Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen. Verfahren zur Information und Konsultation der Arbeitnehmer bei einer beabsichtigten Massenentlassung. Fehlende Benennung von Arbeitnehmervertretern. Nationale Regelung, die es dem Arbeitgeber erlaubt, die betroffenen Arbeitnehmer nicht einzeln zu informieren und zu konsultieren

 

Normenkette

Richtlinie 98/59/EG Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b und Art. 6

 

Beteiligte

Brink’s Cash Solutions

EI

SC Brink’s Cash Solutions SRL

 

Tenor

Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b, Art. 2 Abs. 3 und Art. 6 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen in der durch die Richtlinie (EU) 2015/1794 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 2015 geänderten Fassung

sind dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen Regelung, die für den Arbeitgeber keine Verpflichtung vorsieht, die von einer beabsichtigten Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer einzeln zu konsultieren, wenn diese keine Arbeitnehmervertreter benannt haben, und die die betroffenen Arbeitnehmer nicht zu einer solchen Benennung verpflichtet, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung es ermöglicht, unter Umständen, die sich dem Einfluss der Arbeitnehmer entziehen, die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen der Richtlinie 98/59 in geänderter Fassung zu gewährleisten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-496/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curtea de Apel Bucureşti (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien) mit Entscheidung vom 22. Juni 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Juli 2022, in dem Verfahren

EI

gegen

SC Brink’s Cash Solutions SRL

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen (Berichterstatter) und J. Passer,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. Mai 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        von EI, vertreten durch V. Stănilă, Avocat,
  • –        der SC Brink’s Cash Solutions SRL, vertreten durch S. Şusnea und R. Zahanagiu, Avocaţi,
  • –        der rumänischen Regierung, vertreten durch M. Chicu, E. Gane und O.-C. Ichim als Bevollmächtigte,
  • –        der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und A. Hoesch als Bevollmächtigte,
  • –        der griechischen Regierung, vertreten durch V. Baroutas und M. Tassopoulou als Bevollmächtigte,
  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Gheorghiu, C. Hödlmayr und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b und Art. 6 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. 1998, L 225, S. 16) in der durch die Richtlinie (EU) 2015/1794 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 2015 (ABl. 2015, L 263, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 98/59).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen EI und seinem ehemaligen Arbeitgeber, der SC Brink’s Cash Solutions SRL, über seine Entlassung.

Rechtlicher Rahmen

Richtlinie 98/59

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 2, 6 und 12 der Richtlinie 98/59 lauten:

„(2)      Unter Berücksichtigung der Notwendigkeit einer ausgewogenen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in der Gemeinschaft ist es wichtig, den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen zu verstärken.

(6)      Die auf der Tagung des Europäischen Rates in Straßburg am 9. Dezember 1989 von den Staats- und Regierungschefs von elf Mitgliedstaaten angenommene Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer sieht unter Nummer 7 Unterabsatz 1 erster Satz und Unterabsatz 2, unter Nummer 17 Unterabsatz 1 und unter Nummer 18 dritter Gedankenstrich folgendes vor:

‚7.      Die Verwirklichung des Binnenmarktes muss zu einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft führen […].

Diese Verbesserung muss, soweit nötig, dazu führen, dass bestimmte Bereiche des Arbeitsrechts, wie die Verfahren bei Massenentlassungen oder bei Konkursen, ausgestaltet werden.

[…]

17.      Unterrichtung, Anhörung und Mitwirkung der Arbeitnehmer müssen in geeigneter Weise, unter Berücksichtigung der in den verschiedenen Mitgliedstaaten herrschenden Gepflogenheiten, weiterentwickelt werden.

[…]

18.      Unterrichtung, Anhörung und Mitwirkung sind rechtzeitig vor allem in folgenden Fällen vorzusehen:

[– …]

[– …]

– bei Massenentlassungen;

[– …]‘;

(12)      Die Mitgliedstaaten sollten dafür Sorge tragen, dass den Arbeitnehmervertretern und/oder den Arbeitnehmern administr...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge