Entscheidungsstichwort (Thema)

Einbeziehung noch nicht vollständig entstandener Forderung in Insolvenzverfahren

 

Verfahrensgang

LG Darmstadt (Entscheidung vom 13.07.2016; Aktenzeichen 16 O 153/15)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 11.10.2018; Aktenzeichen IX ZR 217/17)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 13.07.2016 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Darmstadt mit dem Sitz in Offenbach am Main wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Der Wert der Berufung wird auf 2.447.285 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht als Rechtsnachfolgerin der Bank1 Ansprüche aus abgetretenem Recht der X mbH geltend. Der Beklagte ist seit dem 01.11.2008 Insolvenzverwalter der Y GmbH.

Wegen der erstinstanzlich getroffenen Tatsachenfeststellungen und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Blatt 118 ff. d. A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage auf Feststellung einer Forderung von 16.315.229,25 EUR zur Insolvenztabelle stattgegeben. Wegen der entsprechenden Erwägungen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgt der Beklagte sein Ziel der Abweisung der Klage weiter. Er rügt Rechtsfehler des Landgerichts, das die Bestimmung des § 109 Abs. 2 InsO falsch angewandt habe. Zudem sei zum Zeitpunkt der Aufforderung durch die X ein bestehendes Mietverhältnis nicht mehr vorhanden gewesen, weshalb der Beklagte hierin auch nicht habe eintreten können. Ein Schadensersatzanspruch beschränke sich im Übrigen auch auf einen Zeitraum von drei Monaten.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Darmstadt, Kammer für Handelssachen mit dem Sitz in Offenbach am Main, vom 13.07.2016 zu Aktenzeichen 16 O 153/15 die Klage abzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der vorgetragenen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Landgericht den Beklagten verurteilt, die von der Klägerin zur laufenden Nummer 124 angemeldete Forderung in Höhe von 16.315.229,25 EUR zur Insolvenztabelle festzustellen, weil es sich um einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Anspruch gegen die Insolvenzschuldnerin handelt (§§ 38, 175 InsO).

Zwar geht der Senat im Gegensatz zum Landgericht nicht davon aus, dass zwischen den Parteien ein Vertragsverhältnis im Sinne von § 109 Abs. 2 InsO bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestanden hatte. Denn die vertragliche Regelung in der Mietbeitrittsvereinbarung regelt ausdrücklich, dass der Mietbeitritt erst mit Zugang der Aufforderung, dem Mietvertrag beizutreten, erfolgt ist (Ziffer 2 am Ende) und dass im Fall eines - wie hier - bereits vorzeitig beendeten Mietvertrags ein neuer Mietvertrag abzuschließen ist (Nr. 4). Da die Aufforderung zum Abschluss eines Mietvertrages erst mit Schreiben vom 31.07.2009 und damit lange nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte und ihr zudem vom Beklagten nicht entsprochen wurde, fehlt es an der Voraussetzung eines bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründeten Vertragsverhältnisses.

Gleichwohl bestand bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits ein begründeter Anspruch gegenüber der Insolvenzschuldnerin. Grundsätzlich sind in das Insolvenzverfahren auch Forderungen einzubeziehen, die vor Verfahrenseröffnung noch nicht vollständig entstanden sind. Auch eine befristete oder bedingte Forderung genügt (vgl. §§ 41, 191 InsO). Eine Insolvenzforderung ist dann gegeben, wenn der Tatbestand der Forderungsbegründung so weit verwirklicht ist, dass der Gläubiger eine gesicherte Rechtsposition im Sinne einer Anwartschaft innehat. Daher ist es insbesondere auch ausreichend, dass der Gläubiger seine Forderung durch Ausübung eines ihm zustehenden, nicht zerstörbaren Gestaltungsrechts zur Entstehung bringen kann (vgl. Jacoby in: Jaeger, InsO, 2014, § 103 Rn. 74; anders allerdings Henckel, ebenda, § 38 Rn. 64). In der Rechtsprechung sind deshalb auch bereits vorkonkurslich erworbene Abfindungsansprüche außenstehender Aktionäre (vgl. BGH, NJW-RR 2008, 846 [BGH 17.03.2008 - II ZR 45/06]) oder auf Abschluss eines Vertrages gerichtete Andienungsrechte nach dem SachenRBerG (vgl. BGH, NJW-RR 2002, 1198, 1199 [BGH 18.04.2002 - IX ZR 161/01]) jedenfalls als Insolvenzforderungen behandelt worden.

So liegt der Fall hier. Wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, hatte die Insolvenzschuldnerin keinerlei Gestaltungsspielraum hinsichtlich des Vertragsschlusses oder de...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge