Leitsatz (amtlich)

Bei einem Verkehrsunfall eines inländischen Verkehrsteilnehmers im Ausland ist die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte zu bejahen, wenn der Geschädigte Direktklage gegen den ausländischen Haftpflichtversicherer erhebt.

 

Verfahrensgang

AG Aachen (Aktenzeichen 8 C 545/04)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 06.05.2008; Aktenzeichen VI ZR 200/05)

BGH (Beschluss vom 26.09.2006; Aktenzeichen VI ZR 200/05)

 

Tenor

Die Klage ist zulässig.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

(gemäß § 540 ZPO):

I. Der Kläger macht gegen die Beklagte, die niederländische Haftpflichtversicherung des Unfallgegners, Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 28.12.2003 in den Niederlanden auf der A 76 zwischen Maastricht und Aachen ereignete.

Das AG hat die Klage mit Urt. v. 27.4.2005, auf das wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird, wegen fehlender internationaler Zuständigkeit deutscher Gerichte als unzulässig abgewiesen.

Gegen das ihm am 28.4.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Er ist nach wie vor der Rechtsauffassung, dass sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1b EuGVVO ergebe.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des AG Aachen vom 27.4.2005 zu verurteilen, an ihn 3.098,61 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.4.2004 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

II. Die Voraussetzungen für ein Zwischenurteil über die Zulässigkeit der Klage liegen vor, da die Parteien über die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte streiten.

Entgegen der Rechtsauffassung des AG ist die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte zu bejahen. Sie ist aus Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1b EUGVVO herzuleiten.

Gemäß Art. 11 Abs. 2 EuGVVO ist auf eine Klage, die der Geschädigte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt, u.a. Art. 9 EuGVVO anzuwenden, sofern eine solche unmittelbare Klage - wie auch vorliegend (vgl. Art. 7 Nr. 2 WAM-Gesetz über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung v. 30.5.1963) - zulässig ist. Die Verweisung bedeutet nach Rechtsauffassung des Senates, dass Art. 9 Abs. 1b EuGVVO auf den Geschädigten entsprechend anwendbar sein soll, was zur Folge hat, dass er die Direktklage an seinem eigenen Wohnsitz erheben kann.

Diese Auslegung entspricht dem ausdrücklichen Willen des Europäischen Verordnungsgebers und ist mit dem Wortlaut der auszulegenden Norm sowie deren Zweck und Entstehungsgeschichte vereinbar.

Der Wille des Verordnungsgebers kommt eindeutig in der Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 11.5.2005 zum Ausdruck. Hiernach wird u.a. die Richtlinie 2000/26/EG vom 16.5.2000 (zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ...) geändert und um folgende Erwägung ergänzt: "(16a): Nach Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1b der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen kann der Geschädigte den Haftpflichtversicherer in dem Mitgliedsstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, verklagen." Der Entwurf dieser legislativen Entschließung des Europäischen Parlamentes stammt von dem Ausschuss für Recht und Binnenmarkt, in dessen Bericht vom 10.10.2003 - A 5-0346/2003 - die entsprechende Änderung der vierten Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie vom 16.5.2000 damit begründet wurde, dass nach der am 22.12.2000 verabschiedeten EuGVVO für den Geschädigten in dem Mitgliedsstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, ein Gerichtsstand gegen den Haftpflichtversicherer begründet worden sei und es deshalb erforderlich erscheine, auf diese "neue Rechtslage" in einer Erwägung hinzuweisen.

Dieser nachträglich geäußerte Wille des Verordnungsgebers steht im Einklang mit Sinn und Zweck der ggü. dem EuGVÜ geänderten Vorschriften der EuGVVO. In Art. 9 Abs. 1b EuGVVO wurde im Bereich der Versicherung die Zuständigkeit des Gerichts an dem Ort, an dem der Kläger seinen Sitz hat, neben dem Versicherungsnehmer auf den Versicherten und den Begünstigten ausgedehnt. Sinn und Zweck dieser Neuregelung war es, den Schutz der ggü. dem Versicherer schwächeren Partei zu stärken (so die Begründung des Verordnungsentwurfs durch die Kommission, KOM 1999 (348) sowie der Bericht des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt vom 18.9.2000 über diesen Vorschlag - A5-0346/2003). Der Schutz der schwächeren Partei rechtfertigt aber gleichermaßen auch bei Klagen des Unfallopfers die Einräumung eines Klägergerichtsstandes, da sich dieses ebenfalls ggü. dem Versicherer in einer schwächeren Position befindet und bei einem Unfall im Ausland besonders schutzbedürftig ist.

Der Wille des Europäischen Verordnungsgebers, wie er ihn in der fünften Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie eindeut...

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