Verfahrensgang

Sächsisches OVG (Aktenzeichen 2 B 317/99)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 1. März 2000 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 22 144 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die mit ihr begehrte Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) oder wegen Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sind nicht gegeben.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung in der mit dem Beschwerdevorbringen bezeichneten Richtung (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO; BVerwGE 13, 90 ≪91≫). Die von der Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Festhalten am Beamtenverhältnis wegen früherer Tätigkeit des Beamten auf Probe für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR unzumutbar erscheint, ist durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts bereits hinreichend geklärt. Maßgebend ist danach, ob die frühere Tätigkeit des Beamten auf Probe für das MfS – unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebots (vgl. BVerfGE 96, 189 ≪199≫) – das Dienstverhältnis derart belastet, dass dessen Fortsetzung ausgeschlossen ist. Dies ist nach einem objektiven Maßstab zu beurteilen (vgl. BVerwGE 108, 64 ≪68≫; 109, 59 ≪65≫). Der Begriff der „Unzumutbarkeit” verlangt eine einzelfallbezogene, auf die Eignung des Beamten abstellende Würdigung, die neben der konkreten Belastung für den Dienstherrn auch das Maß der Verstrickung des Betroffenen zu berücksichtigen hat. Der Grad der persönlichen Verstrickung ergibt sich vor allem aus Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit für die frühere Staatssicherheit sowie aus dem Grund der Aufnahme und der Beendigung der Tätigkeit. Des Weiteren ist von Bedeutung, zu welcher Zeit und in welchem Alter der Beamte auf Probe für das MfS tätig war, für welche Laufbahn er vorgesehen ist und wie er sich nach seiner Übernahme in den öffentlichen Dienst nach dem 3. Oktober 1990 verhalten hat (vgl. BVerwGE 108, 64 ≪68 f.≫; 109, 59 ≪64 f.≫; Urteile vom 27. April 1999 – BVerwG 2 C 33.98 – Buchholz 111 Art. 20 EV Nr. 6 S. 9 ≪10 f.≫, vom 6. April 2000 – BVerwG 2 C 2.99 – ≪zur Veröffentlichung bestimmt≫ und vom 13. Juli 2000 – BVerwG 2 C 26.99 – ≪zur Veröffentlichung vorgesehen≫).

Maßgebend für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe wegen früherer Tätigkeit für das MfS ist die Sach- und Rechtslage zur Zeit des Erlasses der letzten Behördenentscheidung (vgl. BVerwGE 61, 200 ≪209≫ m.w.N.; Urteil vom 13. Juli 2000 – BVerwG 2 C 26.99 –). Die erst nach Ablauf der Befristung der Sonderentlassungsregelung des Einigungsvertrages (31. Dezember 1996) in Kraft getretene Fassung des § 19 Abs. 1 Satz 2 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG) durch das Dritte Änderungsgesetz vom 20. Dezember 1996 (BGBl I S. 2026) ist schon deswegen unanwendbar. Der nachträglich geänderten Vorschrift ist auch kein allgemeiner Rechtsgedanke des Inhalts zu entnehmen, lange zurückliegende Tätigkeiten als inoffizieller Mitarbeiter des MfS hätten bereits in dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt keine Bedeutung mehr für den Fortbestand des Beamtenverhältnisses gehabt (vgl. Urteil vom 13. Juli 2000 – BVerwG 2 C 26.99 –). Die Sonderentlassungsregelung des Einigungsvertrages verlangt grundsätzlich eine Ermittlung der gesamten Stasi-Tätigkeit des Beamten auf Probe und deren umfassende einzelfallbezogene, auf die Eignung des Beamten abstellende Würdigung (vgl. BVerfGE 96, 171 ≪187≫; 96, 189 ≪199≫; BVerwGE 108, 64 ≪68 f.≫; Urteil vom 13. Juli 2000 – BVerwG 2 C 26.99 –). Dazu gehört freilich auch eine Berücksichtigung des Zeitfaktors. Denn nach den Umständen des Einzelfalles kann ein langer Zeitablauf nach Beendigung der Tätigkeit für das MfS Zweifel an der Eignung des Beamten auf Probe zurücktreten lassen (vgl. BVerwGE 109, 59 ≪67≫). Andererseits können aber auch weit zurückliegende Tätigkeiten für das MfS bedeutsam für die Beurteilung der Eignung sein. So verhält es sich insbesondere dann, wenn sie besonders schwer wiegen oder wenn spätere Verstrickungen hinzutreten (vgl. BVerfGE 96, 171 ≪188≫; BVerwG, Urteil vom 13. Juli 2000 – BVerwG 2 C 26.99 –).

Das Verhalten des Beamten auf Probe nach dem Ende seiner Tätigkeit für das MfS, insbesondere im Rahmen seiner Beschäftigung nach dem 3. Oktober 1990 und während seiner Probezeit, ist bei der Beurteilung der Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung zu berücksichtigen. Ein beanstandungsfreies dienstliches Wohlverhalten ist für sich allein aber nicht geeignet, die Fortsetzung des Dienstverhältnisses mit einem früheren inoffiziellen Mitarbeiter als zumutbar erscheinen zu lassen (vgl. BVerwGE 108, 64 ≪70≫). Der Beamte auf Probe hat sich während des Beschäftigungsverhältnisses nach dem 3. Oktober 1990 nicht pflichtgemäß verhalten, wenn er die Frage, ob er für das MfS tätig war, der Wahrheit zuwider verneint hat (vgl. Urteile vom 6. April 2000 – BVerwG 2 C 2.99 – und vom 13. Juli 2000 – BVerwG 2 C 26.99 –).

Von diesen zur Auslegung des Begriffs der Zumutbarkeit entwickelten Rechtsgrundsätzen weicht das angefochtene Urteil nicht in einer die Revision eröffnenden Weise ab. Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nämlich nur dann vor, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz widersprochen hat (stRspr; vgl. z.B. Beschluss vom 21. Januar 1994 – BVerwG 11 B 116.93 – Buchholz 442.16 § 15 b StVZO Nr. 22 S. 1 ≪2≫ m.w.N.). Die in dieser Weise voneinander abweichenden Rechtssätze müssen sich aus der angefochtenen wie aus der angezogenen Entscheidung unmittelbar und so deutlich ergeben, dass nicht zweifelhaft bleibt, welchen Rechtssatz die Entscheidungen jeweils aufgestellt haben (vgl. Beschlüsse vom 18. Juli 1996 – BVerwG 8 B 85.96 – Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 136 S. 8 ≪12≫ und vom 13. Juli 1999 – BVerwG 8 B 166.99 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 9 S. 1). Einen solchen mit hinreichender Deutlichkeit erkennbaren Rechtssatzwiderspruch vermag die Beschwerde nicht in der gebotenen Weise darzulegen. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverfassungsgericht oder das Bundesverwaltungsgericht in ihrer Rechtsprechung aufgestellt haben, genügt weder den Darlegungsanforderungen einer Divergenz- noch denen einer Grundsatzrüge (vgl. Beschlüsse vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 VwGO n.F. Nr. 26 S. 13 ≪14≫ und vom 13. Juli 1999 – BVerwG 8 B 166.99 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 9 S. 1).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 4 Satz 1 Buchst. b) GKG.

 

Unterschriften

Dr. Silberkuhl, Dr. Kugele, Groepper

 

Fundstellen

Dokument-Index HI565933

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge