Tenor

Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:

"Setzt die Abwesenheitsverhandlung nach § 231 Abs. 2 StPO gegen einen nicht auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten voraus, dass das erkennende Gericht zuvor (erfolglos) versucht hat, dessen Anwesenheit bei der Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung zu erzwingen, auch wenn dieser in Kenntnis seiner Anwesenheitspflicht ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe die angeordnete und tatsächlich in die Wege geleitete Vorführung verweigert, über die Anklage schon vernommen war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet?"

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am 15. August 2012 wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft Berlin hatte ihm mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vom 25. April 2012 vorgeworfen, in vier Fällen eine vorsätzliche Körperverletzung (Fälle 1. bis 4.), in den Fällen 1. und 4. in Tateinheit mit Sachbeschädigung, in den Fällen 2. und 4. in (weiterer) Tateinheit mit Freiheitsberaubung und im Fall 2. in weiterer Tateinheit mit Beleidigung, sowie einen Diebstahl (Fall 5.) begangen zu haben. Alle Taten soll er zwischen dem 5. März und dem 4. April 2010 zum Nachteil der Zeugin D. begangen haben. Auf das gegen die Verurteilung (allein) wegen vorsätzlicher Körperverletzung in den Fällen 2. und 4. der Anklage gerichtete Rechtsmittel des Angeklagten, welches als Berufung durchgeführt worden ist, hat das Landgericht Berlin mit Urteil vom 3. April 2013 die Entscheidung des Amtsgerichts aufgehoben und den Angeklagten (auch insoweit) aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft mit am selben Tag bei dem Landgericht Berlin eingegangenem Schriftsatz vom 3. April 2013 Revision eingelegt. Die Akten sind mit den schriftlichen Urteilsgründen am 17. Mai 2013 zur Zustellung bei der Staatsanwaltschaft Berlin eingegangen. Diese hat mit Schriftsatz vom 14. Juni 2013, eingegangen bei dem Landgericht am 17. Juni 2013, ihr Rechtsmittel begründet und beantragt, das Urteil des Landgerichts Berlin vom 3. April 2013 mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts Berlin zurückzuverweisen. Sie rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Begründungsschrift ist dem Verteidiger des Angeklagten am 19. Juni 2013 zugestellt worden; er hat am 20. Juni 2013 eine Gegenerklärung abgegeben. Die Revision wird von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vertreten; sie hat die Akten dem Senat mit dem Antrag übersandt, Termin zur Hauptverhandlung anzuberaumen. In der Revisionshauptverhandlung vom 2. Dezember 2013 hat die Generalstaatsanwaltschaft nach Erörterung der Rechtslage mit den Verfahrensbeteiligten an dem Rechtsmittel festgehalten und beantragt, das Urteil des Landgerichts Berlin vom 3. April 2013 mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts Berlin zurückzuverweisen. Der Verteidiger des Angeklagten hat beantragt, die Revision zu verwerfen.

Der Senat beabsichtigt, die Revision der Staatsanwaltschaft als unbegründet zu verwerfen, sieht sich aber durch die abweichende Rechtsauffassung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs und des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg daran gehindert. Er hat die Revisionshauptverhandlung daher ausgesetzt und legt die Sache gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Klärung der im Beschlusstenor genannten entscheidungserheblichen Rechtsfrage vor.

I.

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet mit der Verfahrensrüge der vorschriftswidrigen Abwesenheit (§ 338 Nr. 5 StPO) die Verletzung der §§ 230 Abs. 1, 231 Abs. 2 StPO durch Fortführung der Hauptverhandlung gegen den am zweiten Verhandlungstag nicht erschienenen Angeklagten.

Der Rüge liegt im Wesentlichen folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Die Berufungshauptverhandlung in dieser Sache ist am 13. März sowie am 3. April 2013 durchgeführt worden.

Zum Termin am 13. März 2013 ist der Angeklagte, der (bereits) zu diesem Zeitpunkt eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt B. in H. verbüßte, vorgeführt erschienen. Er hat sich umfänglich - bestreitend - zu den (noch) verfahrensgegenständlichen Anklagevorwürfen eingelassen; die als Zeugin geladene Geschädigte ist vernommen und die Hauptverhandlung schließlich unterbrochen worden. Die Vorsitzende hat Termin zur Fortsetzung der Berufungshauptverhandlung auf den 3. April 2013, 10.30 Uhr, bestimmt, den Angeklagten, den Verteidiger und den Vertreter der Staatsanwaltschaft hierzu mündlich geladen, den Angeklagten "unter Hinweis auf die Folgen eines eigenmächtigen Ausbleibens nach § 231 Absatz 2 StPO", und bestimmt, dass der Angeklagte zu diesem Termin (erneut) vorzuführen sei....

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