Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bei Überstundenzuschlägen?
Das BAG hat den EuGH dazu im Vorabentscheidungsverfahren angerufen.
Arbeitgeber bezahlte Überstunden nur bei Überschreitung der Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten
Der beklagte Arbeitgeber gewährte zuschlagspflichtige Überstunden nach Maßgabe des arbeitsvertraglich in Bezug genommenen, zwischen der Gewerkschaft ver.di und ihm geschlossenen Manteltarifvertrages (MTV).
Tarifliche Regelung: Zuschlag nur bei Überschreitung der wöchentlichen Arbeitszeit einer Vollzeitkraft
Nach § 10 Ziffer 7 Satz 2 des MTV sind zuschlagspflichtig mit einem Zuschlag von 30% Überstunden, die über die kalendermonatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden und im jeweiligen Kalendermonat der Arbeitsleistung nicht durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden können. Alternativ sieht die Regelung eine Honorierung durch entsprechende Zeitgutschriften vor.
Teilzeit-Arbeitnehmerin behauptet Diskriminierung
Die im Umfang von 40% der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit einer Vollzeitkraft beschäftigte klagende Pflegekraft vertrat die Auffassung, sie werde durch die Anwendung der tarifvertraglichen Regelung unzulässig als Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten benachteiligt. Darüber hinaus werde sie als Teilzeitbeschäftigte mittelbar wegen des Geschlechts benachteiligt, denn der Beklagte, ein bundesweit tätiger ambulanter Dialysebetreiber, beschäftigte überwiegend Frauen in Teilzeit.
Klägerin: Anspruch auf Zeitgutschrift und AGG-Entschädigung
Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf eine Gutschrift auf ihrem Arbeitszeitkonto sowie über die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
LAG: Anspruch auf Gutschrift, aber keine Entschädigung
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin gab das LAG der Klage sodann teilweise statt und verurteilte den Beklagten zur Gutschrift der geforderten Stunden auf dem Arbeitszeitkonto der Klägerin.
EuGH-Vorlage: Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten?
Das BAG hat dem EuGH nun verschiedene Fragen zur Auslegung des Unionsrecht im Hinblick auf eine etwaige Ungleichbehandlung von Teilzeit- gegenüber Vollzeitbeschäftigten vorgelegt und das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des EuGHs über das Vorabentscheidungsverfahren ausgesetzt.
(BAG, Beschluss v. 28.10.2021, 8 AZR 370/20 (A)).
Die Fragen des BAG an den EuGH
1. Sind Art. 157 AEUV sowie Art. 2 Abs. 1 Buchstabe b und Art. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/54/EG so auszulegen, dass eine nationale tarifvertragliche Regelung, nach der die Zahlung von Überstundenzuschlägen nur für Arbeitsstunden vorgesehen ist, die über die regelmäßige Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus gearbeitet werden, eine Ungleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten enthält?
2. Für den Fall, dass der Gerichtshof die Frage zu 1. bejahen sollte:
a) Sind Art. 157 AEUV sowie Art. 2 Abs. 1 Buchstabe b und Art. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/54/EG so auszulegen, dass es in einem solchen Fall für die Feststellung, dass die Ungleichbehandlung erheblich mehr Frauen als Männer betrifft, nicht ausreicht, dass unter den Teilzeitbeschäftigten erheblich mehr Frauen als Männer sind, sondern dass hinzukommen muss, dass unter den Vollzeitbeschäftigten erheblich mehr Männer sind bzw. ein signifikant höherer Anteil von Männern ist?
b) Oder ergibt sich auch für Art. 157 AEUV und die Richtlinie 2006/54/EG etwas anderes aus den Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil vom 26. Januar 2021 – C-16/19, EU:C:2021:64 – (Szpital Kliniczny im. dra J. Babińskiego Samodzielny Publiczny Zakład Opieki Zdrowotnej w Krakowie) unter Rn. 25 bis 36, wonach auch eine innerhalb einer Gruppe von an einer Behinderung leidenden Personen vorliegende Ungleichbehandlung unter den „Begriff ‚Diskriminierung‘“ nach Art. 2 der Richtlinie 2000/78/EG fallen kann?
3. Für den Fall, dass der Gerichtshof die Frage zu 1. bejahen und die Fragen zu 2a) und 2b) so beantworten sollte, dass in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens festgestellt werden könnte, dass die Ungleichbehandlung beim Entgelt erheblich mehr Frauen als Männer betrifft:
Sind Art. 157 AEUV sowie Art. 2 Abs. 1 Buchstabe b und Art. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/54/EG dahin auszulegen, dass es ein rechtmäßiges Ziel sein kann, wenn Tarifvertragsparteien mit einer Regelung – wie der in der Frage zu 1. aufgeführten – zwar auf der einen Seite das Ziel verfolgen, den Arbeitgeber von der Anordnung von Überstunden abzuhalten und eine Inanspruchnahme der Arbeitnehmer über das vereinbarte Maß hinaus mit einem Überstundenzuschlag zu honorieren, auf der anderen Seite allerdings auch das Ziel verfolgen, eine ungünstigere Behandlung von Vollzeitbeschäftigten gegenüber Teilzeitbeschäftigten zu verhindern und deshalb regeln, dass Zuschläge nur für Überstunden geschuldet sind, die über die kalendermonatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden?
4. Ist Paragraph 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG so auszulegen, dass eine nationale tarifvertragliche Regelung, nach der die Zahlung von Überstundenzuschlägen nur für Arbeitsstunden vorgesehen ist, die über die regelmäßige Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus gearbeitet werden, eine Ungleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten enthält?
5. Für den Fall, dass der Gerichtshof die Frage zu 4. bejahen sollte:
Ist Paragraph 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG so auszulegen, dass es ein sachlicher Grund sein kann, wenn Tarifvertragsparteien mit einer Regelung – wie der in der Frage zu 4. aufgeführten – zwar auf der einen Seite das Ziel verfolgen, den Arbeitgeber von der Anordnung von Überstunden abzuhalten und eine Inanspruchnahme der Arbeitnehmer über das vereinbarte Maß hinaus mit einem Überstundenzuschlag zu honorieren, auf der anderen Seite allerdings auch das Ziel verfolgen, eine ungünstigere Behandlung von Vollzeitbeschäftigten gegenüber Teilzeitbeschäftigten zu verhindern und deshalb regeln, dass Zuschläge nur für Überstunden geschuldet sind, die über die kalendermonatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden?
(Pressemitteilung des BAG v.28.10.2021)
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