Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung. Berufung. Organisationsverschulden. Ausgangskontrolle
Leitsatz (redaktionell)
Vergisst die Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten, einen einzelnen Sendebericht weisungsgemäß auf vollständigen Versand per Telefax zu überprüfen, handelt es sich um ein unvorhersehbares Versehen der Mitarbeiterin, das dem Prozessbevollmächtigten nicht zum Verschulden gereicht, insbesondere wenn sie ihm den Faxversand auf ausdrückliche Nachfrage wahrheitswidrig bestätigt.
Normenkette
ZPO §§ 233, 517, 85 Abs. 2
Verfahrensgang
Brandenburgisches OLG (Beschluss vom 07.11.2006; Aktenzeichen 7 U 160/06) |
LG Potsdam (Urteil vom 11.08.2006; Aktenzeichen 10 O 97/06) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 7. Zivilsenats des OLG Brandenburg vom 7.11.2006 aufgehoben.
Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Potsdam vom 11.8.2006 gewährt.
Im Übrigen wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gebührenstreitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 5.429,18 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
[1] Das Urteil des LG, mit dem die Beklagte verurteilt worden ist, an den Kläger 5.429,18 EUR nebst Zinsen zu zahlen, ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 21.8.2006 zugestellt worden. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit einem am 22.9.2006 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt.
[2] Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen und durch anwaltliche Versicherung sowie eidesstattliche Versicherung bekräftigt, ihr Prozessbevollmächtigter habe am 21.9.2006 die von ihm ordnungsgemäß gefertigte und unterzeichnete Berufungsschrift der in der Kanzlei seit 2002 beschäftigten und für die Überwachung und Einhaltung der Fristen zuständigen Rechtsanwaltsfachangestellten mit der ausdrücklichen Weisung übergeben, diesen Schriftsatz zur Wahrung der Berufungsfrist vorab an das Berufungsgericht zu faxen und darauf zu achten, dass der ordnungsgemäße Versand der Berufungsschrift durch positiven Telefaxbericht bestätigt werde. Ihr Prozessbevollmächtigter habe, als seine Rechtsanwaltsfachangestellte das Büro verlassen habe, nachgefragt, ob die Berufungsschrift vollständig per Telefax an das Berufungsgericht übertragen und ein entsprechender positiver Telefaxbericht vom Faxgerät ausgedruckt worden sei, was diese ihm bestätigt habe.
[3] Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag durch Beschluss als unbegründet zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Berufungsfrist sei wegen eines der Beklagten zuzurechnenden Organisationsverschuldens ihres Prozessbevollmächtigten im Hinblick auf eine wirksame Ausgangskontrolle versäumt worden. Die Anweisung des Prozessbevollmächtigten an seine Mitarbeiterin, den ordnungsgemäßen Versand der Berufungsschrift per Telefax durch positiven Telefaxbericht zu bestätigen, verhalte sich nicht darüber, unter welchen Voraussetzungen die Notfrist im Fristenkalender zu löschen sei; folglich sei nicht sichergestellt gewesen, dass die Frist erst nach Kontrolle des Sendeberichts habe gelöscht werden dürfen.
II.
[4] Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
[5] 1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig, weil gemäß den nachstehenden Ausführungen die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (vgl. BGH, Beschl. v. 23.10.2003 - V ZB 28/03, BGHReport 2004, 266 = MDR 2004, 408 = NJW 2004, 367 unter II 1bb m.w.N.). Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 575 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
[6] 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zu Unrecht zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten daher zu Unrecht wegen Versäumung der Berufungsfrist verworfen. Die Beklagte war ohne ihr Verschulden verhindert, die Notfrist zur Einlegung der Berufung einzuhalten (§§ 233, 517 ZPO). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts beruht die Versäumung der Berufungsfrist nicht auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das die Beklagte sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsste.
[7] Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass nach der Rechtsprechung des BGH Prozessbevollmächtigte in ihrem Büro eine Ausgangskontrolle schaffen müssen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze rechtszeitig hinausgehen, und dass der Rechtsanwalt dieser Verpflichtung bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax nur dann nachkommt, wenn er seinen dafür zuständigen Mitarbeitern die Weisung erteilt, sich einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die Notfrist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen (BGH, Beschl. v. 26.1.2006 - I ZB 64/05, MDR 2006, 900 = BGHReport 2006, 746 = NJW 2006, 1519, unter III 1; v. 19.11.1997 - VIII ZB 33/97, NJW 1998, 907, unter II 1; jeweils m.w.N.).
[8] Das Berufungsgericht hat jedoch übersehen, dass es im Streitfall nicht darauf ankommt, ob sichergestellt war, dass die Frist erst nach Kontrolle des Sendeberichts gelöscht werden durfte. Hätte die Rechtsanwaltsfachangestellte der Einzelweisung des Prozessbevollmächtigten entsprochen und vor dem Verlassen der Kanzlei den ordnungsgemäßen Versand der Berufungsschrift per Telefax anhand des Telefaxberichts überprüft, hätte sie bemerkt, dass für die Berufungsschrift kein Sendeprotokoll vorlag. Sie hätte die Berufungsschrift dann noch fristwahrend an das Berufungsgericht übersenden können. Dass der Mitarbeiterin das Fehlen des Faxberichts nicht schon am Tag des Fristablaufs aufgefallen ist, weil sie, wie sie versichert hat, abgelenkt durch ein Telefonat die Faxberichte der per Telefax zu versendenden Schriftsätze vor dem Ablegen nicht nochmals einzeln geprüft hat, ist ein unvorhersehbares Versehen der Mitarbeiterin, das dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht zum Verschulden gereicht. Dies zumal er sich vor ihr, als sie das Büro verließ, bestätigen ließ, dass die Berufungsschrift vollständig per Telefax an das Berufungsgericht übertragen und ein entsprechender positiver Telefaxbericht vom Faxgerät ausgedruckt worden sei.
[9] 3. Nach alledem kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben und ist daher aufzuheben. Der Klägerin ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung zu gewähren. Im Übrigen ist die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1801194 |
ITRB 2007, 232 |