Leitsatz (amtlich)

Eine die Kostenentscheidung betreffende Anhörungsrüge ist in allen Rechtszügen dann statthaft, wenn ein Rechtsmittel gegen die Kostenentscheidung gemäß § 99 Abs. 1 ZPO nicht gegeben ist, weil gegen die Entscheidung in der Hauptsache kein Rechtsmittel eingelegt wird.

§ 97 Abs. 2 ZPO findet - unabhängig von der Stellung als Rechtsmittelführer oder Rechtsmittelgegner und unabhängig vom Obsiegen oder Unterliegen im ersten Rechtszug - entsprechende Anwendung, wenn die materiell-rechtlichen oder verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für das Obsiegen erst im zweiten Rechtszug geschaffen worden oder eingetreten sind. Dies gilt jedenfalls im Hinblick auf Umstände, die nicht dem Bereich der Gegenpartei, sondern dem Bereich der im zweiten Rechtszug obsiegenden Partei zuzurechnen sind und welche einer vernünftig und wirtschaftlich denkenden Partei Anlass gegeben hätten, mit ihrer Rechtsverfolgung bis zum Eintritt dieser Umstände abzuwarten.

Dass die im zweiten Rechtszug obsiegende Partei bereits im ersten Rechtszug (auf Grund einer fehlerhaften rechtlichen Würdigung des Sachverhalts durch das Gericht des ersten Rechtszugs) obsiegt hat, lässt die Annahme eines Verschuldens hinsichtlich der zunächst unterbliebenen Herbeiführung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Obsiegens nicht entfallen.

 

Normenkette

RVG § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 5, § 10 Abs. 1 S. 1; ZPO §§ 321a, 97 Abs. 2, § 99 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2-19 O 18/19)

 

Tenor

Klägerin, Widerbeklagte und Berufungsbeklagte,

werden die Gehörsrüge und die hilfsweise Gegenvorstellung der Klägerin und Berufungsbeklagten gegen die Kostenentscheidung in dem am 10.2.2021 verkündeten Urteil des Senats zurückgewiesen.

 

Gründe

Mit ihrer am 24.2.2021 beim Oberlandesgericht eingegangenen Gehörsrüge und hilfsweisen Gegenvorstellung wendet sich die Rügeführerin, die im ersten Rechtszug mit ihrer Klage obsiegt hatte, gegen die Kostenentscheidung in dem ihr am 16.2.2021 zugestellten Urteil des Senats vom 10.2.2021, mit welcher ihr die Kosten des zweiten Rechtszugs gemäß § 97 Abs. 2 ZPO auferlegt worden waren, nachdem sie erst im Laufe des Berufungsverfahrens auf Hinweis des Senats eine § 10 Abs. 1 RVG genügende Berechnung ihrer Vergütung erteilt hatte, was ihrer Klage und der Verteidigung gegen die Berufung im zweiten Rechtszug zum teilweisen Erfolg verhalf. Die Revision gegen das Urteil war zugelassen worden. Eine Erörterung der vom Senat zu treffenden Kostenentscheidung war weder in den Schriftsätzen der Parteien noch im Rahmen der mündlichen Verhandlung oder den dieser vorausgegangenen Hinweisen des Senats erfolgt.

Die Rügeführerin, die die Entscheidung in der Hauptsache akzeptiert, sieht durch die vom Senat getroffene Kostenentscheidung ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Sie trägt vor, bei der Kostenentscheidung handele es sich um eine Überraschungsentscheidung, mit welcher sie nicht habe rechnen können und zu welcher sie deshalb auch nicht habe vortragen können. Zwar könne § 97 Abs. 2 ZPO grundsätzlich auch gegenüber der im ersten Rechtszug obsiegenden Partei angewandt werden. Dies setze jedoch ein der Partei vorwerfbares Verhalten voraus, welches nur dann gegeben sei, wenn sie neues Vorbringen im zweiten Rechtszug bereits im ersten Rechtszug hätte vorbringen können. Hierfür habe indes keine Veranlassung bestanden, weil der Klägerin die von der Rechtsauffassung des Landgerichts abweichende Rechtsauffassung des Senats im ersten Rechtszug noch nicht habe bekannt sein können. Ein Verschulden der Klägerin könne deshalb schon rein begrifflich nicht vorliegen, worauf sie hätte hinweisen können, wenn ihr rechtliches Gehör zu dieser Frage gewährt worden wäre.

Die Gehörsrüge ist zulässig.

Sie ist innerhalb der Frist des § 321a Abs. 2 Satz 1 ZPO in der durch § 321a Abs. 2 Satz 4 und 5 ZPO vorgeschriebenen Form erhoben worden.

Die auf die Kostenentscheidung beschränkte Gehörsrüge ist statthaft, obwohl § 321a ZPO eigentlich nur für das Verfahren vor den Landgerichten gilt und obwohl gegen die Entscheidung in der Hauptsache das Rechtsmittel der Revision eröffnet (gewesen) ist. Der Senat schließt sich insoweit der in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur vorherrschenden Meinung an, wonach eine die Kostenentscheidung betreffende Anhörungsrüge in allen Rechtszügen dann statthaft ist, wenn ein Rechtsmittel gegen die Kostenentscheidung gemäß § 99 Abs. 1 ZPO nicht gegeben ist, weil gegen die Entscheidung in der Hauptsache kein Rechtsmittel eingelegt wird (so auch BVerfG, Beschluss vom 4.7.2016 - 2 BvR 1552/14, juris; OLG Celle, FamRZ 2003, 1577; OLG Frankfurt am Main, NJW 2005, 517; LG Leipzig, NZV 2008, 514; OLG Bamberg, Beschluss vom 7.5.2015 - 2 U 2/14 - juris; FG München, Beschluss vom 12.5.2011 - K 854/11, juris, zu § 133a FGO; BeckOK-ZPO/Bacher, Stand 1.12.2020, § 321a, Rdnr. 4.2; Münchener Kommentar zur ZPO/Schulz, 6. Aufl. 2020, § 99, Rdnr. 19; a.A. BVerwG, Beschluss vom 29.7.2009 - 5 B 46/09, juris, zu § 152a VwGO). Eine Umgeh...

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