Entscheidungsstichwort (Thema)

Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung

 

Leitsatz (redaktionell)

Handelt es sich bei in einem Rechtsstreit zu behandelnden Fragen um solche, die im Zeitpunkt der Anspruchsbegründung noch nicht umfassend durch die Rechtsprechung geklärt waren, stellt die Zuziehung eines am Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalts durch ein an einem auswärtigen Gericht klagendes Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dar.

 

Normenkette

ZPO § 91 Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Stuttgart (Beschluss vom 21.10.2003)

LG Ravensburg (Beschluss vom 08.04.2003)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden der Beschluss des 8. Zivilsenats des OLG Stuttgart v. 21.10.2003 aufgehoben und der Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Ravensburg v. 8.4.2003 --2 O 354/02 - dahingehend abgeändert, dass der Beklagte der Klägerin über die in diesem Beschluss festgesetzten Kosten hinaus weitere 76,39 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 19.3.2003 zu erstatten hat.

Der Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 76,39 Euro.

 

Gründe

Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Festsetzung weiterer 76,39 Euro zu Gunsten der Klägerin. Die Klägerin kann gem. § 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 ZPO i. V. m. § 28 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 und § 25 Abs. 2 BRAGO von dem Beklagten die geltend gemachten Reisekosten ihres erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten erstattet verlangen.

Nach der Rechtsprechung des BGH stellt die Zuziehung eines in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsortes ansässigen Rechtsanwalts durch eine an einem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei im Regelfall eine notwendige Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung i. S. v. § 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 ZPO dar (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [900]; v. 12.12.2002 - I ZB 29/02, BGHReport 2003, 308 = NJW 2003, 901 [902]; v. 11.2.2003 - VIII ZB 92/02, MDR 2003, 656 = BGHReport 2003, 642 = NJW 2003, 1534; v. 18.2.2003 - XI ZB 10/02, AnwBl. 2003, 311; v. 10.4.2003 - I ZB 36/02, BGHReport 2003, 768 = MDR 2003, 1019 = NJW 2003, 2027; v. 9.10.2003 - VII ZB 45/02, BGHReport 2004, 70 [71]; und v. 11.11.2003 - VI ZB 41/03, Umdr. S. 6).

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann dann eingreifen, wenn schon im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich sein wird. Dies kommt in Betracht bei gewerblichen Unternehmen, die über eine eigene Rechtsabteilung verfügen, die die Sache bearbeitet hat (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [901]; v. 10.4.2003 - I ZB 36/02, BGHReport 2003, 768 = MDR 2003, 1019 = NJW 2003, 2027 [2028]; und v. 9.10.2003 - VII ZB 45/02, BGHReport 2004, 70 [71]).

Die Voraussetzungen eines solchen Ausnahmetatbestandes liegen hier - entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts - nicht vor. Bei den im Rechtsstreit zu behandelnden Fragen - Schadensersatzhaftung einer Bank wegen Aufklärungsverschuldens im Zusammenhang mit einer finanzierten Immobilienfondsbeteiligung sowie Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Widerrufs des zu diesem Zweck geschlossenen Kreditvertrages nach dem Haustürwiderrufsgesetz - handelt es sich um sehr komplexe, rechtlich schwierige Fragen, die im Zeitpunkt der Anspruchsbegründung am 22.10.2002 noch nicht umfassend durch die Rechtsprechung geklärt waren (vgl. etwa BGH, Urt. v. 12.11.2002 - XI ZR 47/01, BGHZ 152, 331 ff. = MDR 2003, 224 = BGHReport 2003, 186; sowie - im Streitfall handelt es sich um einen Personalkredit - Urt. v. 21.7.2003 - II ZR 387/02, BGHReport 2003, 1208 = MDR 2003, 1188 = WM 2003, 1762 ff.; und Urt. v. 23.11.2003 - XI ZR 135/02, BGHReport 2003, 1413 = MDR 2004, 105 = WM 2003, 2232 ff.). Im Hinblick darauf war es für die Klägerin kein Routinegeschäft, den Beklagten aus dem Darlehen in Anspruch zu nehmen. Dies gilt umso mehr, weil der zu beurteilende Fall des finanzierten Erwerbs von Anteilen an einer Immobilienfondsgesellschaft exemplarischen Charakter hatte und damit für die Klägerin von ganz erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung war.

Bei dieser Sachlage war es auch aus der Sicht einer über eine Rechtsabteilung verfügenden Bank nahe liegend, dass eine sachgerechte und ihre Interessen vollständig wahrende Prozessführung die mündliche Besprechung tatsächlicher oder rechtlicher Fragen mit dem Prozessbevollmächtigten erforderlich machen würde (vgl. auch BGH, Beschl. v. 18.2.2003 - XI ZB 10/02, AnwBl. 2003, 311).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1121197

BGHR 2004, 780

BKR 2004, 236

ZBB 2004, 316

NJOZ 2004, 970

RVG-Letter 2004, 47

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