Leitsatz (amtlich)
Das nach § 3 Abs. 1 S. 1 InsO zuständige Insolvenzgericht hat die zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit eines anderen Insolvenzgerichts vorgetragenen Umstände zu würdigen und ggf. von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufzuklären. Erst wenn danach ein Gerichtsstand bei dem nach § 3 Abs. 1 S. 1 InsO zuständigen Gericht nicht eröffnet ist, kann es seine örtliche Unzuständigkeit aussprechen. Geschieht dies ohne eine solche Prüfung, so entbehrt der Verweisungsbeschluss jeder gesetzlichen Grundlage und muss deshalb als willkürlich betrachtet werden.
Normenkette
ZPO § 281 Abs. 2; InsO § 3 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das AG Heidelberg bestimmt.
Gründe
Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in Heidelberg. Für sie wurde mit Wirkung v. 10.1.2005 ein neuer Geschäftsführer bestellt, der für die Antragstellerin mit Antrag v. 31.1.2005 - eingegangen beim AG Heidelberg am 3.2.2005 - Insolvenzantrag gestellt hat und gleichzeitig beantragt hat, das Verfahren an das für den Wohnsitz des - neuen - Geschäftsführers örtlich zuständige Insolvenzgericht in Berlin zu verweisen. Zur Begründung hat die Antragstellerin ausgeführt, sie habe den Geschäftsbetrieb eingestellt, das Gewerbe abgemeldet, die Geschäftsräume in Heidelberg aufgegeben und die Geschäftsunterlagen nach Berlin verbracht, um dort unter Einschaltung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft prüfen zu lassen, ob ein Fortbestand möglich sei und andernfalls die Abwicklung unter Einschluss eines Insolvenzverfahrens vorzunehmen.
Das AG Heidelberg hat sich mit Beschluss v. 8.2.2005 für örtlich unzuständig erklärt und das Insolvenzverfahren an das AG Berlin-Charlottenburg verwiesen.
Das AG Berlin-Charlottenburg hat sich mit Beschluss v. 15.2.2005 für örtlich nicht zuständig erklärt und das Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit dem OLG Karlsruhe vorgelegt.
Das OLG Karlsruhe möchte das AG Berlin-Charlottenburg als zuständiges Gericht bestimmen. Es sieht sich hieran durch Entscheidungen anderer Gerichte (BayObLG v. 25.7.2003 - 1Z AR 72/03, GmbHR 2003, 1492 = NJW-RR 2004, 986; OLG Celle NZI 2004, 258 [259]; OLG Stuttgart v. 27.11.2003 - 8 AR 16/03, GmbHR 2004, 503 = OLGReport Stuttgart 2004, 184 [186]; OLG Schleswig NZI 2004, 264) gehindert. Es hat deshalb die Sache dem BGH vorgelegt.
II. Die Vorlage ist zulässig (§ 36 Abs. 3 ZPO).
Das OLG Karlsruhe würde sich mit der von ihm beabsichtigten Entscheidung in Widerspruch zu den zitierten Beschlüssen der OLG Celle, Stuttgart, Schleswig und des BayObLG setzen. Diese haben entschieden, dass ein Verweisungsbeschluss willkürlich und deshalb nicht bindend sei, weil eine Zuständigkeit am Wohnsitz des Geschäftsführers der GmbH dann nicht in Betracht komme, wenn die Veräußerung der Geschäftsanteile und die Abberufung des alten sowie die Ernennung des neuen Geschäftsführers in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Stellung des Insolvenzantrags stünden und das Verfahren damit das Gepräge einer "gewerbsmäßigen Firmenbestattung" habe. In solchen Fällen komme für die Durchführung des Insolvenzverfahrens eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts, bei dem der neu bestellte Geschäftsführer seinen Sitz habe, nicht in Betracht, weil es sich um eine rechtsmissbräuchliche Zuständigkeitserschleichung handele. Das vorlegende OLG Karlsruhe hält hingegen eine solche Verweisung für jedenfalls nicht willkürlich.
III. Zuständiges Gericht ist das AG Heidelberg.
1. Die Voraussetzungen für die Bestimmung eines Gerichtsstands nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.
Das AG Heidelberg hat sich durch einen gem. § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO unanfechtbaren Beschluss für unzuständig erklärt. Das AG Berlin-Charlottenburg hat im Beschlusswege die Übernahme des Verfahrens abgelehnt. Das genügt, um zur Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu gelangen (BGH v. 10.12.1987 - I ARZ 809/87, BGHZ 102, 338 [339 f.] = MDR 1988, 470).
2. Das AG Heidelberg ist für das vorliegende Insolvenzverfahren zuständig.
Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 3 Abs. 1 S. 1 InsO. Nach dieser Vorschrift ist örtlich zuständig das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Dies ist das AG Heidelberg, weil die Gesellschaft dort ihren Sitz hat, § 17 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Allerdings sind im Interesse der Prozessökonomie und zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bewirkten Verzögerungen und Verteuerungen des Verfahrens Verweisungsbeschlüsse gem. § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO unanfechtbar und gem. § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO für das Gericht, an welches verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zu Grunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGH v. 10.12.1987 - I ARZ 809/87, BGHZ 102, 338 [340] = MDR 1988, 470; Beschl. v. 22.6.1993 - X ARZ 340/93, MDR 1994, 944 = NJW 1993, 2810). Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluss jedoch dann keine Bindungswirkung zu, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht oder weil er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (BGHZ 71, 69 [72 f.]; Beschl. v. 9.7.2002 - X ARZ 110/02, BGHReport 2002, 946 = MDR 2002, 1450 = NJW-RR 2002, 1498). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Das gem. § 3 Abs. 1 S. 1 InsO zuständige AG Heidelberg hat sich darüber hinweggesetzt, dass die Verweisung eines Rechtsstreits gem. § 4 InsO, § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt. Eine Verweisung kommt nur in Betracht, wenn bei dem Gericht, bei dem die Sache rechtshängig ist, ein Gerichtsstand nicht eröffnet ist (BGH, Beschl. v. 10.9.2002 - X ARZ 217/02, BGHReport 2003, 44 = MDR 2002, 1446 = NJW 2002, 3634 [3635]). Das AG Heidelberg hat seinen Verweisungsbeschluss nicht begründet. Es hat weder Umstände ermittelt noch dargelegt, die seine Zuständigkeit in Frage stellen könnten. Gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 InsO hat das Insolvenzgericht von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind. Gerade im Hinblick auf die oben unter II dargestellte Rechtsprechung hatte das AG Heidelberg Veranlassung, der Frage nachzugehen, ob trotz der Zuständigkeitsregelung in § 3 Abs. 1 S. 1 InsO ein Gerichtsstand bei ihm nicht begründet war. Das nach § 3 Abs. 1 S. 1 InsO zuständige Insolvenzgericht hat die zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit eines anderen Insolvenzgerichts vorgetragenen Umstände zu würdigen und ggf. von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufzuklären. Erst wenn danach ein Gerichtsstand bei ihm nicht eröffnet ist, kann es seine örtliche Unzuständigkeit aussprechen. Geschieht dies ohne eine solche Prüfung, so entbehrt der Verweisungsbeschluss jeder gesetzlichen Grundlage und muss deshalb als willkürlich betrachtet werden.
Das AG Heidelberg hat demnach den Rechtsstreit nicht wirksam an das AG Berlin-Charlottenburg verwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 1474846 |
BB 2006, 464 |
DStR 2006, 619 |
NJW 2006, 847 |
BGHR 2006, 391 |
StuB 2006, 408 |
ZAP 2006, 494 |
ZIP 2006, 442 |
AnwBl 2006, 127 |
MDR 2006, 703 |
NZI 2006, 164 |
Rpfleger 2006, 284 |
ZInsO 2006, 146 |
GmbHR 2006, 383 |
ZVI 2006, 157 |