Leitsatz (amtlich)
Die Frage des Ursachenzusammenhangs zwischen einer anwaltlichen Pflichtverletzung und dem Schaden des Mandanten beantwortet sich nicht danach, ob der Mandant dem pflichtwidrigen Rat des Anwalts gefolgt ist oder aus eigenem Antrieb gehandelt hat, sondern danach, wie er sich verhalten hätte, wenn er richtig beraten worden wäre.
Normenkette
BGB §§ 249, 675
Verfahrensgang
Brandenburgisches OLG |
LG Frankfurt (Oder) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 7. März 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Opernsänger und war seit 1971 beim K.-Theater der Stadt F. angestellt. In dem letzten, auf unbefristete Zeit geschlossenen Dienstvertrag vom 1. Juli 1991 war ausdrücklich festgehalten, daß für den Kläger Kündigungsschutz bestehe. Mit Schreiben vom 1. Juli 1997 teilte der Intendant des K.-Theaters dem Kläger mit, daß dessen Arbeitsvertrag über die Spielzeit 1997/98 hinaus nicht verlängert werde, weil der Arbeitsplatz infolge Schließung der Sparte „Musiktheater” gemäß Beschluß der Stadtverordnetenversammlung wegfalle. Unter Bezugnahme auf den „Tarifvertrag über die Mitteilungspflicht”, der für Bühnenpersonal vor Beendigung eines befristeten Arbeitsvertrags besondere Schutzbestimmungen enthält, wurde dem Kläger angeboten, ihn ab 1. August 1998 am B. Theater weiterzubeschäftigen. Dem Schreiben war ein von der Leitung dieses Theaters unterschriebener Entwurf eines Dienstvertrags beigefügt, der eine Anstellung des Klägers für die Zeit vom 1. August 1998 bis zum 31. Dezember 1999 vorsah. In einer Anlage dazu hieß es, daß der Vertrag gültig werde, „wenn die 100 %ige Finanzierung für den Vertragszeitraum … vom M. P. übernommen wird”, und daß das Kleist-Theater den Kläger zu den früheren Bedingungen ab 1. Januar 2000 wieder übernehme, „wenn nichts anderes vereinbart wurde”. Ferner enthielt jene Anlage die Bemerkung, daß das Vertragsangebot vom Rechtsamt der Stadt F. geprüft werde. Als Alternative zur Weiterbeschäftigung am B. Theater erhielt der Kläger von seinem Arbeitgeber das Angebot, das Dienstverhältnis durch eine Abfindungsvereinbarung zu beenden.
Der Kläger wandte sich an den verklagten Rechtsanwalt mit der Bitte um Beratung. Dieser schrieb ihm am 17. Juli 1997, der „zugrundeliegende Tarifvertrag” lasse die Nichtverlängerungsmitteilung zu. Falls der Kläger von der Möglichkeit, am B. Theater weiterzuarbeiten, keinen Gebrauch machen wolle, „müßte schnellstens der ‚Abfindungslösung’ näher getreten werden, da es einer zusätzlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht” bedürfe. Nachdem der Beklagte sich im Auftrag des Klägers beim Arbeitsamt über etwaige Sperrfristen im Fall einer einverständlichen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses erkundigt hatte, teilte er dem Kläger im November 1997 mit, es sei voraussichtlich mit einem Ruhen der Arbeitslosenbezüge für sieben bis acht Monate zu rechnen. Gleichzeitig riet er dem Kläger, den Arbeitgeber um Einräumung einer weiteren Überlegungsfrist zu bitten. Der Kläger hatte jedoch bereits am 28. Oktober 1997 mit der Stadt F. eine schriftliche Vereinbarung geschlossen, die unter Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Juli 1998 „aus betriebsbedingten Gründen” eine Abfindung von 150.000 DM brutto vorsah. Diese Abfindung hat der Kläger erhalten.
Der Kläger wirft dem Beklagten vor, daß dieser ihn nicht auf die Möglichkeit einer Kündigungsschutzklage hingewiesen habe. Bei richtiger Beratung hätte er, so hat er behauptet, den Abfindungsvertrag nicht geschlossen. Dann hätte sein Dienstvertrag bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres fortbestanden, und er hätte sich insgesamt um rd. 158.000 DM besser gestanden. Diesen Betrag hat er vom Beklagten als Schadensersatz verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung, mit der der Kläger nur noch Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten beantragt hat, hat das Oberlandesgericht diesem Klagebegehren entsprochen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat die Berufung entgegen der vom Beklagten geäußerten Ansicht trotz der Beschränkung des Klagebegehrens auf einen Feststellungsantrag für zulässig gehalten, weil der Kläger damit nicht etwas anderes, sondern lediglich weniger verlange als im ersten Rechtszug. Die Revision meint demgegenüber, der Kläger habe sich mit seinem Berufungsantrag nicht gegen die im landgerichtlichen Urteil liegende Beschwer gewandt; denn er habe es trotz eines Hinweises des Landgerichts in der ersten Instanz abgelehnt, einen Feststellungsantrag zu stellen.
Diesem Revisionsangriff liegt zugrunde, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Berufung unzulässig ist, wenn mit ihr der im ersten Rechtszug geltend gemachte Klageanspruch nicht wenigstens teilweise weiterverfolgt, sondern im Wege der Klageänderung ausschließlich ein neuer Anspruch erhoben wird (BGH, Urt. v. 6. Mai 1999 – IX ZR 250/98, WM 1999, 1689, 1690 m.w.N.). Das ist, wie offenbar auch die Revision sieht, nicht der Fall, wenn der Kläger die zunächst erhobene Feststellungsklage in der Berufungsinstanz mit einer Leistungsklage weiterverfolgt (BGH, Urt. v. 8. Juni 1994 – VIII ZR 178/93, WM 1994, 1996, 1997 f) oder, wie hier, die erstinstanzliche Leistungsklage im Berufungsrechtszug auf eine Feststellungsklage beschränkt; denn er macht damit aus demselben Lebenssachverhalt jeweils nur unterschiedlich weit gehende Rechtsfolgen geltend. Die Rechtsprechung läßt es aus diesem Grund zu, die Verurteilung im Interesse des Klägers auch dann auf einen Feststellungsanspruch zu beschränken, wenn dieser einen solchen Antrag nicht ausdrücklich wenigstens hilfsweise gestellt hat (BGHZ 118, 70, 81 f m.w.N.). Die Revision meint aber, die Umstellung zusammen mit der Berufungseinlegung sei dann unzulässig, wenn der Kläger sich in der ersten Instanz ausdrücklich geweigert habe, seinen Leistungsantrag in einen darin enthaltenen Feststellungsantrag umdeuten zu lassen; in einem solchen Fall verlange er, wenn er in der nächsten Instanz zur Feststellungsklage übergehe, nicht lediglich weniger, sondern etwas anderes. Diese Erwägungen befassen sich indessen mit einem hier nicht zu entscheidenden Sachverhalt. Das Landgericht hat zwar den Kläger durch prozeßleitende Verfügung darauf hingewiesen, daß sein Antrag „nicht nachvollziehbar (sei), da es sich um eine Klage auf zukünftige monatliche Leistung handeln dürfte”, und in seinem Urteil heißt es dazu, weder dies noch „entsprechende Hinweise” in der Klageerwiderung – dort ist ausgeführt, die Schadensberechnung des Klägers beziehe sich auf keinen konkreten, sondern auf einen abstrakten zukünftigen Schaden – hätten den Kläger bewogen, „seinen Klageantrag zu modifizieren”. Daraus ergibt sich aber nicht, daß der Kläger es abgelehnt hätte, zumindest hilfsweise einen Feststellungsantrag zu stellen, der grundsätzlich als ein „Weniger” in jedem Leistungsantrag enthalten ist. Schon aus diesem Grund trifft es nicht zu, daß der Kläger in der Berufungsinstanz etwas verlangt hätte, was er im ersten Rechtszug nicht zugesprochen haben wollte.
II.
Auf der Grundlage der bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen läßt sich der mit der Feststellungsklage geltend gemachte Anspruch entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht bejahen.
1. Der Beklagte hat allerdings, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, seine anwaltlichen Pflichten schuldhaft verletzt. Er hätte erkennen und den Kläger darauf hinweisen müssen, daß die „Nichtverlängerungsmitteilung” vom 1. Juli 1997 in dem vom Theaterintendanten genannten Tarifvertrag keine Grundlage hatte, weil das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht befristet war. Dieses konnte entgegen der Auskunft des Beklagten nur durch eine – als solche bis dahin nicht ausgesprochene – Kündigung beendet werden, deren Wirksamkeit nach den Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes zu beurteilen gewesen wäre. Der Beklagte hat dem Kläger somit eine unzutreffende Auskunft erteilt. Die Revision greift deshalb das Berufungsurteil in diesem Punkt zu Recht nicht an.
2. Das Berufungsgericht hat angenommen, die unzutreffende Darstellung der Rechtslage durch den Beklagten sei nach dem Grundsatz, daß ein beratungsgemäßes Verhalten zu vermuten sei, für die Entscheidung des Klägers, sich auf eine Abfindungsvereinbarung einzulassen, ursächlich gewesen. Ob das Arbeitsverhältnis wirksam hätte gekündigt werden können, sei unerheblich, weil eine Kündigung nicht ausgesprochen worden sei. Diese Beurteilung des Geschehens ist, wie die Revision zu Recht rügt, rechtlich unzutreffend.
Die Auskunft des Beklagten war nicht schon deswegen für die Vereinbarung vom 28. Oktober 1997 ursächlich, weil der Kläger den Vertrag nach Beratung durch den Beklagten abgeschlossen hat. Es kommt nicht darauf an, ob er dem pflichtwidrigen Rat des Beklagten gefolgt ist oder aus eigenem Antrieb gehandelt hat. Zu fragen ist vielmehr, ob der Kläger sich ebenso verhalten hätte, wenn der Beklagte ihn nicht falsch, sondern richtig beraten hätte. Das Berufungsgericht hat den Grundsatz, es sei von einem „beratungsgemäßen Verhalten” auszugehen, mißverstanden. Dieser Grundsatz bezieht sich nicht auf das, was der Mandant nach Beratung durch den Rechtsanwalt tatsächlich getan hat. Es geht dabei vielmehr um die für den Ursachenzusammenhang entscheidende Frage, was der Mandant getan hätte, wenn er richtig beraten worden wäre. Insoweit kann ihm die ihm obliegende Beweisführung nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises erleichtert werden, freilich nur dann, wenn ein bestimmter Rat geschuldet war und es in der gegebenen Situation unvernünftig gewesen wäre, einen solchen Rat nicht zu befolgen (BGHZ 123, 311, 314 ff; BGH, Urt. v. 22. Februar 2001 – IX ZR 293/99, WM 2001, 741, 743 zur Steuerberaterhaftung).
Auf dieser rechtlichen Grundlage hätte das Berufungsgericht Feststellungen dazu treffen müssen, was der Kläger getan hätte, wenn der Beklagte ihm der Rechtslage entsprechend gesagt hätte, daß sein Arbeitsverhältnis zwar nicht durch eine „Nichtverlängerungsmitteilung”, wohl aber möglicherweise durch eine ordentliche Kündigung aufgelöst werden könne. Nach der im Schreiben des Intendanten vom 1. Juli 1997 enthaltenen Mitteilung sollte, anscheinend allerdings nur vorübergehend, die Sparte „Musiktheater” geschlossen werden. Wenn das zutraf – der Beklagte hat sich darauf im weiteren Verlauf des Rechtsstreits berufen, der Kläger hat es bestritten –, waren möglicherweise die Voraussetzungen einer betriebsbedingten Kündigung i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gegeben. Sollte das der Fall gewesen sein, dann war es jedenfalls nicht ohne weiteres richtig, dem Kläger zu raten, den ihm angebotenen Abfindungsvertrag nicht zu schließen. Keinesfalls läßt sich dann auf der Grundlage eines Erfahrungssatzes davon ausgehen, daß der Kläger es auf eine Kündigung hätte ankommen lassen.
3. Auch wenn festzustellen sein sollte, daß der Kläger bei richtiger Belehrung den Abfindungsvertrag nicht geschlossen hätte, ließe sich, wie die Revision ebenfalls zu Recht geltend macht, die Frage, ob ihm mit der für den Erlaß eines Feststellungsurteils erforderlichen Wahrscheinlichkeit ein Schaden entstanden ist (vgl. dazu BGH, Urt. v. 15. Oktober 1992 – IX ZR 43/92, WM 1993, 251, 259 f), nur beantworten, wenn – nach dem Maßstab des § 287 ZPO – geklärt ist, ob eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu erwarten war und wirksam gewesen wäre.
III.
Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die zur Kausalität und – gegebenenfalls – zum Eintritt eines Schadens erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen werden können. Der Senat weist darauf hin, daß unbeschadet der in der Frage des Ursachenzusammenhangs grundsätzlich dem Kläger obliegenden Beweisführung die Beweislast in der Frage, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für eine betriebsbedingte Kündigung vorlagen, gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG beim Beklagten liegt. Die in dieser Bestimmung enthaltene Beweislastregelung gilt auch für den Regreßprozeß (vgl. BGHZ 133, 110, 115 f; BGH, Urt. v. 3. Mai 2001 – IX ZR 46/00, ZIP 2001, 1099, 1101). Freilich müßte angesichts des Schreibens des Theaterintendanten vom 1. Juli 1997 zunächst der Kläger seine Behauptung, von einer Schließung der Musiktheaterabteilung sei nicht auszugehen gewesen und sie habe auch nicht stattgefunden, erläutern.
Unterschriften
Kreft, Stodolkowitz, Ganter, Raebel, Kayser
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 06.12.2001 durch Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 666294 |
NJW 2002, 593 |
BGHR 2002, 189 |
EBE/BGH 2002, 13 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2002, 510 |
ZAP 2002, 263 |
AnwBl 2002, 243 |
MDR 2002, 300 |
NJ 2002, 425 |
VersR 2002, 484 |
BRAK-Mitt. 2002, 65 |
KammerForum 2002, 92 |
Mitt. 2002, 334 |