Leitsatz (amtlich)
a) Bietet ein marktmächtiges Unternehmen nicht nur gelegentlich, d.h. über längere Zeit, jedenfalls aber systematisch handelnd, Waren unter Einstandspreis an, begründet dies die weder von einem Kausalitätsnachweis noch von der Feststellung einer spürbaren Beeinflussung der Wettbewerbsverhältnisse abhängige Vermutung, daß es seine überlegene Marktmacht zu Lasten der kleinen und mittleren Wettbewerber unbillig ausnutzt.
b) Diese Vermutung kann nur durch die Feststellung ausgeräumt werden, daß das betreffende Unternehmen ausnahmsweise sachlich gerechtfertigt handelt; die Unmöglichkeit, diese Feststellung zu treffen, geht zu seinen Lasten.
c) Verfolgt ein marktmächtiges Unternehmen eine Untereinstandspreisstrategie allein zu dem Zweck, die Folgen rechtswidriger Praktiken von Wettbewerbern abzuwehren, stellt dies allein keinen sachlich gerechtfertigten Grund im Sinne des § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB dar, weil hierdurch zu Lasten der geschützten Unternehmen die schädlichen Auswirkungen dieses verbotenen Verhaltens verstärkt werden.
Normenkette
GWB § 20 Abs. 4 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts wird – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels – der Beschluß des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 19. Dezember 2001 im Kostenpunkt und hinsichtlich der die Komplexe „H-Milch” und „Zucker” betreffenden Untersagung aufgehoben.
Die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluß des Bundeskartellamts vom 1. September 2000 wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Untersagung wendet, Zucker unter Einstandspreis zu verkaufen. Im übrigen (Komplex H-Milch) wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 2.045.167,50 EUR (= 4 Mio. DM) festgesetzt.
Tatbestand
A. Die Betroffene ist das in Deutschland ansässige Tochterunternehmen des inzwischen weltweit größten Handelskonzerns, der „Wal-Mart Stores Inc./USA”. Sie ist seit 1998 auf dem deutschen Markt aktiv und betreibt über 95 SB-Warenhäuser, in denen sie etwa 70.000 Artikel – die Hälfte davon entfällt auf den sog. Food-Bereich – anbietet. Im Jahr 1999 lag der Umsatz bei 5 Mrd. DM. Rund die Hälfte dieses Umsatzes erzielt die Betroffene mit dem zum Food-Segment gehörenden Teil ihres Warenangebots.
An allen Standorten bietet die Betroffene seit Mitte Mai 2000 Eigenmarken als „Smart Price”-Produkte an, die sich durch einen besonders niedrigen Preis auszeichnen. Unter der Bezeichnung „Great Value” führt die Betroffene ferner Premium-Handelsmarken in ihrem Sortiment, die eine preisgünstige Alternative zu den führenden Herstellern bieten sollen. Für einige Produkte beider Bereiche lag der Preis der Betroffenen unter den bis dahin geltenden Preisen für entsprechende Waren der Mitbewerber, vor allem denjenigen der Aldi Einkauf GmbH & Co. oHG (Aldi Nord).
Ab Anfang Juni 2000 senkte die Betroffene ihre Verkaufspreise für den Liter H-Milch, die damit unter den bis dahin niedrigeren Preisen ihrer beiden marktstärksten Wettbewerber, Aldi Nord und Lidl, lagen. Diese beiden Unternehmen setzten daraufhin am 20. bzw. 26. Juni 2000 ihre Verkaufspreise deutlich herab, und zwar unter ihre eigenen Einstandspreise. Die Betroffene mußte ab 1. Juli 2000 für die H-Milch höhere Preise an ihren Lieferanten zahlen, dennoch ließ sie ihren Verkaufspreis unverändert und verkaufte diese Produkte von da an unter Einstandspreis. Im einzelnen hat das Bundeskartellamt folgende Entwicklung festgestellt (Beträge in DM):
Produkt |
Zeitraum |
EK al*Mart |
EK Aldi |
EK Lidl |
VK Wal*Mart |
VK Aldi |
VK Lidl |
H-Milch 1,5% |
ab Anfang Juni 2000 |
0,710 |
0,750 |
0,750 |
0,730 |
0,740 |
0,740 |
ab 20.6.2000 |
|
0,750 |
|
|
0,700 |
|
ab 26.6.2000 |
|
|
0,750 |
|
|
0,700 |
ab 1.7.2000 |
0,760 |
|
|
0,730 |
|
|
ab Mitte Sept. 2000 |
0,760 |
|
|
0,794 |
|
|
H-Milch 3,5% |
ab Anfang Juni 2000 |
0,850 |
0,890 |
0,890 |
0,860 |
0,870 |
0,870 |
ab 20.6.2000 |
|
0,890 |
|
|
0,830 |
|
ab 26.6.2000 |
|
|
0,890 |
|
|
0,830 |
ab 1.7.2000 |
0,900 |
|
|
0,860 |
|
|
ab Mitte Sept. 2000 |
0,900 |
|
|
0,888 |
|
|
Unter ihren Einstandspreisen hat die Betroffene im Sommer 2000 nach den Feststellungen des Bundeskartellamts ferner Pflanzenmargarine, Pflanzenfett, Raffinade und Würfelzucker verkauft.
Produkt |
Zeitraum |
EK |
VK |
Pflanzenmargarine |
bis 31.7.2000 |
0,735 |
0,780 |
|
ab 1.8.2000 |
0,905 |
0,780 |
|
ab Okt. 2000 |
0,765 |
0,780 |
Pflanzenfett |
bis 31.7.2000 |
1,765 |
1,860 |
|
ab 1.8.2000 |
2,015 |
1,860 |
|
ab Okt. 2000 |
1,761 |
1,860 |
Raffinade |
ab Mitte Mai 2000 |
1,560 |
1,530 |
Würfelzucker |
ab Mitte Mai 2000 |
2,050 |
1,850 |
Das Bundeskartellamt hat, gestützt auf § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB, durch Beschlüsse vom 1. September 2000 Aldi Nord (WuW/E DE-V 314), Lidl und der Betroffenen (WuW/E DE-V 316) verboten, bestimmte Waren unter Einstandspreis zu verkaufen. Hinsichtlich der Betroffenen bezieht sich das Verbot auf den Verkauf von H-Milch, Pflanzenmargarine und Pflanzenfett sowie Raffinade und Würfelzucker. Während die Mitbewerber Aldi Nord und Lidl die Untersagungsbeschlüsse hingenommen haben, hat die Betroffene Beschwerde eingelegt, die zur Aufhebung des sie betreffenden Beschlusses durch den Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf (WuW/E DE-R 781) geführt hat. Hiergegen wendet sich das Bundeskartellamt mit seiner – zugelassenen – Rechtsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde hat teilweise, nämlich hinsichtlich der Komplexe „H-Milch” und „Zucker” Erfolg, während sie im übrigen „Pflanzenmargarine und Pflanzenfett”) unbegründet ist. Bezüglich des Komplexes „Zucker” kann der Senat in der Sache abschließend entscheiden und die angefochtene Verfügung des Bundeskartellamts wiederherstellen; dagegen sind hinsichtlich des den Verkauf von „H-Milch” betreffenden Verbots weitere Feststellungen erforderlich, die insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht nötigen.
I. Das Beschwerdegericht hat die drei verschiedene Warengruppen betreffende Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts vom 1. September 2000 mit unterschiedlicher Begründung aufgehoben.
Soweit das Verbot den Verkauf von H-Milch unter Einstandspreis betrifft, hat das Beschwerdegericht angenommen, die Betroffene habe sachlich gerechtfertigt gehandelt, weil sie lediglich auf das rechtswidrige Verhalten ihrer schärfsten Wettbewerber reagiert und dabei nicht einmal den vollen Spielraum der vorgefundenen Preissenkung ausgenutzt habe.
Hinsichtlich des Komplexes Pflanzenmargarine und Pflanzenfett hat das Beschwerdegericht den Untersagungsbeschluß für rechtswidrig gehalten, weil die vom Bundeskartellamt zutreffend ermittelten Einstandspreise für diese Produkte bei der gebotenen normativen Betrachtung nicht „Einstandspreise” i.S.v. § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB seien. Das Beschwerdegericht hat nämlich aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, daß die von der Betroffenen ab August 2000 zu entrichtenden Lieferpreise durch Intervention von Wettbewerbern künstlich in die Höhe getrieben worden seien; deswegen seien sie für den im Rahmen des § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB anzustellenden Vergleich von Einstands- und Verkaufspreisen ohne Aussagekraft.
Das den Verkauf von Zucker „Raffinade” und „Würfelzucker”) betreffende Verbot, unter Einstandspreis zu verkaufen, hat das Beschwerdegericht mit der Begründung aufgehoben, das von ihm festgestellte kartellrechtswidrige Verhalten der Betroffenen habe keine spürbaren Auswirkungen auf die Wettbewerbsverhältnisse gehabt. Um das ungeschriebene Merkmal der Eignung zu einer spürbaren Beeinträchtigung der Wettbewerbsverhältnisse sei der Verbotstatbestand des § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB zu ergänzen, wenn dem in den Gesetzesberatungen zum Ausdruck gekommenen Willen Rechnung getragen werden solle, daß ein Verkauf unter Einstandspreis – in Abkehr von der bis dahin von der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertretenen strengeren Linie (BGHZ 129, 203 ff. – Hitlisten-Platten) – bereits dann als Kartellrechtsverstoß behandelt werden solle, wenn „anhaltende wettbewerbliche Auswirkungen” bzw. „eine gewisse wettbewerbliche Erheblichkeit” vorhanden seien.
II. Diese Beurteilung hält hinsichtlich des Komplexes „Pflanzenmargarine und Pflanzenfett” nur im Ergebnis der rechtlichen Überprüfung stand, während es im übrigen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
1. Zur Normadressateneigenschaft der Betroffenen
Die Betroffene verfügt im Verhältnis zu den mittleren und kleinen Lebensmittelhändlern, denen sie auf denselben räumlichen Märkten begegnet, über eine überlegene Marktmacht i.S.v. § 20 Abs. 4 Satz 1 GWB (vgl. hierzu Markert in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 20 Rdn. 282 ff.; Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht, 9. Aufl., § 20 GWB Rdn. 229 ff.). Das hat das Beschwerdegericht – wenn auch ausdrücklich nur für den Komplex „Zucker”, dennoch aber für das gesamte hier in Rede stehende Food-Segment geltend – zutreffend bejaht.
Die Betroffene stellt nicht in Abrede, daß das Bundeskartellamt den sachlichen und den räumlichen Markt zutreffend abgegrenzt hat. Zu Unrecht wendet sie ein, es habe für jeden einzelnen dieser Märkte ermittelt werden müssen, wie hoch der gesamte Marktanteil der Betroffenen ist. Auf diesen Vergleich mit den anderen – teilweise ebenfalls marktmächtigen – Wettbewerbern kommt es dagegen nicht an (s. auch Markert in Immenga/Mestmäcker aaO § 20 Rdn. 284). § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB, auf den das Bundeskartellamt seine Untersagungsverfügung gestützt hat, zielt – indem mittelständische Unternehmen vor unbilligen Behinderungen durch einen im Vergleich zu ihnen überlegenen Wettbewerber geschützt werden sollen (vgl. RegBegr. BT-Drucks. 13/9720 S. 37) – auf die Erhaltung (oder Schaffung) der Vielfalt der Unternehmen auf der Anbieterseite ab und wirkt damit dem für den Wettbewerb schädlichen Konzentrationsprozeß schon in einem frühen Stadium entgegen. Ob der gegenüber den kleinen und mittleren Unternehmen überlegene Wettbewerber seinerseits in der Gefahr ist, von noch marktstärkeren Konkurrenten in unfairer Weise an den Rand gedrückt zu werden, spielt allenfalls bei der Prüfung der sachlichen Rechtfertigung von Untereinstandspreisverkäufen eine Rolle.
Zutreffend hat das Beschwerdegericht ferner festgestellt, daß die Betroffene gegenüber der von dem Bundeskartellamt angeführten Gruppe der EDEKA- und SPAR-Einzelhändler auf den jeweiligen regionalen Märkten eine überlegene Stellung hat. Die Betroffene besitzt als in einen großen internationalen Handelskonzern eingebundenes Unternehmen nicht nur überragende finanzielle Ressourcen, welche sie in die Lage versetzen, „nicht nur gelegentlich”, nämlich ggfs. über längere Zeit, jedenfalls aber systematisch handelnd, Waren aus ihrem Sortiment unter Preis anzubieten; sie vertreibt mit rund 70.000 Artikeln außerdem ein viel größeres Warenangebot als die kleinen und mittleren Wettbewerber und hat deswegen – z.B. durch die Zusammenstellung von für die Kunden attraktiven „Warenkörben” – überlegene Möglichkeiten, eine nach § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB verbotene Verlustpreisstrategie für einzelne Produkte über einen längeren Zeitraum durchzustehen. Zutreffend ist schließlich der Hinweis des Beschwerdegerichts auf die Vorteile, welche die Betroffene beim Einkauf erzielt.
2. Zum Komplex „H-Milch”
Der Verkauf von H-Milch durch die Betroffene zu einem Verkaufspreis, der unterhalb ihres eigenen Einstandspreises lag, ist auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen – anders als das Beschwerdegericht angenommen hat – nicht sachlich gerechtfertigt, so daß mit dieser Begründung die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts nicht aufgehoben werden kann.
a) Daß das Bundeskartellamt den von der Betroffenen aufgewandten Einstandspreis und den jeweiligen Verkaufspreis für H-Milch der beiden in Rede stehenden Fettgehaltsstufen richtig ermittelt hat, stellt auch die Betroffene nicht in Abrede. Mit Recht ist deswegen das Beschwerdegericht davon ausgegangen, daß die Betroffene diese Produkte zu einem Preis verkauft hat, welcher unter ihrem Einstandspreis (s. dazu Köhler, BB 1999, 697, 698 f.; Markert in Immenga/Mestmäcker aaO § 20 Rdn. 298 ff.; Bechtold, Kartellgesetz, 3. Aufl., § 20 Rdn. 69) gelegen hat.
b) Entgegen der Auffassung der Betroffenen erfordert der nach § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB verbotene Verkauf unter Einstandspreis nicht, daß das betroffene Unternehmen seinen Verkaufspreis herabsetzt. Der Tatbestand ist vielmehr auch dann erfüllt, wenn der Verkaufspreis unverändert bleibt, der Einstandspreis aber auf einen über dem genannten Abgabepreis liegenden Betrag steigt. Auch dann nutzt das betreffende Unternehmen seine überlegene Marktmacht zu Lasten der durch § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB geschützten kleinen und mittleren Wettbewerber aus. Das Gesetz knüpft seine – allein durch den Nachweis sachlich gerechtfertigten Handelns widerlegbare – Vermutung, das marktmächtige Unternehmen nutze seine Stellung in kartellrechtswidriger Weise aus, allein an die Tatsache, daß Waren unter Einstandspreis angeboten werden (s. dazu RegBegr. BT-Drucks. 13/9720 S. 37; ferner Rixen in Frankfurter Kommentar zum GWB, § 20 Rdn. 333). Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß eine solche Verlustpreisstrategie von einem zur Gruppe der kleinen und mittleren Wettbewerber gehörenden Unternehmen typischerweise nicht – jedenfalls nicht mehr als „nur gelegentlich”, nämlich weder über einen längeren Zeitraum noch als Folge eines systematischen Vorgehens – verkraftet werden kann (Beratungen des Ausschusses für Wirtschaft BT-Drucks. 13/10633 S. 63). Aus der Sicht dieser Gruppe, deren Schutz die Verbotsnorm dient (vgl. Markert in Immenga/Mestmäcker aaO § 20 Rdn. 280; RegBegr. BT-Drucks. 13/9720 S. 37 und BT-Drucks. 13/10633 S. 63; ablehnend z.T. Rixen in Frankfurter Kommentar aaO § 20 Rdn. 370: „dem GWB fremder Sozialschutz”), ist es unerheblich, worauf es zurückzuführen ist, daß der Einstandspreis des marktmächtigen Unternehmens über seinem Verkaufspreis liegt; entscheidend ist allein der hierdurch herbeigeführte Zustand, der es kleinen und mittleren Wettbewerbern erschwert, sich am Markt zu behaupten.
c) Angesichts des Ausmaßes und der Dauer des von der Betroffenen betriebenen Verkaufs unter Einstandspreis – für H-Milch mit der Fettgehaltsstufe 3,5% hat die Betroffene ihr Verhalten sogar nach Erlaß der Untersagungsverfügung fortgesetzt – besteht kein Zweifel, daß sie „nicht nur gelegentlich” (s. dazu Bechtold aaO § 20 Rdn. 71; Markert in Immenga/Mestmäcker aaO § 20 Rdn. 303 f.) zu diesem Mittel gegriffen hat.
d) Damit ist für das Rechtsbeschwerdeverfahren davon auszugehen, daß zu Lasten der Betroffenen die Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, an welche nach § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB die Vermutung geknüpft wird, daß das marktmächtige Unternehmen seine überlegene Stellung die kleinen und mittleren Wettbewerber unbillig behindernd ausnutzt.
aa) Darüber hinausgehende Erfordernisse – insbesondere eine spürbare Beeinträchtigung der Wettbewerbsverhältnisse – bestehen entgegen der Auffassung der Betroffenen nicht, wie noch im Zusammenhang mit dem Komplex „Zucker” (unten 4.) näher auszuführen ist.
bb) Soweit die Betroffene ferner die Auffassung vertritt, es bedürfe des Nachweises eines Kausalzusammenhangs zwischen überlegener Marktmacht und einem Verkauf unter Einstandspreis, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Diese Ansicht geht im wesentlichen zurück auf die Vorstellungen des Gesetzgebers der 5. GWB-Novelle (WuW 1990, 347 f.) und erfaßt nicht den mit der Einfügung des § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB inzwischen vollzogenen Paradigmenwechsel. Der Gesetzgeber der 6. GWB-Novelle hat – in bewußter Abkehr (s. GesMat. BT-Drucks. 13/9720 S. 37, 74 f. und BT-Drucks. 13/10633 S. 62 ff.; dazu Schultz in Langen/Bunte aaO § 20 GWB Rdn. 246; Bechtold aaO § 20 Rdn. 68; Rixen in Frankfurter Kommentar aaO § 20 Rdn. 333 f.) von der bisherigen Rechtslage, wie sie auch in der Rechtsprechung des Senats Niederschlag gefunden hat (vgl. BGHZ 129, 203 ff. – Hitlisten-Platten) – den Verkauf zu Preisen unter dem eigenen Einstandspreis als besonderen Anwendungsfall der unbilligen Behinderung nach § 20 Abs. 4 Satz 1 GWB eingefügt. Er sieht diese Verhaltensweise eines marktmächtigen Unternehmens als Regelbeispiel (RegBegr. BT-Drucks. 13/9720 S. 35; in diesem Sinne schon für § 26 Abs. 4 GWB a.F. Ulmer, FS. v. Gamm, 1990, S. 677 ff., 694) für eine unbillige Behinderung kleiner und mittlerer Unternehmen an und knüpft deswegen an einen nicht nur gelegentlichen Untereinstandspreisverkauf eines marktmächtigen Unternehmens die gesetzliche Vermutung, daß dieses damit eine Strategie zu Lasten der genannten geschützten Gruppe von Wettbewerbern unter Einsatz seiner überlegenen Marktmacht betreibt. Damit wird nicht nur der wettbewerbliche Bezug des Verhaltens des marktstarken Wettbewerbers, sondern auch die kausale Verknüpfung zwischen der Ausübung überlegener Marktmacht durch Untereinstandspreisangebote und der Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen unwiderleglich vermutet (zutreffend Rixen in Frankfurter Kommentar aaO § 20 Rdn. 333; i.E. ähnlich Markert in Immenga/Mestmäcker aaO § 20 Rdn. 290; für das frühere Recht schon Ulmer aaO S. 694). Das Gesetz eröffnet dem betreffenden Unternehmen allein die Möglichkeit, an der Feststellung mitzuwirken „es sei denn …”), daß sein wettbewerbsschädliches Verhalten ausnahmsweise sachlich gerechtfertigt ist.
cc) Abgesehen davon, daß danach der Betroffenen schon im Ansatz nicht gefolgt werden kann, ist auch ihre Beurteilung unzutreffend, daß ihre Untereinstandspreisstrategie, bei deren Verfolgung sie nicht „Täter”, sondern „Opfer” gewesen sei, keine Auswirkungen auf die kleinen und mittleren Wettbewerber gehabt habe. Denn ihr Eingehen auf das kartellrechtswidrige Verhalten ihrer stärksten Konkurrenten Aldi Nord und Lidl hat die schädlichen Auswirkungen für die mittelständischen Lebensmitteleinzelhändler auf den jeweiligen räumlichen Märkten nachhaltig verstärkt, weil ein weiterer Teil von Kunden, die weder bei Aldi Nord noch bei Lidl einkaufen wollen, veranlaßt werden kann, die Filialen der Betroffenen aufzusuchen, statt seinen Bedarf bei den kleinen und mittleren Händlern zu decken.
e) Es geht zu Lasten der Betroffenen, daß auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht angenommen werden kann, ihr unter § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB fallendes Verhalten sei „sachlich gerechtfertigt” gewesen. Im Rahmen der gebotenen Abwägung der Interessen (RegBegr. BT-Drucks. 13/9720 S. 37; Markert in Immenga/Mestmäcker aaO § 20 Rdn. 305; Bechtold aaO § 20 Rdn. 73; gegen das Erfordernis Schultz in Langen/Bunte aaO § 20 GWB Rdn. 252) der nach § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB vor unfairer Behinderung durch ein marktmächtiges Unternehmen besonders geschützten kleinen und mittleren Wettbewerber und denjenigen des marktstarken Unternehmens, durch seine Preisgestaltung die eigene Stellung am Markt zu verbessern, zumindest aber zu erhalten, genießen die von der Betroffenen vorgebrachten und von dem Beschwerdegericht festgestellten Umstände keinen Vorrang.
aa) Soweit es um die Beibehaltung des Untereinstandspreisverkaufs für H-Milch der Fettgehaltsstufe 3,5% auch für die Zeit nach Erlaß der Verbotsverfügungen gegen die Betroffene und ihre Wettbewerber Aldi Nord und Lidl geht, fehlt es bisher an jedem Vortrag dazu, warum die Betroffene meint, ihr Verhalten sachlich gerechtfertigt fortsetzen zu dürfen, wie das Bundeskartellamt mit der Rechtsbeschwerde zutreffend rügt. Da Aldi Nord und Lidl die gegen sie ergangenen Untersagungsverfügungen hingenommen haben, war jedenfalls ab Anfang September für die Betroffene der von ihr in Anspruch genommene Grund für ihren Verkauf zu Untereinstandspreis – die Reaktion auf ein entsprechendes kartellrechtswidriges Verhalten ihrer Konkurrenten – entfallen.
bb) Auch die von Aldi Nord und Lidl verfolgte Untereinstandspreisstrategie stellt keinen sachlich gerechtfertigten Grund für die Verletzung des in § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB niedergelegten Verbots dar. Mit Recht verweist die Betroffene zwar darauf, daß nicht sie, sondern ihre schärfsten Wettbewerber Aldi Nord und Lidl mit dem Verkauf von H-Milch unter Einstandspreis begonnen und – entgegen der Bewertung des Bundeskartellamts – sie selbst eine „Preisspirale” nach unten auch deswegen nicht in Gang gesetzt hat, weil sie ihren früheren Verkaufspreis lediglich beibehalten und den durch die von Aldi Nord und Lidl verlangten Preise vorgefundenen Spielraum für eine weitere Preissenkung nicht ausgenutzt hat. Damit allein ist jedoch die sachliche Rechtfertigung des Vorgehens der Betroffenen nicht festgestellt.
Mit ihrer Betrachtungsweise, der das Beschwerdegericht gefolgt ist, verengt die Betroffene unzulässig den Blickwinkel auf ihr Verhältnis zu ihren Wettbewerbern, deren Untereinstandspreisstrategie sie glaubt entgegentreten zu müssen, während es im Rahmen der nach § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB vorzunehmenden umfassenden Interessenabwägung wesentlich auf die Beurteilung der Auswirkungen des kartellrechtswidrigen Verhaltens auf die Wettbewerbssituation der kleinen und mittleren Unternehmen ankommt. Für diese führt das – zumindest partielle – Eingehen der Betroffenen auf die Preisstrategie der beiden ebenfalls marktstarken Anbieter von Lebensmitteln dazu, daß die Wirkung deren kartellrechtswidrigen Verhaltens zu Lasten der mittelständischen Unternehmen nicht unerheblich verstärkt wird. Auch wenn die Betroffene den Preiskampf nicht ausgelöst, sondern nur zu Abwehrzwecken (s. zu diesem Gesichtspunkt Bechtold aaO § 20 Rdn. 73; Rixen in Frankfurter Kommentar aaO § 20 Rdn. 369 f.; Markert in Immenga/Mestmäcker aaO § 20 Rdn. 307; s. schon Ulmer aaO S. 694 f.) zum Mittel des Verkaufs unter Einstandspreis gegriffen hat, darf bei der Interessenabwägung der von ihrem (Abwehr-)Verhalten ausgehende Verstärkungseffekt nicht außer Betracht bleiben. Anderenfalls würde der durch die Einfügung des § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB verfolgte Gesetzeszweck in um so größerem Maße verfehlt, je nachhaltiger andere marktmächtige Unternehmen das gesetzliche Verbot mißachten und – indem ihre ebenfalls marktmächtigen Wettbewerber daraufhin ebenfalls unbeanstandet von dem Bundeskartellamt ihre Waren unter Einstandspreis verkaufen – einen auf breiter Front zu Lasten der geschützten kleinen und mittleren Unternehmen gehenden Preiskampf in Gang setzen.
Aus diesem Grund hat das Bundeskartellamt in seiner Bekanntmachung Nr. 147/2000 (Abschnitt B. 4. – abgedr. in Frankfurter Kommentar zum GWB aaO T A IV S. 32 ff.) zutreffend (kritisch aber Rixen in Frankfurter Kommentar aaO § 20 Rdn. 370; Markert in Immenga/Mestmäcker aaO § 20 Rdn. 307) und im Einklang mit der nationalen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urt. v. 27.10.1988 – I ZR 29/87, WuW/E 2547, 2552 – Preiskampf; BGHZ 111, 188 ff., 191 – Anzeigenpreis I) und der Entscheidungspraxis des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (vgl. etwa EuGH, Urt. v. 3.7.1991 – Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 ff. – AKZO; Urt. v. 14.11.1996 – Rs. C-333/94, Slg. 1996, I-5951, 6012 – Tetra Pak) in Anerkennung des grundsätzlich bestehenden Rechts auch eines marktstarken Unternehmens, Abwehrmaßnahmen gegen unfaire Preis-praktiken von Konkurrenzunternehmen zu ergreifen, ausgesprochen, daß der Eintritt in die Preise des Wettbewerbers, selbst wenn er zur Abwehr vorgenommen wird, jedenfalls dann nicht mehr sachlich gerechtfertigt ist, wenn es sich um rechtswidrige Wettbewerbspreise handelt. Nach den bisher getroffenen Feststellungen, die auf dem entsprechenden Vortrag der Betroffenen beruhen, handelt es sich bei der von ihr verfolgten Abwehrstrategie um ein derartiges Eingehen auf kartellrechtswidrig gebildete Preise ihrer Wettbewerber, das allein wegen des Abwehrwillens sachlich nicht gerechtfertigt ist.
Soll demgegenüber bei der gebotenen Gesamtabwägung den Interessen der Betroffenen Vorrang vor denjenigen ihrer kleinen und mittleren Wettbewerber gegeben werden, so müßte diese nachvollziebar darlegen und ggfs. die Feststellung ermöglichen, daß sie aus Gründen des Selbstschutzes – auch unter Inkaufnahme des Verstärkungseffekts des kartellrechtswidrigen Verhaltens von Aldi Nord und Lidl – darauf angewiesen war, H-Milch ebenfalls unter Einstandspreis zu verkaufen. Dazu wäre in dem hier maßgeblichen Zusammenhang nicht nur die Darlegung erforderlich, daß überhaupt und in welcher Höhe der Betroffenen durch die Verlustpreisstrategie von Aldi Nord und Lidl ein so großer Schaden entstand, daß es ihr nicht zuzumuten war, die ihr als marktmächtigem Unternehmen nach § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB abverlangte Rücksichtnahme auf die kleinen und mittleren Wettbewerber walten zu lassen.
Außerdem wäre die Feststellung erforderlich, daß die Betroffene unmittelbar in der geschehenen Weise handeln mußte. Das wäre nur dann anzunehmen, wenn sie weder selbst gegen ihre Wettbewerber auf dem Wege einstweiligen Rechtsschutzes mit der Begründung vorgehen konnte, diese verstießen mit ihrer Untereinstandspreisstrategie unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs gegen § 1 UWG, noch eine entsprechende Initiative von Verbänden, den nach § 20 Abs. 4 Satz 2, § 33 GWB bestehenden Unterlassungsanspruch betroffener kleiner oder mittlerer Unternehmen zu verfolgen (vgl. BGH WuW/E 2547, 2552 – Preiskampf; BGHZ 111, 188 ff., 191 – Anzeigenpreis I), oder aber das Eingreifen des Bundeskartellamts abwarten konnte.
Damit die Betroffene zu diesem – auf der Grundlage der abweichenden Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts konsequent – bisher nicht näher behandelten Gesichtspunkt ergänzend vortragen kann, ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Das Beschwerdegericht erhält dadurch zugleich die Gelegenheit, darüber zu befinden, wie sich die ab Mitte September 2000, also nach Erlaß des Untersagungsbeschlusses, fortgesetzte Praxis der Betroffenen, H-Milch mit der Fettgehaltsstufe 3,5% unter Einstandspreis zu verkaufen, auf das mit der Beschwerde verfolgte Begehren der Betroffenen auswirkt.
3. Zum Komplex „Pflanzenmargarine und Pflanzenfett”
Im Ergebnis mit Recht hat das Beschwerdegericht den Teil der Verbotsverfügung des Bundeskartellamts aufgehoben, der den Verkauf von Pflanzenmargarine und Pflanzenfett betrifft.
Zwar ist dem Beschwerdegericht nicht darin zu folgen, daß es an einer ordnungsgemäßen Feststellung des Einstandspreises im Sinne des § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB fehlt. Das Verhalten der Betroffenen, in der Zeit zwischen Anfang August und Anfang Oktober den Verkaufspreis für diese Produkte beizubehalten, obwohl sie selbst an ihren Lieferanten eine deutlich höhere Vergütung zu entrichten hatte, war ein Verkauf unter Einstandspreis i.S.v. § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB. Da diese Vorgehensweise allerdings sachlich gerechtfertigt war, ist die Untersagungsverfügung im Ergebnis mit Recht aufgehoben worden.
a) Im Ansatz richtig wendet sich das Bundeskartellamt dagegen, daß das Beschwerdegericht den von der Betroffenen unstreitig an seinen Lieferanten zu entrichtenden Preis nicht als „Einstandspreis” i.S.v. § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB hat gelten lassen wollen. Für eine solche normative Beschränkung des Tatbestandsmerkmals Einstandspreis gibt das Gesetz keinen Anhaltspunkt; sie ist auch aus systematischen Gründen nicht zutreffend.
Es entspricht verbreiteter Auffassung, daß die Ermittlung des Einstandspreises zu den nicht einfach zu bewältigenden Aufgaben bei der Anwendung des § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB gehört (vgl. nur Köhler, BB 1999, 697 ff.; ferner Bekanntmachung des Bundeskartellamts Nr. 147/2000, Abschnitt B. 3.; Markert in Immenga/Mestmäcker aaO § 20 Rdn. 298 ff.; Schultz in Langen/Bunte aaO § 20 GWB Rdn. 253; Rixen in Frankfurter Kommentar aaO § 20 Rdn. 314, 344 ff.). Hat aber das Bundeskartellamt – wie im vorliegenden Fall – diesen Wert richtig ermittelt, ist es seiner Sachverhaltsermittlungspflicht nachgekommen, eine darüber hinausgehende Feststellungslast, daß der ermittelte Einstands-preis nicht manipuliert ist, trifft das Amt nicht. Vielmehr ist der weiteren Prüfung eines Verstoßes gegen das Verbot, unter Einstandspreis zu verkaufen, der festgestellte, von dem betreffenden Händler zu tragende Einstandspreis mit der Folge zugrunde zu legen, daß bei Vorliegen der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen die gesetzliche Vermutung eingreift, das marktmächtige Unternehmen behindere seine kleinen und mittleren Wettbewerber unbillig. Sache des betreffenden Unternehmens ist es dann, nachvollziehbare Gründe dafür anzuführen, daß der zu seinen Lasten festgestellte Verkauf von Waren unter Einstandspreis „sachlich gerechtfertigt” war.
b) Anders als das Bundeskartellamt annimmt, ist hinsichtlich des hier zu prüfenden Untereinstandspreisverkaufs von Pflanzenmargarine und Pflanzenfett eine solche sachliche Rechtfertigung gegeben. Nach den auf die Aussage des Zeugen L. gestützten Feststellungen des Beschwerdegerichts beruhte das Ansteigen des Einstandspreises dieser Produkte um 0,25 DM je kg und damit auf einen Wert oberhalb des bisherigen Verkaufspreises mit der Folge, daß es bei unterbleibender Heraufsetzung dieses Preises zur Verwirklichung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB kam, auf einer die wirklichen Marktgegebenheiten verfälschenden Einwirkung von Konkurrenten der Betroffenen auf deren Lieferanten. Soweit die Rechtsbeschwerde die Beweisaufnahme abweichend gewürdigt wissen will, begibt sie sich auf das ihr verschlossene Gebiet tatrichterlicher Würdigung. Es stellt insbesondere keinen Rechtsfehler dar, daß das Beschwerdegericht angenommen hat, allein die von ihm für bewiesen erachtete Einflußnahme anderer Wettbewerber auf den Margarine- und Pflanzenfettlieferanten sei Auslöser für dessen zweites Preiserhöhungsverlangen gewesen, in dessen Durchführung es zu dem beanstandeten Verkauf unter Einstandspreis gekommen ist. Da der Zeuge angegeben hatte, er habe seine erste Forderung nach einer Erhöhung der Lieferpreise fallen lassen, ist die Beweiswürdigung des Beschwerdegerichts rechtlich möglich und vom Bundeskartellamt hinzunehmen.
Auf dieser Grundlage ist das Vorgehen der Betroffenen sachlich gerechtfertigt: Sie sah sich mit einer nachhaltigen Erhöhung ihres Einstandspreises in überfallartiger Weise konfrontiert, die es ihr unzumutbar machte, ihre üblichen Verkaufspreise für diese Produkte entsprechend heraufzusetzen. Wie sich erwiesen hat, war es ihr binnen kurzer Zeit möglich, eine andere, günstigere Lieferbeziehung aufzubauen, die sie in den Stand versetzte, Pflanzenmargarine und Pflanzenfett – wie vor dem Eingreifen ihrer Wettbewerber – zu einem Preis anzubieten, der über ihrem Einstandspreis lag. Außerdem hat die Betroffene nur für eine nach Lage des Falles nicht unangemessen lange Zeit ihre bisherigen Verkaufspreise beibehalten und sich damit auf die bloße Abwehr kartellrechtswidrigen Verhaltens beschränkt, selbst aber nicht aktiv in den Preiskampf eingegriffen. Der Betroffenen war es nicht zuzumuten, das Einschreiten des Bundeskartellamts abzuwarten und während der Dauer des Verwaltungsverfahrens darauf zu verzichten, zur Abwehr ersichtlich drohender Wettbewerbsnachteile – der manipulierte Einstandspreis lag um 0,25 DM je kg über den bisher vereinbarten Lieferpreisen – übergangsweise unter dem aktuellen Einstandspreis zu verkaufen, auch wenn durch diesen zeitweiligen Verkauf unter Einstandspreis die Gefahr heraufbeschworen wurde, daß ihre kleinen und mittleren Wettbewerber, sofern sie diese Produkte nicht zu demselben niedrigen Preis wie die Betroffene anbieten konnten, gewisse Beeinträchtigungen hinnehmen mußten (vgl. hierzu auch Markert in Immenga/Mestmäcker aaO § 20 Rdn. 307).
Im Hinblick darauf, daß die Betroffene jedenfalls deswegen sachlich gerechtfertigt gehandelt hat, weil der von ihr zu entrichtende Einstandspreis durch Einwirken ihrer Wettbewerber – die Marktgegebenheiten verfälschend – nach oben getrieben worden ist, bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, ob – wofür einiges sprechen kann – allein eine unvorhersehbare Änderung der Einstandspreise auch ein marktmächtiges Unternehmen ausnahmsweise berechtigen kann, für eine kurze Übergangszeit, die sie benötigt, einen anderen günstigeren Lieferanten zu finden, die Waren zu Untereinstandspreis zu verkaufen.
4. Zum Komplex „Zucker”
Zu Unrecht hat das Beschwerdegericht die Verfügung des Bundeskartellamts aufgehoben, soweit sie den Untereinstandspreisverkauf von Zucker betrifft. Eine auf § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB gestützte Untersagungsverfügung setzt nicht voraus, daß das Anbieten von Waren unter Einstandspreis zu einer spürbaren Beeinträchtigung der Wettbewerbsverhältnisse führt.
a) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Beschwerdegericht erkannt, daß nach der Neuregelung des Behinderungsverbots durch § 20 Abs. 4 GWB kein Raum mehr für das unter der Geltung des § 26 Abs. 4 GWB a.F. von dem Senat aufgestellte Erfordernis für eine Verbotsverfügung ist, daß ein nicht nur gelegentlich vorgenommener Untereinstandspreisverkauf eines marktmächtigen Unternehmens die Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb heraufbeschwört (BGHZ 129, 203, 211 – Hitlisten-Platten). Denn den Materialien zur 6. GWB-Novelle (s. BT-Drucks. 13/9720 S. 74 f., 80, BT-Drucks. 13/10633 S. 62 f.; dazu Rixen in Frankfurter Kommentar aaO § 20 Rdn. 333) ist zweifelsfrei zu entnehmen, daß der Gesetzgeber den Schutz der kleinen und mittleren Unternehmen vor von ihm als unbillige Behinderung durch marktmächtige Anbieter angesehenen Verhaltensweisen verstärken und das Verbot nicht davon abhängig machen wollte, daß im Einzelfall festgestellt werde, der Untereinstandspreisverkauf sei geeignet, den Wettbewerb nachhaltig zu beeinträchtigen. Der Bundesrat (BT-Drucks. 13/9720 S. 74 f.) – in ähnlicher Weise auch die SPD-Fraktion im Ausschuß für Wirtschaft (BT-Drucks. 13/10633 S. 65 i.V.m. S. 62 f.) – hatte sich gegenüber dem Regierungsentwurf dagegen gewandt, daß „allein die Feststellung von Verkäufen unter Einstandspreis zur Unbilligkeit eines unternehmerischen Verhaltens führen” solle. Sowohl die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung (BT-Drucks. 13/9720 S. 80) als auch die Mehrheit dieses Ausschusses (BT-Drucks. 13/10633 S. 63, 68) sind dem entgegengetreten; § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB ist dementsprechend in der Fassung, die er nach den Beschlüssen des Ausschusses für Wirtschaft erhalten hat, Gesetz geworden.
b) Das Beschwerdegericht (ebenso Rixen in Frankfurter Kommentar aaO § 20 Rdn. 340 f.) gibt Ausführungen in der Gegenäußerung der Bundesregierung zu dem Antrag des Bundesrates eine unzutreffende Bedeutung, wenn es ihnen entnehmen will, daß nur Untereinstandspreisverkäufe, die zu einer spürbaren Beeinträchtigung der Wettbewerbsverhältnisse führen, dem Verbot des § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB unterfallen. Mit den Bemerkungen, das „Erfordernis einer Wettbewerbsbeeinträchtigung” sei grundsätzlich nicht verzichtbar und § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB ziele nach seinem Wortlaut „nur auf Verhaltensweisen, denen eine gewisse wettbewerbliche Erheblichkeit zukommt” (vgl. BT-Drucks. 13/9720 S. 80), wird – nicht zuletzt, wenn auch die Beratungen des Ausschusses für Wirtschaft mit in den Blick genommen werden – entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts lediglich zum Ausdruck gebracht, daß Untereinstandspreisangebote, wenn sie von einem marktmächtigen Unternehmen und nicht nur gelegentlich eingesetzt werden, solange als die Wettbewerbsverhältnisse beeinträchtigend und als unbillige Behinderung i.S.v. § 20 Abs. 4 Satz 1 GWB anzusehen sind, wie das betreffende Unternehmen nicht nachvollziehbare Gründe anführt und an der Feststellung mitwirkt, daß sein Verhalten sachlich gerechtfertigt ist. M.a.W. wird die Eignung zur Beeinträchtigung der Wettbewerbsverhältnisse nach der aus der Entstehungsgeschichte, dem Wortlaut, der Systematik und dem Sinn der Vorschrift abzuleitenden Wertung des Gesetzgebers unwiderleglich vermutet (so auch Rixen in Frankfurter Kommentar aaO § 20 Rdn. 333 unter Ablehnung dieses Konzepts Rdn. 334 ff.); allein durch die Feststellung, der die kleinen und mittleren Wettbewerber behindernde Verkauf unter Einstandspreis sei ausnahmsweise sachlich gerechtfertigt, kann das marktmächtige Unternehmen einer auf § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB gestützten Untersagung durch das Bundeskartellamt entgehen. Dieser zweifelsfrei auch im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck gekommene Wille darf nicht dadurch ausgehöhlt werden (zu der Kritik an der neuen Vorschrift und den daran anknüpfenden Forderungen für die Rechtsanwendung vgl. z.B. Emmerich, Kartellrecht, 8. Aufl., S. 201-203, 255 f.; Krause/Oppolzer, WuW 2000, 17 ff., 23; Rixen in Frankfurter Kommentar aaO § 20 Rdn. 334 ff.; tendenziell auch Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 6. Aufl., Rdn. 82 f.; zutreffend dagegen Köhler, BB 1999, 697), daß zwar nicht mehr eine nachhaltige, wohl aber – als weniger hohe Eingriffsschwelle – eine spürbare Beeinträchtigung des Wettbewerbs gefordert wird.
c) Es kann auch nicht der Ansicht der Betroffenen beigepflichtet werden, schon aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen sei auf das Spürbarkeitserfordernis nicht zu verzichten, weil anderenfalls marktmächtige Unternehmen unverhältnismäßig in ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit beschränkt würden.
Soweit sich die Betroffene in diesem Zusammenhang auf die Warenverkehrsfreiheit bezieht, ist ihr nicht darin zu folgen, die sog. „Keck”-Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (C-267/91 und C-268/91, Slg. 1993, I-6097 ff.) – sie betraf das französische Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis – finde im Rahmen des § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB keine Anwendung. Inländische wie ausländische Unternehmen, die marktmächtig i.S.v. § 20 Abs. 4 Satz 1 GWB sind, werden nicht unterschiedlich behandelt; beiden Gruppen ist es gleichermaßen verboten, nicht nur gelegentlich, sondern systematisch Waren unter ihrem eigenen Einstandspreis anzubieten. Soweit ausländische Anbieter wegen höherer Einstandspreise, etwa weil sie mit besonders hohen Transportkosten belastet sind, gegenüber ihren Wettbewerbern nicht konkurrenzfähig sind, ist dies Ausdruck funktionierenden Wettbewerbs. Im übrigen ist entgegen der Ansicht der Betroffenen weder belegt noch nachvollziehbar, daß allein wegen regelmäßig höherer Transportkosten der Einstandspreis des ausländischen Unternehmens über demjenigen seiner inländischen Konkurrenten liegen muß; abgesehen davon, daß auch Transporte im Inland über größere Strecken derartige Kosten nach sich ziehen können, erscheint es ohne weiteres denkbar, daß es dem marktmächtigen Unternehmen wegen niedrigeren Aufwands an anderer Stelle möglich ist, die höheren Beförderungskosten auszugleichen und seine Waren über Einstandspreis anzubieten, ohne daß die Höhe des Verkaufspreises ihm den Zutritt zu einem neuen Markt verschließt.
Der Betroffenen ist auch nicht darin zu folgen, daß Art. 82 EG – seine Anwendbarkeit zu ihren Gunsten im vorliegenden Fall unterstellt – generell eine Sperrwirkung gegenüber dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen entfaltet. Da die genannte Vorschrift in ihrem Satz 2 keine abschließende Aufzählung der Fälle mißbräuchlicher Ausnutzung von Marktmacht enthält, verbleibt es bei dem Grundsatz, daß nationales und europäisches Kartellrecht nebeneinander anwendbar sind (vgl. Grill in Lenz EG-Vertrag, 2. Aufl., Vorbem. Art. 81-86 Rdn. 40), solange – etwa wegen nach Gemeinschaftsrecht gewährter Freistellung des nach nationalem Recht als kartellrechtswidrig einzustufenden Verhaltens – kein Konfliktfall vorhanden ist. Davon kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur sog. „Kampfpreisunterbietung” (vgl. etwa Urt. v. 3.7.1991 – Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359, 3361 [Leitsatz 7] – AKZO; dazu Jung in Grabitz/Hilf, EG-Vertrag, Art. 82 Rdn. 191 f. sowie Deselaers ebenda Art. 82 Rdn. 296 f. je m.w.N.) ist es mißbräuchlich, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen mit Preisen, die unter den durchschnittlichen variablen Kosten liegen, einen Konkurrenten auszuschalten versucht (s. ferner Möschel in Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Art. 86 EG Rdn. 167, 170). Da hierbei die genannte Absicht vermutet wird (EuGH, Urt. v. 14.11.1996 – Rs. C-333/94, Slg. 1996, I-5951, 6012 – Tetra Pak), führt die Anwendung des Art. 82 EG zu keinen wesentlich anderen Ergebnissen, als sie sich nach § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB ergeben: Bei der nicht nur gelegentlichen, sondern systematischen Anwendung einer Untereinstandspreisstrategie durch ein marktmächtiges Unternehmen wird vermutet, daß es diese Marktmacht mißbräuchlich einsetzt „den Wettbewerber unbillig behindert”), sie also im Sprachgebrauch des Art. 82 EG „ausnutzt”.
d) Im übrigen hat das Beschwerdegericht hinsichtlich des Verbots, Zucker unter Einstandspreis zu verkaufen, wie eingangs ausgeführt, die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB zu Lasten der Betroffenen zutreffend bejaht. Da hinsichtlich dieses Teils der Verbotsverfügung weitere tatsächliche Feststellungen nicht erforderlich sind, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden und unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Beschwerde der Betroffenen insoweit zurückweisen.
Unterschriften
Hirsch, Goette, Bornkamm, Raum, Meier-Beck
Fundstellen
Haufe-Index 892970 |
BGHZ 2003, 361 |
BGHZ |
NJW 2003, 1736 |
NWB 2002, 4025 |
EWiR 2003, 477 |
GRUR 2003, 363 |
Nachschlagewerk BGH |
StuB 2003, 430 |
WM 2003, 1285 |
WuB 2003, 807 |
ZAP 2003, 510 |
GewArch 2003, 343 |
WRP 2003, 770 |
GuT 2003, 32 |
LMK 2003, 67 |