Verfahrensgang

VG Schwerin (Aktenzeichen 7 A 2745/98)

 

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 15. November 2000 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 600 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, durch den dieser einen früheren vermögensrechtlichen Bescheid zurückgenommen hat, mit dem der Klägerin das Eigentum an einem Grundstück zurückübertragen worden ist. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil der ursprüngliche zugunsten der Klägerin ergangene Restitutionsbescheid rechtswidrig sei: Die Rückübertragung des Grundstücks an die Klägerin hätte zur Folge, dass das Grundstück nur unter Inanspruchnahme eines Notwegrechts über das Nachbargrundstück an einen öffentlichen Weg angeschlossen werden könnte, ohne dass eine solche Belastung des Nachbargrundstücks bereits vor der Inanspruchnahme bestanden habe. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Urteil leidet an dem geltend gemachten Verfahrensfehler mangelnder Aufklärung des Sachverhalts (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

1. Allerdings ist das angefochtene Urteil entgegen der Rüge der Klägerin im Verständnis von § 138 Nr. 6 VwGO mit Gründen versehen.

Das Verwaltungsgericht hat zwar gesetzwidrig, nämlich unter Verstoß gegen den hier entsprechend anwendbaren § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO das Urteil nicht alsbald nach der Niederlegung der Entscheidungsformel vollständig abgefasst, unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt jedoch allein noch nicht dazu, dass das Urteil als nicht mit Gründen versehen zu gelten hat. Dies ist vielmehr erst dann der Fall, wenn aufgrund der verspäteten Absetzung des Urteils nicht mehr gewährleistet ist, dass die schriftlich niedergelegten Gründe das Ergebnis der Beratung wiedergeben. Wird – wie hier – die Verkündung des Urteils gemäß § 116 Abs. 2 VwGO durch dessen Zustellung ersetzt, ist eine äußerste Grenze erreicht, wenn das Urteil nicht binnen fünf Monaten nach Niederlegung des Urteilstenors vollständig abgefasst, unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist (BVerwG, Beschluss vom 3. August 1998 – BVerwG 7 B 236.98 – im Anschluss an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 27. April 1993 – GmS-OGB 1/92 – BVerwGE 92, 367). Diese Frist ist hier gerade noch eingehalten, denn das Verwaltungsgericht hat nach der Niederlegung der Urteilsformel am 16. November 2000 das vollständig abgefasste Urteil der Geschäftsstelle am 12. April 2001 übergeben. Hierauf, nicht aber auf die Ausfertigung des Urteils durch die Geschäftsstelle oder dessen Zustellung an die Beteiligten kommt es an. Für den Verlust des Erinnerungsvermögens, an den die Frist von fünf Monaten anknüpft, ist die weitere Zeit nicht maßgeblich, die nach der Übergabe des vollständigen Urteils an die Geschäftsstelle bis zu dessen Zustellung an die Beteiligten vergeht (BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 1997 – BVerwG 3 B 146.97 – Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 31).

Wird ein Urteil noch vor Ablauf von fünf Monaten der Geschäftsstelle übergeben, kann es allerdings gleichwohl im Einzelfall nicht mit Gründen versehen sein, nämlich wenn zu dem Zeitablauf besondere Umstände hinzukommen, die wegen des Zeitablaufs bereits bestehende Zweifel zu der Annahme verdichten, dass der gesetzlich geforderte Zusammenhang zwischen der Beratung und den schriftlich niedergelegten Gründen nicht mehr gewahrt ist. Dass solche Umstände vorgelegen haben könnten, behauptet die Klägerin nicht; sie rügt lediglich die Überschreitung der Fünfmonatsfrist.

2. Das Verwaltungsgericht hat jedoch gegen seine Pflicht verstoßen, den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen ausreichend zu erforschen (§ 86 Abs. 1 VwGO).

In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt dem angefochtenen Urteil die Rechtsauffassung zu Grunde, die vermögensrechtliche Rückübertragung eines Grundstücks sei wegen rechtlicher Unmöglichkeit nach § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG ausgeschlossen, wenn die Rückübertragung des Grundstücks zur Folge hätte, dass dieses nur unter Inanspruchnahme eines Notwegrechts über das Grundstück eines anderen Eigentümers an einen öffentlichen Weg angeschlossen werden könnte, es sei denn, die Belastung des Nachbargrundstücks mit einem Notwegrecht habe bereits vor der Inanspruchnahme bestanden. Letzteres ist der Fall, wenn das zurückverlangte Grundstück schon vor der Restitution über eine auf dem Nachbargrundstück verlaufende Zuwegung angefahren wurde und infolge der mit der Restitution hervorgerufenen divergierenden Eigentumsverhältnisse lediglich erstmals das Bedürfnis entsteht, die bisher in der Rechtswirklichkeit unproblematische Benutzbarkeit der Zufahrt für den neuen Eigentümer der Restitutionsfläche zu sichern (BVerwG Urteil vom 15. Juni 2000 – 7 C 20.99 – VIZ 2000, 667).

Nach dieser Rechtsprechung kommt es mithin nicht darauf an, ob das Nachbargrundstück bereits vor der Rückgabe zu Gunsten des zurückverlangten Grundstücks rechtlich mit einem schon im Grundbuch eingetragenen Notwegrecht belastet war. Es reicht vielmehr aus, dass das zurückverlangte Grundstück über das Nachbargrundstück durch eine tatsächlich vorhandene Zuwegung mit dem öffentlichen Straßen- und Wegnetz faktisch verbunden war.

Von diesem Verständnis der rechtlichen Voraussetzungen ist ersichtlich auch das Verwaltungsgericht ausgegangen. Es nimmt an, ein öffentlicher Weg sei nicht mehr vorhanden. Nach dem Zusammenhang der Entscheidungsgründe ist damit nicht ein dem öffentlichen Verkehr gewidmeter Weg gemeint, sondern entsprechend dem zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts ein Weg, der das streitige Grundstück mit dem öffentlichen Straßen- und Wegenetz verbindet und faktisch für die Bewohner sowie diejenigen benutzbar ist, die das Grundstück anfahren oder sonst erreichen wollen.

Dass ein solcher Weg nicht vorhanden ist, hat das Verwaltungsgericht nicht ausreichend belegt. Es hat sich mit der Feststellung begnügt, das Grundstück sei nur über einen Weg erreichbar, dessen Einmündung in den öffentlichen Weg durch ein Tor verschlossen sei, wobei ein Schild auf das Zoogelände hinweise und das Betreten untersage. Damit wird nicht ausgeschlossen, dass die Zuwegung dem Haus auf dem streitigen Grundstück als Zufahrt diente und hierfür genutzt werden durfte. Dies wird durch ein Tor nicht ausgeschlossen, das von den Bewohnern des Hauses und denjenigen, die sonst zu dem Haus wollen, geöffnet werden kann und darf. Das Verwaltungsgericht hätte deshalb dem Vortrag der Klägerin nachgehen müssen, dass das streitige Grundstück über die Zuwegung erreichbar ist, und zwar auch außerhalb der Öffnungszeiten des Zoos und unabhängig von dessen Eingängen. Eine solche Möglichkeit wird durch die bisher getroffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht ausgeschlossen. Sie widerlegen den deshalb weiter klärungsbedürftigen Vortrag der Klägerin nicht.

Der Senat nimmt den Verfahrensfehler zum Anlass, das angefochtene Urteil gemäß § 133 Abs. 6 VwGO durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Franßen, Herbert, Neumann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI668011

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