Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Ermessensspielraum des Rechtsanwalts bei der Gebührenbestimmung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Rechtsanwalt kann nur dann die Erhöhung der 1,3-fachen Geschäftsgebühr auf eine 1,5-fache Gebühr verlangen, wenn die Voraussetzungen von Nr. 2300 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG vorliegen, d.h. die Tätigkeit umfänglich oder schwierig war.

Ob diese Voraussetzungen vorliegen, unterliegt der gerichtlichen Überprüfung (entgegen BGH MDR 2011, 454 f.)

 

Normenkette

RVG § 14 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Lüneburg (Urteil vom 18.05.2011; Aktenzeichen 9 O 282/10)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung ihres weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des LG Lüneburg vom 18.5.2011 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Unter Abweisung der Klage im Übrigen wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.449,89 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.8.2010 sowie weitere 111,38 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5.11.2010 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 86 % und die Beklagte zu 14 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Seite i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.

Die Revision wird zugelassen, soweit der Senat von der Rechtsprechung des BGH abweicht, wonach dem Rechtsanwalt bei der Bestimmung der 1,3-fachen Geschäftsgebühr in einem Durchschnittsfall ein gerichtlich nicht überprüfbarer Spielraum von 20 % zustehen soll.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 23.5.2010 auf der Landstraße ... zwischen den Orten M. und G. ereignet hat.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen und des Sach- und Streitstands erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die beklagte Versicherung. Sie ist der Auffassung, dem Fahrer des klägerischen Fahrzeugs sei zumindest ein hälftiges Mitverschulden anzulasten aufgrund unangepasster Geschwindigkeit und nicht eingeschalteten Martinshorns. Die Beklagte rügt, das LG habe die vom Sachverständigen festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung nicht hinreichend im Urteil gewürdigt. Der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs habe sich in der konkreten Gefahrensituation völlig falsch verhalten. Statt sofort zu bremsen habe er zunächst versucht, unter Betätigung eines Fußschalters das Martinshorn einzuschalten. Erst dann habe er eine Ausweichbewegung gefahren und gebremst. Diese Bremsung sei dann viel zu spät gewesen. Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs sei deutlich erhöht, weil es sich um ein erheblich größeres Fahrzeug handele und dieses mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei. Deshalb dürfe die Betriebsgefahr nicht vollständig zurücktreten. Die Beklagte bestreitet weiterhin, dass hier höchste Eile für den RTW-Fahrer geboten gewesen sei. Der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs habe gegen das Übermaßgebot verstoßen. Der Einsatz des Martinshorns sei erforderlich gewesen, weil es sich bei dem Einmündungsbereich um einen Gefahrenbereich gehandelt habe.

Die Beklagte beantragt unter Abänderung des am 18.5.2011 verkündeten Urteils des LG Lüneburg die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Er ist der Ansicht, das Maß der Verursachung auf Seiten der Fahrzeugführerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs sei so erheblich, dass die vom Unfallgegner ggf. zu tragende Verantwortung dahinter zurücktrete. Der Unfall beruhe auf einem groben Verkehrsverstoß der Führerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs. Zum Einsatz des Martinshorns sei der Fahrer des RTW nicht verpflichtet gewesen, weil weder eine Ampelkreuzung mit Rotlicht noch ein entsprechendes Verkehrsaufkommen im Rahmen eines Kreuzungsbereichs vorgelegen hätten. Es habe kein Anlass bestanden, das Signalhorn zusätzlich einzuschalten, weil während des Zufahrens auf den Kreuzungsbereich keine anderen Verkehrsteilnehmer sichtbar gewesen seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und das Sitzungsprotokoll vom 13.12.2011 Bezug genommen.

Die Ermittlungsakten 5106 Js 18542/10 lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II. Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache teilweise Erfolg.

1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte - entgegen der Auffassung des LG - nur ein Anspruch auf Ersatz von 75 % der durch den Unfall entstandenen Schäden aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 VVG zu.

Der Unfall war für beide Seiten nicht nachweislich unabwendbar. Der von der Staatsanwaltschaft bestellte Sachverständige H. G. hat festgestellt, dass der Unfall für den Fahrer des Rettungswagens bei einer Geschwindigkeit von ca. 83 bis 87 km/h vermeidbar gewesen wäre (Seite 20 d...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge