Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Dienstleistungsfreiheit. Beschränkungen. Nationale Regelung, die das Betreiben von Glücksspielen an bestimmten Orten untersagt. Anwendbarkeit von Art. 56 AEUV. Vorliegen eines grenzüberschreitenden Bezugs

 

Normenkette

AEUV Art. 56

 

Beteiligte

BONVER WIN

BONVER WIN, a. s

Ministerstvo financí ČR

 

Tenor

Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er auf einen Sachverhalt anwendbar ist, in dem eine in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft, die nach dem Inkrafttreten von Rechtsvorschriften in diesem Mitgliedstaat, die festlegen, an welchen Orten das Betreiben von Glücksspielen erlaubt ist, und die unterschiedslos auf alle Dienstleistungserbringer anwendbar sind, die ihre Tätigkeit im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats ausüben, unabhängig davon, ob sie Dienstleistungen an Angehörige dieses Mitgliedstaats oder an Angehörige der anderen Mitgliedstaaten erbringen, die Erlaubnis zum Betreiben von Glücksspielen verloren hat, wenn ein Teil ihrer Kunden aus einem anderen Mitgliedstaat als dem ihrer Niederlassung stammt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 21. März 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 16. April 2019, in dem Verfahren

BONVER WIN, a. s.

gegen

Ministerstvo financí ČR

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richter N. Piçarra, D. Šváby, S. Rodin (Berichterstatter) und der Richterin K. Jürimäe,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. März 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, O. Serdula, J. Vláčil und T. Machovičová als Bevollmächtigte,
  • der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Koós und Zs. Wagner als Bevollmächtigte,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch J. M. Hoogveld und M. K. Bulterman als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Armati, P. Němečková und K. Walkerová als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. September 2020

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 56 AEUV.

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der BONVER WIN a. s. und dem Ministerstvo financí ČR (Finanzministerium der Tschechischen Republik) über die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung, mit der dieser Gesellschaft die Erlaubnis zum Betreiben von Glücksspielen entzogen wurde, die sie für das Gebiet der Stadt Děčín (Tschechische Republik) innehatte.

Rechtlicher Rahmen

Rz. 3

§ 50 Abs. 4 des Zákon č. 202/1990 Sb., o loteriích a jiných podobných hrách (Gesetz Nr. 202/1990 über Lotterien und ähnliche Spiele) bestimmt:

„Eine Gemeinde kann das Betreiben von Glücksspielen …, Lotterien und ähnlichen Spielen mit einer allgemein verbindlichen Verordnung auf die in dieser Verordnung genannten Zeiten und Orte beschränken, festlegen, zu welchen Zeiten oder an welchen Orten das Betreiben von Lotterien und ähnlichen Spielen verboten ist, oder deren Betreiben im gesamten Gebiet der Gemeinde gänzlich verbieten.”

Rz. 4

Art. 1 Abs. 1 der Obecně závazná vyhláška města Děčín č. 3/2013, o regulaci provozování sázkových her, loterií a jiných podobných her (Allgemein verbindliche Verordnung Nr. 3/2013 der Stadt Děčín zur Regulierung des Betreibens von Glücksspielen, Lotterien und ähnlichen Spielen, im Folgenden: Allgemein verbindliche Verordnung Nr. 3/2013), die vom Stadtrat Děčín auf der Grundlage von § 50 Abs. 4 des Gesetzes Nr. 202/1990 über Lotterien und ähnliche Spiele erlassen wurde, lautet:

„Das Betreiben [folgender Glücksspiele] ist im gesamten Gebiet der Stadt Děčín mit Ausnahme der Casinos, die sich an in Anhang 1 der vorliegenden Verordnung genannten Orten befinden, verboten:

  1. die in § 2 Buchst. i, l, m und n des Lotteriegesetzes genannten Glücksspiele,
  2. die in § 2 Buchst. j des Lotteriegesetzes genannten Lotterien und ähnlichen Spiele,
  3. die in § 50 Abs. 3 des Lotteriegesetzes genannten Lotterien und ähnlichen Spiele.”

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Rz. 5

BONVER WIN ist eine Handelsgesellschaft mit Sitz in der Tschechischen Republik, die Glücksspiele anbietet.

Rz. 6

Mit Entscheidung vom 22. Oktober 2013 entzog das Finanzministerium gemäß der Allgemein verbindlichen Verordnung Nr. 3/2013 BONVER WIN ihre bisherige Erlaubnis zum Betreiben von Glücksspielen in einer Niederlassung im Gebiet der Stadt Děčín mit der Begründung, dass die Geschäftsräume nicht unter die in Anhang 1 dieser Verordnung genannten Geschäftsräume fielen.

Rz. 7

Der von BONVER WIN gegen diese Entscheidung eingelegte Widerspruch wurde am 22. Juli 2014 vom Finanzministerium zurückgewiesen.

Rz. 8

BONVER WIN erhob sodann Klage gegen diese Entscheidung beim Městský soud v Praze (Stadtgericht Prag, Tschec...

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