Leitsatz (amtlich)

1. Wissen sowohl Frachtführer als auch Versender, dass der Transport, mit dem der Frachtführer beauftragt wird, eine nicht unerhebliche Strecke auf dem Landweg durchgeführt wird, verabreden sie konkludent eine multimodale Beförderung, auch wenn die AGB des Frachtführers besagen, dass die Beförderung per Luftfracht vereinbart wird.

2. Auf die Vermutung von Art. 18 Abs. 4 Satz 2 MÜ kann sich nicht nur der Versender berufen. Behauptet aber der Versender, dass der Verlust nicht während der Luftbeförderung eingetreten ist, ist der Frachtführer nach Treu und Glauben gehalten, zu den Umständen des Transports und des Verlustes detailliert vorzutragen. Kommt der Frachtführer seiner Obliegenheit (sekundären Darlegungslast) nicht nach, ist der Gegenbeweis zur Widerlegung der Vermutung von Art. 18 Abs. 4 Satz 2 MÜ als geführt anzusehen.

 

Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Urteil vom 30.12.2009; Aktenzeichen 15 O 70/09 KfH IV)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 10.05.2012; Aktenzeichen I ZR 109/11)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerinnen wird das Urteil des LG Karlsruhe vom 30.12.2009 - 15 O 70/09 KfH IV - geändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Erstklägerin 8.792,67 EUR,

an die Zweitklägerin 3.663,61 EUR und

an die Drittklägerin 2.198,17 EUR,

jeweils zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2.7.2009 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen hat die Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerinnen machen aufgrund angeblich übergegangenen Rechts Schadensersatz auf Grund des Verlustes eines der Beklagten zur Beförderung übergebenen Pakets geltend.

Die Beförderung des Pakets an den in den Niederlanden ansässigen Empfänger beauftragte am 27.6.2008 die I.-GmbH in E. (im Folgenden: Versenderin). Auf dem Frachtbrief war ein Zoll-/Warenwert von 14.980 EUR und ein Versicherungswert von 500 US$ angegeben. Das Paket erreichte den Empfänger nicht. Die Beklagte übersandte in der Folge der Versenderin einen Scheck über 318,55 EUR (entsprach dem angegebenen Versicherungswert), den diese einlöste. Im Begleitschreiben vom 9.9.2008 wies die Beklagte darauf hin, dass alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Schadensereignis mit der Scheckeinlösung abgegolten seien.

Die Klägerinnen haben vorgetragen, sie seien Valorenversicherer eines dritten Unternehmers. Die Versenderin sei mitversichert. Das Paket habe Schmuckstücke im Wert von 14.973 EUR enthalten.

Die Beklagte hat eingewandt, sie hafte nur nach den Bestimmungen des Montrealer Übereinkommens (MÜ). Auf Grund ihrer allgemeinen Geschäftsbedingungen, die auf der Rückseite des Luftfrachtbriefs abgedruckt gewesen seien, sei Luftfracht vereinbart gewesen. Sie habe das Paket in Kelsterbach einem Drittunternehmer zur Luftbeförderung übergeben.

Das LG hat mit dem angefochtenen Urteil, auf das Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Die Beklagte hafte für den Verlust gem. Art. 22 Abs. 3 MÜ nur für einen Betrag, der durch ihre Zahlung ausgeglichen sei. Die Parteien hätten auf Grund der allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten Luftfracht vereinbart. Gemäß Art. 18 Abs. 4 Satz 1 MÜ werde vermutet, dass der Schaden durch ein während der Luftbeförderung eingetretenes Ereignis verursacht worden sei. Der Transport zum und vom Flughafen sei interne Angelegenheit der Beklagten gewesen, so dass der Vertrag vom Lufttransport geprägt gewesen sei. Durch die Angabe des Zollwerts sei keine höhere Haftung als die nach Art. 22 Abs. 3 MÜ vereinbart worden.

Mit ihrer Berufung gegen dieses Urteil verfolgen den Klägerinnen ihre Ansprüche in vollem Umfang weiter. Zur Begründung führen sie aus, dass keine Luftbeförderung vereinbart gewesen sei. Eine derartige Vereinbarung hätte die Beklagte nicht dargelegt. Deren allgemeine Geschäftsbedingungen könnten vertragliche Absprachen nicht ersetzen. Somit fänden die Vorschriften eines multimodalen Transports Anwendung. In diesem Rahmen sei nicht Art. 18 MÜ einschlägig, da der Schaden nicht bei der Luftbeförderung eingetreten sei. Der Transport über Land sei auch kein Annextransport gewesen, da nicht der nächstgelegene Flughafen angefahren worden sei. Die Beklagte habe vielmehr einen Lastkraftwagen als gleichrangiges Transportmittel eingesetzt. Es bleibe bestritten, dass das Paket an einen Drittunternehmer in Frankfurt übergeben worden sei. Die Sendung habe vielmehr den Flughafen überhaupt nicht erreicht. Was mit der Sendung geschehen sei und wo sie verloren gegangen sei, sei unklar.

Die Klägerinnen beantragen, das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Erstklägerin 8.792,67 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, an d...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge