Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeitsbestimmung
Leitsatz (amtlich)
Einer Verweisung an das Gericht der Ehesache nach § 621 Abs. 3 Satz 1 ZPO steht jedenfalls in einer zivilprozessualen Familiensache des § 621 Abs. 1 ZPO nicht entgegen, daß ein Rechtsmittelgericht noch über die Beschwerde gegen eine die erste Instanz nicht abschließende Entscheidung (hier: Prozeßkostenhilfebeschluß) zu befinden hat (Abgrenzung zum Senatsbeschluß vom 22. Mai 1985 – IVb ARZ 15/85 – FamRZ 1985, 800).
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 3, § 621 Abs. 3 S. 1, Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Zuständig ist das Oberlandesgericht Dresden.
Gründe
I.
Das Familiengericht Syke hat der Klägerin für eine Klage auf Trennungsunterhalt die begehrte Prozeßkostenhilfe zunächst versagt. Durch Beschluß vom 26. Mai 2000 hat es der Beschwerde der Klägerin teilweise abgeholfen. Am 8. Juni 2000 ist die Klageschrift dem Beklagten zugestellt worden. Mit Beschluß vom 29. August 2000 hat das Familiengericht der weitergehenden Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache mit Verfügung von demselben Tag dem Oberlandesgericht Celle zur Entscheidung vorgelegt. Dort sind die Akten am 4. September 2000 eingegangen. Bereits am 30. August 2000 war die Ehesache der Parteien bei dem Amtsgericht Plauen rechtshängig geworden. Auf die entsprechende Mitteilung des Familiengerichts Syke hat das Oberlandesgericht die Akten mit Verfügung vom 15. September 2000 dem Amtsgericht Syke „zur weiteren Veranlassung gemäß § 621 Abs. 3 ZPO” zurückgesandt. Das Amtsgericht – Familiengericht – Syke hat sich mit Beschluß vom 21. September 2000 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht – Familiengericht – Plauen verwiesen. Letzteres hat die Akten dem Oberlandesgericht Dresden zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt. Das Oberlandesgericht Dresden hat sich durch Beschluß vom 30. Oktober 2000 für örtlich unzuständig erklärt und das Beschwerdeverfahren an das „örtlich zuständige” Oberlandesgericht Celle zurückgegeben. Das Oberlandesgericht Celle hat sich durch Beschluß vom 8. Dezember 2000 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt. Durch Beschluß vom 16. Januar 2001 hat es die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt, weil es hinsichtlich der Frage der Zuständigkeit von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden abweichen will.
II.
Die Voraussetzungen für eine Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof nach § 36 Abs. 3 ZPO liegen vor.
1. Das Oberlandesgericht Celle will bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden vom 30. Oktober 2000 abweichen. Für eine Entscheidung gemäß § 36 Abs. 2 ZPO ist das vorlegende Oberlandesgericht zuständig. Nach dieser Vorschrift wird, wenn das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht – wie im vorliegenden Fall – der Bundesgerichtshof ist, das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befaßte Gericht gehört. Dieses eröffnet die Bestimmungskompetenz für das Oberlandesgericht seines Bezirks, und zwar auch dann, wenn sich Kompetenzkonflikte erst auf der Ebene der Oberlandesgerichte ergeben (BGH, Beschluß vom 9. Februar 1999 – X ARZ 23/99 – NJW-RR 1999, 1081; Musielak/Smid ZPO 2. Aufl. § 36 Rdn. 7; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 59. Aufl. § 36 Rdn. 10). Daher ist die Bestimmungskompetenz des Oberlandesgerichts Celle begründet, nachdem das in seinem Bezirk gelegene Amtsgericht Syke zuerst mit der Sache befaßt war.
2. Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Oberlandesgericht Celle als auch das Oberlandesgericht Dresden haben sich durch rechtskräftige, den Parteien bekannt gemachte Beschlüsse für unzuständig erklärt, über die Beschwerde der Klägerin zu entscheiden. Für die Anwendbarkeit der Vorschrift reicht es aus, daß die unterschiedlichen Meinungen allein die Zuständigkeit für die Entscheidung über ein Rechtsmittel betreffen (Senatsbeschlüsse vom 19. Oktober 1983 – IVb ARZ 35/83 – FamRZ 1984, 36; vom 16. Mai 1984 – IVb ARZ 20/84 – FamRZ 1984, 774, 775; vgl. auch Senatsbeschluß vom 4. Mai 1994 – XII ARZ 36/93 – BGHR ZPO § 36 Nr. 6 Rechtsmittelgericht 2).
3. Die Frage, welches Oberlandesgericht zur Entscheidung über die Beschwerde berufen ist, hängt von der Beantwortung der der Vorlage zugrunde gelegten Rechtsfrage ab. Eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Celle ergibt sich nicht aus einer bindenden Wirkung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Dresden. Selbst wenn der Beschluß eine Verweisung enthielte, wäre diese nicht bindend. Verweisungsbeschlüsse von einem Rechtsmittelgericht an ein anderes entfalten, von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen, grundsätzlich keine Bindungswirkung (Senatsbeschlüsse vom 19. Oktober 1983 und vom 16. Mai 1984 jew. aaO).
Das Oberlandesgericht Dresden hat seine Zuständigkeit verneint, weil durch die Überleitung der Familiensache durch das Amtsgericht Syke an das Amtsgericht Plauen kein Zuständigkeitswechsel in der Rechtsmittelinstanz eingetreten sei. In der Rechtsmittelinstanz anhängige Familiensachen seien nicht überzuleiten, denn der fortgeschrittene Verfahrensstand verbiete einen Zuständigkeitswechsel. Da die Beschwerdesache vor der Überleitung in der Rechtsmittelinstanz anhängig geworden sei, müsse das Oberlandesgericht Celle zunächst über die Beschwerde entscheiden. Erst danach habe das Familiengericht die Sache überzuleiten.
Das Oberlandesgericht Celle hat demgegenüber die Auffassung vertreten, daß die ausstehende Entscheidung eines Rechtsmittelgerichts einer Überleitung dann nicht entgegenstehe, wenn über die Beschwerde gegen eine die erste Instanz nicht abschließende Entscheidung – wie hier gegen einen Prozeßkostenhilfebeschluß – zu befinden sei. In einem solchen Fall könne der Zweck des § 621 Abs. 2 ZPO, alle Entscheidungen bei dem Gericht der Ehesache zu konzentrieren, uneingeschränkt erreicht werden, weshalb die Beschwerdeentscheidung über den Prozeßkostenhilfeantrag von dem auch für ein etwaiges Berufungsverfahren zuständigen Oberlandesgericht Dresden zu treffen sei.
Der Senat teilt die Auffassung des Oberlandesgericht Celle. Für die Entscheidung über die Beschwerde gegen den – eine Familiensache im Sinne des § 621 Abs. 1 Nr. 5 ZPO betreffenden – Prozeßkostenhilfebeschluß des Amtsgerichts Syke ist das Oberlandesgericht Dresden zuständig.
Nach § 621 Abs. 3 Satz 1 ZPO ist eine bei einem anderen Gericht im ersten Rechtszug anhängige Familiensache der in Absatz 2 Satz 1 genannten Art von Amts wegen an das Gericht der Ehesache zu verweisen oder abzugeben, wenn eine Ehesache rechtshängig wird. Daraus folgt die Notwendigkeit der Überleitung an das Gericht der Ehesache, solange die andere Familiensache im ersten Rechtszug anhängig ist. Das ist so lange der Fall, als dort noch keine abschließende Entscheidung ergangen ist. Erst danach ist für eine Überleitung kein Raum mehr. Allein dieses Verständnis entspricht dem in der Herbeiführung einer Entscheidungskonzentration bei ein und demselben Gericht bestehenden Zweck der Regelung (Senatsbeschluß vom 22. Mai 1985 – IVb ARZ 15/85 – FamRZ 1985, 800, 801 m.N.).
Da der vorliegende Rechtsstreit noch in erster Instanz anhängig ist, auch wenn wegen der teilweisen Versagung von Prozeßkostenhilfe Beschwerde eingelegt wurde, lagen die Voraussetzungen einer Verweisung gemäß § 621 Abs. 3 Satz 1 ZPO an das Amtsgericht Plauen als Gericht der Ehesache seit der am 30. August 2000 eingetretenen Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens vor. Aufgrund der durch Beschluß des Amtsgerichts Syke vom 21. September 2000 erfolgten Verweisung an das Amtsgericht Plauen ist der Rechtsstreit dort anhängig geworden (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Zur Entscheidung über die Beschwerde ist deshalb das diesem übergeordnete Oberlandesgericht zuständig (§ 568 Abs. 1 ZPO).
Dem steht nicht entgegen, daß die Beschwerde vor der erfolgten Überleitung bei dem Oberlandesgericht Dresden eingegangen war (a.A. Zöller/Philippi ZPO 22. Aufl. § 621 Rdn. 94). Maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob die Konzentrationswirkung zum Zuge kommt, ist nicht der Zeitpunkt der Überleitung, sondern derjenige des Eintritts der Rechtshängigkeit der Ehesache (vgl. BGH, Beschluß vom 27. Februar 1980 – IV ZR 198/78 – FamRZ 1980, 444, 445). Andernfalls wäre die Zuständigkeit davon abhängig, wann das Gericht des ersten Rechtszuges die Mitteilung des Gerichts der Ehesache über die dort eingetretene Rechtshängigkeit erhält und in der Folgezeit die Überleitung beschließt. Das ist – abgesehen davon, daß die Zuständigkeit dann von Unwägbarkeiten abhinge und nicht voraussehbar wäre – auch mit der Regelung des § 621 Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht in Einklang zu bringen.
Unterschriften
Hahne, Krohn, Gerber, Weber-Monecke, Wagenitz
Fundstellen
Haufe-Index 584947 |
NJW 2001, 1499 |
BGHR 2001, 569 |
FamRZ 2001, 618 |
FuR 2001, 368 |
Nachschlagewerk BGH |