Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Verzicht auf weitergehende Ansprüche durch Abrechnung des Rechtsanwalts des Geschädigten „nach Maßgabe des DAV-Abkommens” gegenüber der Versicherung im Rahmen einer Unfallabwicklung
Leitsatz (amtlich)
Aus der Tatsache, dass ein Rechtsanwalt nach teilweiser Regulierung eines Verkehrsunfallschadens durch den gegnerischen Haftpflichtversicherer diesem gegenüber seine Anwaltsgebühren unter Bezugnahme auf das DAV-Abkommen abrechnet, kann nicht ohne Weiteres der Schluss gezogen werden, er verzichte zugleich namens seines Mandanten auf die Geltendmachung weiterer Ansprüche.
Normenkette
BGB § 397
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 23.02.2005; Aktenzeichen 58 S 401/04) |
AG Berlin-Mitte (Entscheidung vom 02.11.2004; Aktenzeichen 102 C 3190/04) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 58. Zivilkammer des LG Berlin vom 23.2.2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Ersatz restlichen Schadens in Anspruch, der ihm nach seiner Behauptung bei einem Verkehrsunfall am 31.3.2004 entstanden sei. Die volle Einstandspflicht der Beklagten steht außer Streit.
Ein vom Kläger beauftragter Sachverständiger ermittelte vorprozessual Instandsetzungskosten i.H.v. 4.371,30 EUR. Die Beklagte zu 3) erkannte einen Schadensersatzanspruch von 2.677,02 EUR an und regulierte den Schaden in dieser Höhe. In der Folge übersandte der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Klägers der Beklagten zu 3) seine Kostennote vom 16.6.2004 über 352,06 EUR. Eingangs der Kostennote heißt es: "nach Regulierung des angekündigten Betrages erlaube ich mir für meine Tätigkeit gemäß nachfolgender Kostennote abzurechnen". Die anschließende Kostenberechnung weist eine "15/10 Geschäftsgeb. gem. DAV-Abkommen" nach einem Gegenstandswert von 2.677,02 EUR nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer aus. Die Beklagte zu 3) übersandte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers einen Scheck über diesen Betrag, der eingelöst wurde.
Mit der vorliegenden, am 17.6.2004 eingereichten Klage verlangt der Kläger Ersatz des restlichen Unfallschadens i.H.v. 1.714,28 EUR. Die Beklagten haben u.a. geltend gemacht, durch die Übersendung der Kostennote und die anschließende Zahlung seitens der Beklagten zu 3) sei ein Erlassvertrag zustande gekommen, so dass weiterer Schadensersatz nicht mehr mit Erfolg verlangt werden könne.
Das AG hat die Klage mit dieser Begründung abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Nach dem Abkommen zwischen dem Deutschen Anwaltsverein und dem Verband der Haftpflichtversicherer dürfe ein Rechtsanwalt bei einer vollständigen außergerichtlichen Erledigung des Schadensfalls eine Geschäftsgebühr i.H.v. 15/10 an Stelle der üblichen 7,5/10 nach dem Gegenstandswert des gezahlten Betrages abrechnen. Das bedeute, dass ein Rechtsanwalt, wenn er unter ausdrücklichem Hinweis auf dieses Abkommen dem Versicherer eine entsprechende Honorarrechnung übersende, damit die Erklärung verbinde, dass die Angelegenheit vollständig erledigt sein solle, falls die Kostennote entsprechend beglichen werde. So jedenfalls könne und müsse der Haftpflichtversicherer die Erklärung des Anwalts verstehen. Nehme der Haftpflichtversicherer dieses Angebot dadurch an, dass er dem Anwalt einen entsprechenden Honorarbetrag anweise, so komme hierdurch ein außergerichtlicher Vergleich gem. § 779 BGB des Inhalts zustande, dass durch die geleistete Schadensersatzzahlung und die Anweisung des Honorars die Angelegenheit abschließend erledigt sein solle. Eine weitere Forderung sei danach ausgeschlossen.
II.
Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht Stand.
1. Die vom Berufungsgericht vertretene Ansicht entspricht einer verbreiteten Auffassung, wonach eine Abrechnung nach Maßgabe des DAV-Abkommens als Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrages und die Gebührenzahlung des Versicherers als dessen Annahme anzusehen sei (LG Aachen v. 6.11.2003 - 2 S 213/03, NZV 2004, 149 [150] = NJW-RR 2004, 170 f.; LG München I NZV 2004, 413; LG Osnabrück Schaden-Praxis 2003, 327; LG Wuppertal Schaden-Praxis 2004, 176; AG Berlin-Mitte NZV 2004, 414 f.; AG Düsseldorf Schaden-Praxis 2001, 430; AG Geislingen Schaden-Praxis 2003, 28 [29]; AG Ingolstadt AGS 2004, 171; AG Schwerte Schaden-Praxis 2001, 361 f.). Nach der Gegenmeinung kann allein aus der Tatsache, dass ein Rechtsanwalt bei Abrechnung einer Verkehrsunfallregulierung in seiner Kostennote Bezug auf das DAV-Abkommen nimmt, nicht regelmäßig der Schluss gezogen werden, er verzichte zugleich auf die Geltendmachung weiterer Ansprüche seines Mandanten (OLG Jena OLG-NL 2005, 243 ff.; LG Bonn ZfS 2005, 238 f.; LG Kiel Schaden-Praxis 2003, 214 f.; zweifelnd auch: OLG Celle DAR 2003, 556).
2. Die letztgenannte Ansicht ist richtig.
a) Ein Erlassvertrag (§ 397 BGB) kommt nur zustande, wenn die Parteien darauf gerichtete übereinstimmende Willenserklärungen abgeben. Führt der Rechtsanwalt des Geschädigten mit dem Haftpflichtversicherer des Schädigers Regulierungsverhandlungen und rechnet er, nachdem der Haftpflichtversicherer den von ihm teilweise für begründet erachteten Anspruch des Geschädigten insoweit erfüllt hat, auf der Grundlage des DAV-Abkommens ab, so kann darin das Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrages liegen. Denn die Regelung der Ziff. 7 f dieses Abkommens soll auf eine möglichst endgültige abschließende Regulierung hinwirken (Greißinger, DAR 1998, 286 [289]) und bestimmt deshalb, dass die 15/10-Gebühr nach Ziff. 7a grundsätzlich nur für den Fall der vollständigen außergerichtlichen Schadensregulierung abgerechnet werden darf. Eine derartige Abrechnung durch den Rechtsanwalt kann demgemäß zugleich die Erklärung enthalten, die Sache solle endgültig erledigt sein.
Hierfür ist jedoch erforderlich, dass über die bloße Kostenabrechnung hinaus mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommt, es solle eine materiellrechtlich wirkende Erklärung abgegeben werden. Insoweit kommt es auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an. Das Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrages muss unmissverständlich erklärt werden (BGH, Urt. v. 10.5.2001 - VII ZR 356/00, MDR 2001, 859 = BGHReport 2001, 670 = NJW 2001, 2325 f.). An die Feststellung eines Verzichtswillens sind strenge Anforderungen zu stellen, er darf nicht vermutet werden (vgl. BGH, Urt. v. 20.12.1983 - VI ZR 19/82, MDR 1984, 565 = NJW 1984, 1346 f. = VersR 1984, 382 f.; Urt. v. 15.7.1997 - VI ZR 142/95, NJW 1997, 3019 [3021] = VersR 1998, 122 [123]). Selbst bei einer eindeutig erscheinenden Erklärung des Gläubigers darf ein Verzicht nicht angenommen werden, ohne dass bei der Feststellung zum erklärten Vertragswillen sämtliche Begleitumstände berücksichtigt worden sind (BGH, Urt. v. 15.1.2002 - X ZR 91/00, BGHReport 2002, 444 = MDR 2002, 749 = NJW 2002, 1044 [1046]). Darüber hinaus gilt der Grundsatz, dass empfangsbedürftige Willenserklärungen möglichst nach beiden Seiten hin interessengerecht auszulegen sind (BGH v. 31.10.1995 - XI ZR 6/95, BGHZ 131, 136 [138] = MDR 1996, 322; v. 12.1.2001 - V ZR 372/99, BGHZ 146, 280 [284] = MDR 2001, 625 = BGHReport 2001, 276 m. Anm. Hustedt).
Auch ein Abrechnungsschreiben "nach Maßgabe des DAV-Abkommens" muss danach mit ausreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass eine abschließende Erledigung gewollt ist. Zudem dürfen die Begleitumstände nicht einen abweichenden Willen nahe legen. Enthält das Abrechnungsschreiben lediglich die Gebührenabrechnung, so ist ihm nicht ohne Weiteres ein Erlasswille zu entnehmen. Denn die Abrechnung kann schlicht darauf beruhen, dass der Rechtsanwalt die Voraussetzungen für den Anfall der Gebühr verkannt hat. In diesem Fall wäre aber der Ausschluss weiterer - insb. erheblicher - Ansprüche des Geschädigten nicht interessengerecht.
b) Zwar kann trotz fehlenden Erklärungsbewusstseins eine Willenserklärung vorliegen, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Äußerung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte, und wenn der Empfänger sie auch tatsächlich so verstanden hat (BGH v. 7.6.1984 - IX ZR 66/83, BGHZ 91, 324 [329 f.] = MDR 1984, 838; v. 2.11.1989 - IX ZR 197/88, BGHZ 109, 171 [177] = MDR 1990, 335). Dieser Grundsatz findet indes nur dann Anwendung, wenn die maßgebliche Erklärung einen insoweit tauglichen Inhalt hat. Dies ist aber - wie ausgeführt - nicht der Fall, wenn lediglich die Anwaltsgebühren nach Maßgabe des DAV-Abkommens abgerechnet werden. Auch hat sich, wie die zahlreichen zitierten Rechtsstreitigkeiten und ihr divergierender Ausgang zeigen, insoweit noch keine Verkehrssitte entwickelt. Da die Rechtslage bisher höchstrichterlich nicht geklärt war, durften die Versicherer auch nicht nach Treu und Glauben davon ausgehen, eine Gebührenabrechnung mit dem genannten Inhalt sei ohne Weiteres als Verzichtsangebot aufzufassen.
3. Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht den Abschluss eines Erlassvertrages zu Unrecht bejaht.
Zwar ist die Auslegung einer individuellen Vereinbarung im Revisionsrechtszug nur beschränkt nachprüfbar. Sie unterliegt der Nachprüfung aber jedenfalls insoweit, als gesetzliche Auslegungsregeln, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt worden sind. Ein Verstoß gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze ist u.a. dann gegeben, wenn nicht alle für die Auslegung wesentlichen Tatsachen berücksichtigt worden sind (vgl. BGH, Urt. v. 20.12.1983 - VI ZR 19/82, MDR 1984, 565 = NJW 1984, 1346 f. = VersR 1984, 382 f.; Urt. v. 26.2.2003 - VIII ZR 270/01, MDR 2003, 800 = BGHReport 2003, 849 = NJW 2003, 2382 [2383]). Dies ist hier der Fall.
Die Kostennote vom 16.6.2004 enthält keine Erklärungen dahin gehend, dass hiermit eine materiellrechtlich wirkende auf Abschluss eines Erlassvertrages gerichtete Erklärung abgegeben werden solle. Sie beinhaltet lediglich eine Kostenrechnung des Rechtsanwalts auf der Basis des bereits regulierten Betrages.
Es sind auch sonst keine Umstände festgestellt, die für die Abgabe einer auf Abschluss eines Erlassvertrages gerichteten Erklärung sprechen. Der Kläger hat vorprozessual seinen gesamten Schaden ggü. dem Haftpflichtversicherer geltend gemacht und das Berufungsgericht stellt nicht fest, bis zum Zugang der Kostennote habe es Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Kläger einen Teil seines Schadens nicht weiter habe geltend machen wollen. Gegen einen dahin gehenden Willen spricht auch, dass schon am 17.6.2004, also einen Tag nach Fertigung der Kostennote, die Klageschrift wegen des restlichen Schadensbetrages verfasst und bei Gericht eingereicht wurde.
Unter diesen Umständen erweist sich die Annahme des Berufungsgerichts, der Rechtsanwalt des Klägers habe eine auf den Abschluss eines Erlassvertrages gerichtete Erklärung abgegeben, als rechtsfehlerhaft.
III.
Das die Klage abweisende Berufungsurteil kann demnach keinen Bestand haben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die nunmehr erforderlichen weiteren Feststellungen getroffen werden können.
Fundstellen
Haufe-Index 1498701 |
BB 2006, 1025 |
NJW 2006, 1511 |
BGHR 2006, 758 |
EBE/BGH 2006, 127 |
AnwBl 2006, 418 |
DAR 2006, 497 |
MDR 2006, 1042 |
NJ 2006, 264 |
NZV 2006, 365 |
VRS 2006, 113 |
VersR 2006, 659 |
ZfS 2006, 408 |
AGS 2006, 408 |
NJW-Spezial 2006, 209 |
RVGreport 2006, 236 |
VRA 2006, 94 |
VRR 2006, 181 |
BRAK-Mitt. 2006, 142 |