Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Organisation bei Rechtsanwalt. Verschulden des Rechtsanwalts
Leitsatz (amtlich)
Grundsätzlich darf ein Rechtsanwalt darauf vertrauen, dass eine zuverlässige Büroangestellte einen postfertig zu machenden Schriftsatz in die korrekte Versandtasche einlegt.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 3. Senats für Familiensachen des OLG Düsseldorf vom 21.2.2011 aufgehoben.
Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des AG - FamG - Kleve vom 24.8.2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das OLG zurückverwiesen.
Wert: 100.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Parteien sind rechtskräftig geschiedene Eheleute. Das FamG hat die Teilklage auf Zugewinnausgleich abgewiesen. Das Urteil ist der Klägerin zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten am 26.8.2010 zugestellt worden. Mit einem rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin Berufung eingelegt. Auf ihren Antrag ist die Berufungsbegründungsfrist bis zum 25.11.2010 verlängert worden. Die - zutreffend - an das OLG Düsseldorf adressierte Berufungsbegründungsschrift vom 23.11.2010 ist am 1.12.2010 dort eingegangen, nachdem sie zuvor am 24.11.2010 an das OLG Celle gelangt und von dort weitergeleitet worden war.
Rz. 2
Auf richterlichen Hinweis vom 6.12.2010, zugestellt am 9.12.2010, hat die Antragsgegnerin am 22.12.2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Der Berufungsbegründungsschriftsatz sei am 23.10.2010 diktiert und gefertigt worden. Am gleichen Tag sei auch noch ein weiterer Schriftsatz an das OLG Celle diktiert und gefertigt worden. Die ansonsten zuverlässige Kanzleiangestellte müsse wohl den an das OLG Düsseldorf gerichteten Schriftsatz versehentlich zusammen mit dem anderen Schriftsatz in den an das OLG Celle gerichteten Versandumschlag gelegt haben. Daher sei der Schriftsatz entgegen der erteilten Anweisung auch nicht vorab per Telefax an das OLG Düsseldorf versendet worden.
Rz. 3
Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin hätten es versäumt, für eine wirksame Postausgangskontrolle zu sorgen. Es fehle die Weisung, die notierte Frist erst dann zu löschen, wenn anhand des zu überprüfenden Sendeprotokolls feststehe, dass die Absendung des Telefaxes erfolgreich gewesen sei.
II.
Rz. 4
1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), denn der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin in ihrem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes.
Rz. 5
2. Das Rechtsmittel ist auch begründet. Das OLG hat zu Unrecht der Klägerin die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist versagt und ihre Berufung verworfen.
Rz. 6
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Rechtsanwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insb. einen Fristenkalender führen. Die Fristenkontrolle muss gewährleisten, dass der fristwahrende Schriftsatz rechtzeitig hergestellt und postfertig gemacht wird. Ist dies geschehen und ist die weitere Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig vorbereitet, so darf die fristwahrende Maßnahme im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden. Das ist im Allgemeinen anzunehmen, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt wird und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen Einlaufstelle gebracht wird, das Postausgangsfach also "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist (BGH Beschl. v. 12.4.2011 - VI ZB 6/10, NJW 2011, 2501 Rz. 7 m.w.N.). Wird für die Fristenkontrolle bereits daran angeknüpft, dass der fristwahrende Schriftsatz postfertig gemacht worden ist, muss die Beförderung zu der Stelle, für die der Schriftsatz bestimmt ist, organisatorisch so weit vorbereitet sein, dass sie durch Versehen, welche die eigentliche Beförderung nicht betreffen, nicht mehr verhindert werden kann (BGH Beschl. v. 9.9.1997 - IX ZB 80/97, NJW 1997, 3446, 3447).
Rz. 7
b) Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin die Fristversäumung ausreichend entschuldigt. Denn durch die Umstände ist glaubhaft gemacht, dass der Berufungsbegründungsschriftsatz versehentlich mit einem anderen, an das OLG Celle gerichteten Schriftsatz in den Postversandumschlag gelangte. Darin liegt ein schlichtes Büroversehen der Kanzleimitarbeiterin, welches nicht auf einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten beruht. Die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfalt würden überspannt, wollte man verlangen, dass er bei einer Angestellten, an deren Zuverlässigkeit keine Zweifel bestehen, das Einlegen der Sendung in die korrekte Versandtasche zu kontrollieren habe.
Rz. 8
In der Annahme, das Schriftstück sei in den korrekten Versandumschlag gelangt, durfte die Kanzleimitarbeiterin auch die Frist im Fristenkalender als erledigt kennzeichnen, so dass auch insoweit kein Anhaltspunkt für ein Anwaltsverschulden besteht.
Rz. 9
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten auch nicht darin, keine Weisung erteilt zu haben, nach der - von ihm verfügten - Vorabübersendung per Telefax einen Einzelnachweis auszudrucken und auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu überprüfen. Denn diese Kontrollmaßnahmen sind nur erforderlich, wenn die Vorabübersendung des Telefaxes aus der Warte des Absenders erforderlich scheint, um die Frist einzuhalten, weil eine Postsendung den Empfänger unter Berücksichtigung normaler Postlaufzeiten nicht mehr rechtzeitig erreichte. Ist hingegen aus der Warte des Absenders alles Notwendige veranlasst, um den Eingang des fristgebundenen Schriftsatzes rechtzeitig auf normalem Postwege zu erreichen, bedarf es einer zusätzlichen Vorabübersendung per Telefax grundsätzlich nicht. Für eine - in dem Falle überobligatorische - Vorabfaxübersendung können keine besonderen Sorgfaltsanforderungen aufgestellt werden. Daran ändert nichts, wenn der rechtzeitige Posteingang tatsächlich aus Umständen unterbleibt, für die der Prozessbevollmächtigte - wie hier - kein eigenes Organisationsverschulden trägt.
Rz. 10
Nach der Glaubhaftmachung der Klägerin hatte ihr Prozessbevollmächtigter alle in seiner anwaltlichen Organisationsverantwortung liegenden Vorkehrungen getroffen, um den fristwahrenden Schriftsatz rechtzeitig postfertig zu machen.
Fundstellen
Haufe-Index 2749036 |
EBE/BGH 2011, 308 |
FamRZ 2011, 1727 |
FuR 2011, 685 |
NJW-RR 2011, 1686 |
FA 2011, 339 |
IBR 2011, 671 |
JurBüro 2012, 279 |
ZAP 2011, 1240 |
MDR 2011, 1195 |
NJ 2011, 6 |
FamRB 2011, 342 |
NJW-Spezial 2011, 703 |
RENOpraxis 2012, 12 |
Mitt. 2012, 199 |