Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Übereinkommen über das Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen. Weigerung eines Mitgliedstaats, einen vom Königreich Norwegen erlassenen Haftbefehl zu vollstrecken. Erlass eines neuen Haftbefehls durch das Königreich Norwegen gegen dieselbe Person wegen derselben Handlung. Prüfung durch einen anderen Mitgliedstaat. Berücksichtigung der Weigerung, den ersten Haftbefehl zu vollstrecken

 

Beteiligte

Sofiyska gradska prokuratura u.a. (Mandats d’arrêt successifs)

KT

 

Tenor

1.Art. 1 Abs. 3 des Übereinkommens zwischen der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über das Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Island und Norwegen, das mit dem Beschluss 2014/835/EU des Rates vom 27. November 2014 über den Abschluss des Übereinkommens zwischen der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über das Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Island und Norwegen im Namen der Europäischen Union genehmigt wurde,

ist dahin auszulegen, dass

er dem Erlass mehrerer aufeinanderfolgender Haftbefehle gegen eine gesuchte Person, um ihre Übergabe durch einen Vertragsstaat dieses Übereinkommens zu erwirken, nachdem die Vollstreckung eines ersten Haftbefehls gegen diese Person von einem anderen Vertragsstaat des Übereinkommens abgelehnt worden ist, nicht entgegensteht, sofern die Vollstreckung des neuen Haftbefehls nicht zu einer Verletzung dieser Bestimmung führen würde und der Erlass des neuen Haftbefehls verhältnismäßig ist.

2.Das Übereinkommen zwischen der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über das Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Island und Norwegen, das mit dem Beschluss 2014/835 im Namen der Europäischen Union genehmigt wurde,

ist dahin auszulegen, dass

es dem entgegensteht, dass die Vollstreckung eines Haftbefehls durch einen Mitgliedstaat allein deshalb abgelehnt wird, weil ein anderer Mitgliedstaat die Vollstreckung eines ersten Haftbefehls der Republik Island oder des Königreichs Norwegen gegen dieselbe Person wegen derselben Handlung abgelehnt hat.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-71/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sofiyski gradski sad (Stadtgericht Sofia, Bulgarien) mit Entscheidung vom 4. Februar 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Februar 2021, in dem Verfahren wegen der Vollstreckung eines Haftbefehls gegen

KT,

Beteiligte:

Sofiyska gradska prokuratura,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. G. Xuereb, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen (Berichterstatter) und des Richters T. von Danwitz,

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        Irlands, vertreten durch M. Browne, A. Joyce und J. Quaney als Bevollmächtigte im Beistand von M. Gráinne, BL,
  • –        der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und R. Kissné Berta als Bevollmächtigte,
  • –        der österreichischen Regierung, vertreten durch J. Schmoll, C. Leeb und A. Posch als Bevollmächtigte,
  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Grünheid und I. Zaloguin als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 EUV, Art. 21 Abs. 1 und Art. 67 Abs. 1 AEUV, Art. 6 und Art. 45 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), Art. 1 Abs. 2 und 3 des Übereinkommens zwischen der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über das Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Island und Norwegen (ABl. 2006, L 292, S. 2), das mit dem Beschluss 2014/835/EU des Rates vom 27. November 2014 über den Abschluss des Übereinkommens zwischen der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über das Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Island und Norwegen (ABl. 2014, L 343, S. 1) im Namen der Europäischen Union genehmigt wurde und am 1. November 2019 in Kraft getreten ist (im Folgenden: Übereinkommen über das Übergabeverfahren), sowie von Art. 8 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Verfahrens über die Vollstreckung eines von der Regionalstaatsanwaltschaft Hordaland (Norwegen) erlassenen Haftbefehls gegen KT in Bulgarien.

Rechtlicher Rahmen

Übereinkommen über das Übergabeverfahren

Rz. 3

In der Präambel des Übereinkomme...

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