Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit. Staatliches nationales Rentenversicherungssystem. Voraussetzungen für die Anerkennung der Geschlechtsumwandlung. Nationale Regelung, die diese Anerkennung davon abhängig macht, dass eine vor der Geschlechtsumwandlung geschlossene Ehe für ungültig erklärt wird. Weigerung einer Person, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat, eine staatliche Ruhestandsrente ab dem Rentenalter für Personen des erworbenen Geschlechts zu gewähren. Unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts

 

Normenkette

Richtlinie 79/7/EWG

 

Beteiligte

MB () und pension de retraite)

MB

Secretary of State for Work and Pensions

 

Tenor

Die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit, insbesondere ihr Art. 4 Abs. 1 erster Gedankenstrich in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. a dritter Gedankenstrich und mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. a, ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine Person, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat, nicht nur physische, soziale und psychische Kriterien erfüllen muss, sondern auch nicht mit einer Person des Geschlechts, das sie infolge der Geschlechtsumwandlung erworben hat, verheiratet sein darf, wenn sie eine staatliche Ruhestandsrente ab dem für Angehörige des erworbenen Geschlechts geltenden gesetzlichen Rentenalter in Anspruch nehmen möchte.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) mit Entscheidung vom 10. August 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 12. August 2016, in dem Verfahren

MB

gegen

Secretary of State for Work and Pensions

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, T. von Danwitz (Berichterstatter), A. Rosas und J. Malenovský, der Richter E. Juhász und A. Borg Barthet, der Richterin M. Berger sowie der Richter C. Lycourgos und M. Vilaras,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. September 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von MB, vertreten durch C. Stothers und J. Mulryne, Solicitors, sowie durch K. Bretherton und D. Pannick, QC,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Crane und S. Brandon als Bevollmächtigte im Beistand von B. Lask, Barrister, und J. Coppel, QC,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Valero und J. Tomkin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. Dezember 2017

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen MB und dem Secretary of State for Work and Pensions (Minister für Arbeit und Renten, Vereinigtes Königreich) wegen dessen Weigerung, MB ab dem gesetzlichen Rentenalter für Personen des Geschlechts, das sie infolge einer Geschlechtsumwandlung erworben hat, eine staatliche Ruhestandsrente zu gewähren.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Die Richtlinie 79/7 findet nach ihrem Art. 3 Abs. 1 Buchst. a dritter Gedankenstrich auf die gesetzlichen Systeme Anwendung, die Schutz gegen die Risiken des Alters bieten.

Rz. 4

In Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:

„Der Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, und zwar im Besonderen betreffend:

– den Anwendungsbereich der Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu den Systemen,

…”

Rz. 5

Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie steht nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, Folgendes von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen:

a) die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen”.

Rz. 6

Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ABl. 2006, L 204, S. 23) bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a) ‚unmittelbare Diskriminierung’ eine Situation, in der eine Person aufgrund ihres Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation...

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