Leitsatz (amtlich)
Die durch § 17 a Abs. 4 GVG eröffnete Beschwerdemöglichkeit schließt es auch bei einem schwer wiegenden Rechtsfehler (hier: Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör) grundsätzlich aus, die Begründungwirkung der Verweisung des Rechtsstreits an das Gericht eines anderen Rechtswegs zu durchbrechen.
Normenkette
GVG § 17 a; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
Verfahrensgang
Tenor
Die Bestimmung des zuständigen Gerichts wird abgelehnt.
Gründe
I. Der Kläger hat beim ArbG Lüneburg Klage erhoben und die Feststellung beantragt, dass das von ihm behauptete Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten nicht durch fristlose Kündigung des Beklagten beendet worden sei. Darüber hinaus hat der Kläger beantragt, den Beklagten zur Zahlung von Arbeitslohn zu verurteilen. Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe mit dem Beklagten einen mündlichen Vertrag geschlossen, demzufolge er ab dem 1.8.2002 für ein monatliches Nettogehalt von 2.200 Euro als Geschäftsführer des einzelkaufmännischen Unternehmens des Beklagten tätig sein sollte.
Das ArbG hat den zur mündlichen Verhandlung nicht erschienenen Beklagten durch Versäumnisurteil antragsgemäß verurteilt. Dagegen hat der Beklagte Einspruch eingelegt und vorgetragen, zwischen den Parteien habe kein Arbeitsverhältnis, sondern eine "bedingte Partnerschaft" bestanden; diese habe er aufgekündigt.
Das ArbG hat Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch bestimmt und das persönliche Erscheinen der Parteien angeordnet. Außerdem hat es den Parteien aufgegeben, zu den Einzelheiten ihres Vertragsverhältnisses näher vorzutragen; dieser Aufforderung ist nur der Kläger nachgekommen.
Zur mündlichen Verhandlung ist der anwaltlich vertretene Kläger persönlich nicht erschienen. Der vom Gericht zu der Art der Zusammenarbeit mit dem Kläger befragte Beklagte hat erklärt, er habe dem Kläger eine 50prozentige Beteiligung an seinem Unternehmen vorgeschlagen, wenn er ihm helfe; von einem Arbeitsvertrag sei nie die Rede gewesen.
Nach einem Hinweis an die Parteien, dass unter diesen Umständen auch eine Verweisung des Rechtsstreits an das LG zu erwarten sei, hat das ArbG den Rechtsstreit mit einem am Schluss der Sitzung verkündeten und von den Parteien nicht angefochtenen Beschluss an das LG Stande verwiesen. Zur Begründung hat das ArbG ausgeführt, der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten sei nicht gegeben, weil der Kläger nicht als Arbeitnehmer in Sinne des § 2 ArbGG anzusehen sei. Der Beklagte habe die die Zuständigkeit des ArbG begründenden Umstände in der mündlichen Verhandlung über den Einspruch gegen das Versäumnisurteil substanziiert bestritten. Zu diesem Einwand habe sich der unentschuldigt nicht erschienene Kläger nicht erklären können. Als Folge davon sei der Vortrag des Beklagten als zugestanden zu werten; jedenfalls fehle es an einem substantiierten Gegenvorbringen des Klägers.
Das LG hat sich ebenfalls für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit dem BGH zur Bestimmung des Rechtswegs vorgelegt.
II. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind nicht gegeben.
1. Für Entscheidungen über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs trifft § 17 a GVG eine eigenständige Regelung, die einen Streit zwischen Gerichten verschiedener Rechtswege von vornherein ausschließen soll (BGH, Beschl. v. 9.4.2002 - X ARZ 24/02, BGHReport 2002, 748 = NJW 2002, 2474; v. 12.3.2002 - X ARZ 314/01, BGHReport 2002, 749; v. 13.11.2001 - X ARZ 266/01, BGHReport 2002, 216 = WM 2002, 406). Wenn das angerufene Gericht den zu ihm führenden Rechtsweg für unzulässig hält, hat es dies auszusprechen und den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs zu verweisen. Außerdem sieht das Gesetz vor, dass die Entscheidung auf ihre Richtigkeit hin in einem Instanzenzug überprüft werden kann, denn anders als die Verweisung wegen örtlicher und sachlicher Unzuständigkeit (§ 281 ZPO) unterliegt der nach § 17 a Abs. 2 GVG ergehende Verweisungsbeschluss der sofortigen Beschwerde (§ 17 a Abs. 4 GVG). Hieraus ist abzuleiten, dass ein nach § 17 a Abs. 2 GVG ergangener Beschluss, sobald er rechtskräftig geworden ist, einer weiteren Überprüfung entzogen ist. Die Regelung in § 17 a Abs. 5 GVG bestätigt dies (BGH, Beschl. v. 9.4.2002 - X ARZ 24/02, BGHReport 2002, 748 = NJW 2002, 2474). Angesichts dieser Rechtslage besteht die Bindungswirkung nach § 17 a Abs. 2 S. 3 GVG auch bei gesetzwidrigen Verweisungen (BGH v. 24.2.2000 - III ZB 33/98, BGHZ 144, 21 [24]; Beschl. v. 9.4.2002 - X ARZ 24/02, BGHReport 2002, 748 = NJW 2002, 2474).
Wenn ein Gericht nach § 17 a Abs. 2 S. 1 GVG rechtskräftig ausgesprochen hat, dass der zu ihm beschrittene Rechtsweg unzulässig ist, bedarf es deshalb einer Bestimmung durch ein übergeordnetes Gericht nicht mehr. Dem trägt § 36 ZPO Rechnung, der eine Bestimmung durch ein Obergericht oder eines Obersten Gerichtshof im Falle eines Streits zwischen Gerichten unterschiedlicher Rechtswege über die Zulässigkeit des Rechtswegs nicht vorsieht (BGH, Beschl v. 13.11.2001 - X ARZ 266/01, BGHReport 2002, 216 = WM 2002, 406; v. 12.3.2002 - X ARZ 314/01, BGHReport 2002, 749).
Auch der Streit zwischen dem ArbG Lüneburg und dem LG Stade ist hiermit entschieden. Das LG Stade ist das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs, weil der Rechtsstreit durch den unangefochtenen und nunmehr unanfechtbaren Beschluss des ArbG Lüneburg v. 6.2.2002 mit der sich aus § 17 b Abs. 1 GVG ergebenden Folge verwiesen worden ist, dass der Rechtsstreit nunmehr beim LG Stade anhängig ist.
2. Im vorliegenden Fall kann wie bislang in der Rechtsprechung des Senats unentschieden bleiben, ob trotz des in § 17 a Abs. 4 GVG vorgesehenen Instanzenzuges ein rechtskräftiger Beschluss nach § 17 a Abs. 2 GVG ausnahmsweise das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs nicht bindet (vgl. dazu BGH, Beschl v. 13.11.2001 - X ARZ 266/01, BGHReport 2002, 216 = WM 2002, 406; BAG, Beschl. v. 22.7.1998 - 5 AS 17/98, NZA 1998, 1190). Eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung ist in Anbetracht der durch § 17 a GVG selbst eröffneten Überprüfungsmöglichkeit allenfalls bei "extremen Verstößen" denkbar (BGH, Beschl v. 13.11.2001 - X ARZ 266/01, BGHReport 2002, 216 = WM 2002, 406; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 8.11.1994 - 9 AV 1.94, DVBl. 1995, 572), etwa wenn sich die Verweisungsentscheidung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen soweit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist (BGH v. 24.2.2000 - III ZB 33/98, BGHZ 144, 21 [25]; BVerfG, Beschl. v. 26.8.1991 - 2 BvR 121/90, NJW 1992, 359 [361]). Hiervon kann jedoch allenfalls dann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerfG BVerfGE 29, 45 [49]; vgl. auch BGH v. 5.10.1982 - X ZB 4/82, BGHZ 85, 116 [118 f.] = MDR 1983, 312; BFH, Beschl. v. 23.4.1991 - VII B 221/90, Rpfleger 1992, 82). Ein solcher Sachverhalt liegt hier nicht vor.
Dabei kann dahinstehen, ob das ArbG - wie das LG meint - dadurch, dass es nicht auf das schriftsätzliche Vorbringen des Klägers, sondern allein auf seine fehlende Äußerung in der mündlichen Verhandlung abgestellt hat, den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt hat. Dies hätte der Kläger mit der sofortigen Beschwerde gegen den Verweisungsbeschluss rügen können; wenn er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, sondern die Verweisung hingenommen hat, besteht kein Anlass, deswegen das LG als hinsichtlich seiner durch die Verweisung begründeten Zuständigkeit nicht gebunden anzusehen.
3. Die Vorlage gibt auch keine Veranlassung, in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ausnahmsweise einen Ausspruch zur Rechtswegzuständigkeit vorzunehmen, weil dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit notwendig wäre. Zwar ist ein solcher Ausspruch zu der sich aus § 17 a GVG ergebenden Rechtswegzuständigkeit möglich, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung von rechtskräftigen Verweisungsbeschlüssen kommt und keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (BGH, Beschl. v. 26.7.2001 - X ARZ 69/01, BGHReport 2001, 937 = MDR 2002, 351 = NJW 2001, 3631) oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, dass der Rechtsstreit von diesem nicht prozessordnungsgemäß gefördert werden wird, obwohl er gem. § 17 b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist (BGH, Beschl. v. 13.11.2001 - X ARZ 266/01, BGHReport 2002, 216 = WM 2002, 406 [407]). Derartige Annahmen finden jedoch allein in der Vorlage der Sache durch das LG keine hinreichende Grundlage.
Fundstellen
Haufe-Index 962604 |
NJW 2003, 2990 |
BGHR 2003, 1099 |
FamRZ 2003, 1461 |
JR 2004, 289 |
MDR 2003, 1369 |
KammerForum 2003, 419 |
ProzRB 2003, 319 |