Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Gehörverstoß. Wiedereinsetzungsfrist. Prozesskostenhilfe. Anhörungsrüge
Leitsatz (redaktionell)
Eine Anhörungsrüge hat keinen Einfluss auf die Wiedereinsetzungsfrist gem. § 234 Abs. 1 ZPO.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 234 Abs. 1, § 321a
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 19. Dezember 2008 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 5.780,28 EUR
Gründe
I.
Das Landgericht hat die Klage, mit der der Kläger erbrechtliche und bereicherungsrechtliche Ansprüche nach dem Tod seiner Mutter in Höhe von 17.174,59 EUR verfolgte (Anteil am Sparguthaben in Höhe von 5.780,28 EUR, Ausgleich für Grundstücksnutzung in Höhe von 11.394,31 EUR) durch das am 26. März 2008 zugestellte Urteil abgewiesen.
Seinen Prozesskostenhilfeantrag vom 23. April 2008 für die Durchführung der Berufung hat das Berufungsgericht durch Beschluss vom 2. Juli 2008 - zugestellt am 11. Juli 2008 - zurückgewiesen: Für den Nutzungsausgleich bestehe - anders als beim Sparguthabenanteil - schon keine Erfolgsaussicht. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe scheitere aber insgesamt an der bestandskräftigen Ablehnung von Prozesskostenhilfe für denselben Streitgegenstand durch das Landgericht in dem vor diesem Rechtsstreit durchgeführten selbständigen Prozesskostenhilfeverfahren.
Die dagegen am 24. Juli 2008 erhobene Anhörungsrüge hat das Berufungsgericht durch Beschluss vom 30. Juli 2008 - dem Kläger zugegangen am 8. August 2008 - zurückgewiesen.
Am 22. August 2008 hat der Kläger wegen Versäumung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zugleich Berufung eingelegt und diese begründet.
Durch Beschluss vom 19. Dezember 2008 hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers und sein Wiedereinsetzungsgesuch als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die nur auf den Anteil am Sparguthaben bezogene Rechtsbeschwerde des Klägers.
II.
Die gemäß §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte und rechtzeitig erhobene Rechtsbeschwerde war als unzulässig zu verwerfen, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.
Entgegen der Auffassung der Beschwerde wird der Kläger durch den angefochtenen Beschluss nicht in seinem Grundrecht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Die im Zusammenhang mit der Prozesskostenhilfeablehnung dem Berufungsgericht vorgehaltenen Gehörsverstöße sind insoweit nicht entscheidungserheblich (1.).
Der Rechtssache kommt auch nicht die von der Beschwerde angenommene grundsätzliche Bedeutung zu, weil der Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden habe, ob eine Anhörungsrüge die Fristen des § 234 Abs. 1 ZPO offen halten oder - auch bei Erfolglosigkeit - wieder in Gang setzen könne. Der Kläger vermag insoweit bereits nicht aufzuzeigen, dass die von ihm dargelegten Rechtsfragen in Rechtsprechung und Rechtslehre umstritten sind und die Rechtssache damit eine Rechtsfrage im konkreten Fall als entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und klärungsfähig aufwirft, wodurch das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt wird (vgl. BGHZ 154, 288, 291 ; 152, 182, 191) . Der fehlende Einfluss einer Anhörungsrüge auf den Fristenlauf insbesondere auch bei der Wiedereinsetzungsfrist gemäß § 234 Abs. 1 ZPO ist geklärt. Der von der Beschwerde gesehene Vergleich zur Verfassungsbeschwerde greift nicht (2.).
1.
Unhaltbar ist allerdings die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die vorangegangene bestandskräftige Zurückweisung der nachgesuchten Prozesskostenhilfe durch das Landgericht für ein erstinstanzliches Klageverfahren hindere trotz erkannter Erfolgsaussicht, soweit es den Sparguthabenanteil anlangt, den für die Berufungsinstanz gestellten Prozesskostenhilfeantrag sachlich zu bescheiden, weil ohne Veränderung des zu beurteilenden Sachverhalts eine erneute Entscheidung in der Sache nicht zulässig erscheine. Das dafür herangezogene Zitat (Zöller/Philippi, ZPO 27. Aufl. § 117 Rdn. 6 m.w.N. aus der Rechtsprechung) stützt diese Auffassung nicht. Das Rechtsschutzbedürfnis für ein mangels Rechtskraft abweisender Prozesskostenhilfebeschlüsse grundsätzlich jederzeit wiederholbares Verlangen, die Erfolgsaussicht zu beurteilen, kann allenfalls bei unveränderter Sach- und Rechtslage in Zweifel gezogen werden. Das ist - wie die Beschwerde zutreffend anmerkt - bei einem allein für den nächsten Rechtszug - hier das Berufungsverfahren -gestellten Prozesskostenhilfegesuch nicht der Fall (arg. e. § 119 ZPO). Über dieses Gesuch hat das dafür jetzt zuständige Berufungsgericht erstmalig zu befinden und zwar gerade auch, wenn lediglich um Überprüfung der erstinstanzlichen rechtlichen Beurteilung gebeten wird, ohne zusätzlich auf etwaige Abweichungen im Sachverhalt zu verweisen. Zulässigkeitsschranken gibt es insoweit nicht. Das Rechtsschutzbedürfnis für einen zweitinstanzlichen Prozesskostenhilfeantrag kann nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass die Partei mit einem erstinstanzlichen Antrag - sei er in dem Verfahren selbst oder in einem separaten vorangegangenen Verfahren - erfolglos geblieben ist und dies hingenommen hat.
Ob diese rechtsfehlerhafte Behandlung des Berufungsgerichts allerdings (auch) eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG enthält, wie die Beschwerde meint, weil der Kläger nicht zuvor auf diese Rechtsauffassung, mit der nicht zu rechnen gewesen sei, hingewiesen worden ist, kann letztlich offen bleiben. Denn auf einem solchen Gehörsverstoß beruht die mit der Rechtsbeschwerde angefochtene Verwerfung von Berufung und Wiedereinsetzung nicht, sondern letztlich auf der unzutreffenden Einschätzung des Klägers, mit der Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO den Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist herauszögern zu können. Insoweit ist aber ein Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte durch das Berufungsgericht weder dargetan noch ersichtlich.
Ein Zulassungsgrund ist damit insgesamt nicht dargetan.
2.
Richtig ist zwar, dass der Anwendungsbereich der Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO auch unanfechtbare Entscheidungen im Prozesskostenhilfeverfahren - wie hier den Ablehnungsbeschluss des Berufungsgerichts vom 2. Juli 2008 - erfasst (MünchKomm-ZPO/Musielak 3. Aufl. § 321a Rdn. 2; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 22. Aufl. § 321a Rdn. 15). Dagegen trifft es nicht zu, dass mit der Einlegung dieses Rechtsbehelfs Einfluss auf den Lauf der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO zuzüglich drei bis vier Tage Überlegungsfrist genommen werden kann, der mit der Bekanntgabe der (auch teilweisen) Versagung von Prozesskostenhilfe beginnt und zwar unabhängig davon, aus welchem Grund der Prozesskostenhilfeantrag erfolglos geblieben ist (vgl. Stein/Jonas/Roth aaO § 234 Rdn. 14-16).
a)
Eine Anhörungsrüge hat - was auch die Beschwerde nicht verkennt - auf den Beginn von Fristen keinen Einfluss (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2004 - V ZR 125/03 - NJW-RR 2004, 712 unter II 2 = [...] Tz. 13 bezüglich der Frist zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde). Das gilt auch für die Wiedereinsetzungsfrist (BayVGH, Beschluss vom 15. Oktober 2008 - 12 ZB 08.2468 - [...] Tz. 2).
Der fehlende Einfluss von Anhörungsrügen auf den Fristenlauf entspricht gefestigter einhellig anerkannter höchstrichterlicher Rechtsprechung, nach der die Wiedereinsetzungsfrist trotz einer nach Versagung von Prozesskostenhilfe alsbald erhobenen Gegenvorstellung zu laufen beginnt (vgl. nur BGHZ 41, 1 ; BGH, Beschlüsse vom 26. September 1979 - IV ZB 52/79 - VersR 1980, 86; vom 25. September 2001 - VI ZA 6/01 - VersR 2002, 119 unter 2 c; vom 20. Juni 2006 - VI ZR 255/05 - VersR 2007, 132 Tz. 8; Zöller/Greger aaO § 234 Rdn. 8; MünchKomm-ZPO/Gehrlein aaO § 234 Rdn. 10; jeweils m.w.N.). Für die insoweit vergleichbare Anhörungsrüge hat das ebenso zu gelten.
Die Anhörungsrüge als normierter, aus dem Institut der Gegenvorstellung entwickelter Rechtsbehelf eigener Art (vgl. Zöller/Heßler aaO § 567 Rdn. 23 f.) befreit das Gericht von der Bindungswirkung des § 318 ZPO sowie von formeller und materieller Rechtskraft. Ihr fehlt es - wie der Gegenvorstellung - an jeglichem Suspensiv- und Devolutiveffekt (MünchKomm-ZPO/Musielak aaO § 321a Rdn. 4). Trotz aller bei dem Anwendungsbereich der Gegenvorstellung mit ihrer Abgrenzung zur Anhörungsrüge noch bestehenden, (dogmatisch) noch nicht endgültig geklärten Fragen liegt die Verwandtschaft dieser beiden Rechtsinstitute und ihre Wirkungsähnlichkeit offen. Inwieweit für eine Gegenvorstellung noch Raum neben einer Anhörungsrüge bleibt, spielt dabei keine entscheidende Rolle (vgl. dazu BFH/NV 2005, 1845 = [...] Tz. 5; BayVGH, Beschluss vom 3. August 2005 - 25 CS 5.1605 - [...]; vgl. ferner MünchKomm-ZPO/Musielak aaO § 321a Rdn. 14). Auch bei der Gegenvorstellung steht fest, dass sie durch die formelle Rechtskraft (Unanfechtbarkeit) nicht gehindert wird, und selbst die Grenze zur materiellen Rechtskraft ist mit Blick auf die gesetzliche Regelung des § 321a ZPO unsicherer geworden (vgl. Zöller/Heßler aaO). Fristhemmende Wirkung kann die Anhörungsrüge jedenfalls aus den für die Gegenvorstellung entwickelten Gründen nicht entfalten.
b)
Das nimmt an sich auch die Rechtsbeschwerde nicht für sie in Anspruch. Sie meint nur, der Anhörungsrüge müssten entsprechende Wirkungen zukommen, wie sie das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die Fristen zur Einlegung von Verfassungsbeschwerden festgelegt hat. Dabei verkennt sie allerdings die spezifischen Sonderheiten der Verfassungsbeschwerde, die einer Übertragung der für sie entwickelten Grundsätze auf andere Fristen entgegensteht.
Das Bundesverfassungsgericht lastet "unter dem Gesichtspunkt der Beschwerdefrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG" einem Beschwerdeführer die vorherige Durchführung des Anhörungsrügeverfahrens nur an, wenn dieser Rechtsbehelf offensichtlich unzulässig war; eine solche Anhörungsrüge könne die Frist für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde nicht offen halten (BVerfG NJW 2007, 3418 = [...] Tz. 20). Grundlage dieser Rechtsprechung ist die von § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde geforderte Erschöpfung des Rechtsweges und die damit festgelegte Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (BVerfG, Beschluss vom 26. August 2008 - 2 BvR 1516/08 - [...] Tz. 2). Auf die Anhörungsrüge, mit der der Verstoß gegen das Verfassungsgrundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG geltend gemacht werden kann, darf ein Beschwerdeführer aber dann nicht verwiesen werden, wenn dieser Rechtsbehelf offensichtlich aussichtslos ist (BVerfG EuGRZ 2006, 294 = [...] Tz. 14). Besteht indes eine gewisse Erfolgsaussicht, ist das Anhörungsrügeverfahren aus Subsidiaritätsgründen gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zwingend vorzuschalten mit der Folge, dass die Einlegungsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG notwendigerweise insoweit offen zu halten ist.
An diesem Subsidiaritätsverhältnis fehlt es zwischen der Anhörungsrüge und der Wiedereinsetzungsfrist gerade. Die für die Verfassungsbeschwerde entwickelten Grundsätze können daher hier nicht zum Tragen kommen.
c)
Nach alledem ist die Wiedereinsetzung und damit die Berufung zu Recht wegen Verfristung verworfen worden. Ein für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde erforderlicher Zulassungsgrund ist insoweit weder dargetan noch sonst ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 2962213 |
r+s 2010, 40 |
BRAK-Mitt. 2009, 232 |