitlichen Bedürfnisse des Ehemannes der WE.erin G. für gerechtfertigt. Sie können keine Nachteile durch den Einbau erkennen, sondern im Gegenteil eine Wertverbesserung des Hauses.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der gem. § 43 Abs.1 Ziff.4 WEG zulässige und rechtzeitig angefochtene EtV-Beschluß ist für ungültig zu erklären (§ 23 Abs.4 WEG).

1. Der Beschluß ist bereits unbestimmt und aus dem Protokoll der EtV v. 14.12.2004 nicht geltungserhaltend ergänzend auslegbar:

Beschlüsse von Wohnungseigentümerversammlungen sind wegen ihrer Wirkungserstreckung auf spätere Rechtsnachfolger (§ 10 Abs.3 WEG) der jetzigen Wohnungseigentümer so zu fassen, daß das in ihnen Gewollte aus ihnen klar hervorgeht, um späteren Streit der Eigentümer über die Reichweite und den Inhalt von vornherein zu vermeiden (Bärmann-Pick-Merle (B.P.M.), 9.Aufl., WEG, § 23 Rz.52 – 57, § 43 Rz.59). Der hiesige Beschluß nimmt Bezug auf eine auf der EtV vorliegende und mit dem Protokoll später verbundene „Anlage 1”. Nur durch diese „Anlage 1” wird der Beschluß überhaupt erst verständlich. Ein solches Vorgehen bei der Protokollierung von EtV-Beschlüssen mag zulässig, wenn auch wenig sinnvoll sein, da die Bezugnahme immer die Gefahr birgt, daß die von anderer Seite formulierte „Anlage” nicht den Anforderungen an ein EtV-Protokoll genügt oder diese Anlage später nicht mit dem Protokoll verbunden wird.

Die hier in Bezug genommene „Anlage 1” schildert das Fahrstuhl-Einbauvorhaben nur ungenügend und in wichtigen Fragen nicht oder unbestimmt:

  • Der genaue Einbauort bleibt unklar. Aus von den Beteiligten eingereichten Angeboten geht hervor, daß Teile der Heizungsanlage entfernt und verlegt werden müssen. Dies ist nicht geregelt. Die Heizungsanlage ist aber Gemeinschaftseigentum.
  • Der genaue Typ des „beschlossenen” Fahrstuhles wird nicht genannt. Hier hätte ein genaues Angebot in Bezug genommen werden müssen, insbesondere da vor der EtV Angebote mit verschiedenen Antriebsarten vorlagen (z.B. AG 6: Seiltrommelantrieb).
  • Die Notwendigkeit von Schallschutzmaßnahmen (und ggfs. ihr Umfang) sind offengelassen worden „erforderlichenfalls Schallschutzgutachten”). Dies hätte eindeutig geregelt werden müssen.
  • Die Frage der Erhaltung des Treppengeländers und des Pfeilers im EG ist nur ungenau angesprochen „weitgehende Erhaltung”). Auch dies betrifft Gemeinschaftseigentum. Die Reichweite der Umgestaltung ist im Beschluß genau zu klären.
  • Die Frage des Vorlie...

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