Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang des Versicherungsschutzes in einer Betriebsschließungsversicherung bei einer in den Versicherungsbedingungen enthaltenen dynamischen Verweisung auf die in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger in der zum Schadenszeitpunkt aktuellen Fassung und bei lediglich faktischen Betriebsschließungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird in den Versicherungsbedingungen einer Betriebsschließungsversicherung Versicherungsschutz für die Betriebsschließung aufgrund meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger gewährt und heißt es im Anschluss, "Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) in der jeweils zum Schadenszeitpunkt aktuellen Fassung in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger", dann besteht Versicherungsschutz nur bei Betriebsschließungen aufgrund solcher Krankheiten und Krankheitserreger, die zum Zeitpunkt der Anordnung in §§ 6 und 7 IfSG ausdrücklich genannt wurden.

2. Eine solche Leistungsbeschreibung ist weder intransparent, noch benachteiligt sie den Versicherungsnehmer unangemessen.

3. Eine versicherte Betriebsschließung liegt nicht vor, wenn Maßnahmen nach dem IfSG die Fortführung der versicherten betrieblichen Tätigkeit als solche nicht verbieten, sondern lediglich als Reflexwirkung anderweitiger Verbote und Einschränkungen bei dem versicherten Betrieb (hier: Catering-Service) zu einer faktischen Betriebsschließung aufgrund Wegfalls der Nachfrage bzw. Umsatzeinbruchs führen.

 

Normenkette

BGB § 307 Abs. 1-2; IfSG §§ 6-7; VVG

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 19.04.2021; Aktenzeichen 2 O 236/20)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 21.09.2022; Aktenzeichen IV ZR 305/21)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 19. April 2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 95.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt Versicherungsleistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung.

Die Parteien verbindet mit Wirkung ab dem 1. Januar 2020 unter anderem eine Betriebsschließungsversicherung. Danach gewährt die Beklagte unter anderem Versicherungsschutz, wenn von der zuständigen Behörde "der versicherte Betrieb oder eine Betriebsstätte des versicherten Betriebs zur Verhinderung oder Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern beim Menschen geschlossen wird". Die im Versicherungsfall geschuldete Leistung beträgt 75 % des Tagesnettoumsatzes des dem Schließungszeitraum des Vorjahres entsprechenden Zeitraumes als Tagesentschädigung bis zur Dauer von 30 Schließungstagen. Dem Versicherungsvertrag liegen unter anderem als "Baustein Betriebsschließung" bezeichnete Versicherungsbedingungen (AVB) zugrunde. Hinsichtlich des Inhalts der AVB wird auf die Anlage K 2.5 im Anlagenband Kläger Bezug genommen. Hinsichtlich des Inhalts des Versicherungsscheins vom 7. April 2020 wird auf die Anlage K 1 im Anlagenband Kläger Bezug genommen.

Die Klägerin betreibt in Berlin seit Ende 2019 unter dem Namen S. einen Catering-Service.

Am 14. März 2020 erließ der Senat von Berlin eine Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Berlin (Abgedruckt im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, 76. Jahrgang, Seite 210, 211). Unter anderem untersagte der Senat in § 1 Abs. 1 der Verordnung die Durchführung von öffentlichen und nichtöffentlichen Veranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmern. Mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung vom 21. März 2020 (Abgedruckt im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, 76. Jahrgang, Seite 219) reduzierte der Senat die Teilnehmerzahl für Veranstaltungen auf 10 Personen.

Mit der Neunten Verordnung zur Änderung der SARS-Cov-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung vom 28. Mai 2020 (Abgedruckt im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, 76. Jahrgang, Seite 507 - 517) gestattete der Senat wieder sonstige Veranstaltungen und Zusammenkünfte im Innenraum ab dem 2. Juni 2020 mit bis zu 150 Personen und ab dem 30. Juni 2020 mit bis zu 300 Personen und sonstige Veranstaltungen und Zusammenkünfte unter freiem Himmel ab dem 2. Juni 2020 mit bis zu 200 Personen, ab dem 16. Juni 2020 mit bis zu 500 Personen und ab dem 30. Juni 2020 mit bis zu 1.000 Personen.

Die Klägerin stellte ihren Betrieb zunächst ein und zeigte ...

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