Entscheidungsstichwort (Thema)
Milchliefervertrag. Schadensersatz wegen unterbliebener Milchlieferung. Interessengerechte Vertragsauslegung. Beschränkung der Anbietungspflicht der Verkäufer auf tatsächlich erzielte Milchproduktion
Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung eines Milchliefervertrages
Normenkette
BGB §§ 133, 157
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Beklagten zu 1) bis 3) und 5) bis 13) wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 12. April 2000 im Kostenpunkt und unter Abänderung des Urteils der 4. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz vom 21. Juni 1999 insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten zu 1) bis 3) und 5) bis 13) erkannt worden ist.
Die Klage wird gegenüber den Beklagten zu 1) bis 3) und 5) bis 13) in vollem Umfang abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat, soweit hierüber nicht bereits durch Beschluß des Senats vom 31. Oktober 2001 entschieden worden ist, die Klägerin zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, eine Herstellerin von Milchprodukten, nimmt die Beklagten zu 1) bis 3) und 5) bis 13), die sich durch Gesellschaftsvertrag vom 1. Juli 1992 zum Zweck der gemeinschaftlichen Bewirtschaftung der Milchviehanlage B. zur „Betriebszweigegemeinschaft Milch B. – Gesellschaft des bürgerlichen Rechts mit beschränkter Haftung” (in Zukunft: BZG) zusammengeschlossen hatten, wegen unterbliebener Milchlieferungen auf Schadensersatz in Anspruch. Weiter hatte die Klägerin von der früheren Beklagten zu 4) als Erwerberin der Milchviehanlage B. aufgrund behaupteter Schuldübernahme ebenfalls Schadensersatz sowie Erfüllung der Milchandienungspflicht verlangt.
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Nachdem über das Vermögen der S. AG (in Zukunft: SAM), die zunächst Abnehmerin der Rohmilchproduktion der BZG gewesen war, im Jahre 1993 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet worden war, schlossen die „S. Milcherzeugergemeinschaft” (in Zukunft: SMEG), der auch die Gesellschafter der BZG beigetreten waren, und die SAM am 11. April 1994 einen bis zum 30. Juni 2000 befristeten Rahmenvertrag, durch den „die Rahmenbedingungen für Milchlieferbeziehungen zwischen der SAM und den von der SMEG vertretenen Milchlieferanten” begründet und „alle Mitglieder der SMEG zum Abschluß von Einzellieferverträgen mit der SAM” verpflichtet wurden.
Aufgrund dieses Rahmenvertrages schlossen die SAM und die BZG am 13. April/29. April 1994 folgenden Milchliefervertrag:
§ 1
Vertragsgegenstand
Der Verkäufer verpflichtet sich, seine gesamte Rohmilcherzeugung, sofern diese nicht zum unmittelbaren Verbrauch im eigenen Betrieb benötigt wird oder über eine mit Zustimmung der S. genehmigte Direktvermarktung veräußert wird, dem Käufer zum Kauf anzubieten. …
Der Käufer verpflichtet sich, das Lieferangebot vollständig aufzukaufen.
…
In diese Verträge trat im Jahre 1996 die Klägerin anstelle der SAM ein, ließ in der Folgezeit die Rohmilchproduktion der BZG abholen und rechnete dieser gegenüber auch die der BZG zustehenden Milchgelder ab. Durch „Nachtrag zum Milchliefervertrag” vom 27./29. August 1997 zwischen der BZG und der Klägerin wurde die Vertragslaufzeit später bis zum 30. Juni 2003 verlängert.
Aufgrund der zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gesellschafter der BZG in der Zeit nach 1994 kam es zur Gründung der „Milchgut B. GbR” sowie der „Milch- und Zuchtbetrieb B. GbR mbH” (in Zukunft: MZB), auf welche die vorläufigen Anlieferungs-Referenzmengen der BZG jeweils rückwirkend zum 1. Juli 1994 bzw. 1. Januar 1997 übertragen wurden. Die Beklagten zu 1) bis 3) und die MZB veräußerten sodann durch Vereinbarungen vom 23. und 30. März 1998 die Milchviehanlage B. nebst lebendem und totem Inventar an die frühere Beklagte zu 4), der auch die vorläufige Anlieferungs-Referenzmenge der MZB übertragen wurde. Mit Schreiben vom 30. April 1998 teilte die MZB der Klägerin die Einstellung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit mit. Nachdem die Klägerin noch im April 1998 und Anfang Mai 1998 erhebliche Mengen Rohmilch von der Milchviehanlage B. hatte abholen lassen, erfolgten nach Scheitern von Vertragsverhandlungen mit der Beklagten zu 4) keine weiteren Rohmilchlieferungen an die Klägerin.
Das Landgericht hat der auf Zahlung und Feststellung gerichteten Klage gegenüber den Beklagten zu 1) bis 3) und 5) bis 13) in vollem Umfang stattgegeben, die gegen die Beklagte zu 4) gerichtete Klage hingegen abgewiesen und auf die von letzterer erhobene Widerklage die Klägerin zur Zahlung des berechneten Entgelts für die erfolgten Milchlieferungen verurteilt. Die Berufungen der Beklagten zu 1) bis 3) und 5) bis 13) hatten nur in geringem Umfang Erfolg; die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.
Mit ihren Revisionen verfolgen die Beklagten zu 1) bis 3) und 5) bis 13) ihre Klageabweisungsanträge weiter. Die Revision der Klägerin, mit der diese weiterhin die Verurteilung der Beklagten zu 4) sowie die Abweisung der von dieser erhobenen Widerklage begehrt hatte, ist vom Senat durch Beschluß vom 31. Oktober 2001 nicht angenommen worden.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat – soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse – ausgeführt: Der Schadensersatzanspruch der Klägerin sei in Höhe von 80.866,28 DM nebst Zinsen gegen die Beklagten zu 1) bis 3) und 5) bis 13) wegen Nichterfüllung der sich aus dem Milchlieferungsvertrag ergebenden Pflichten begründet, für die sie als Gesellschafter der BZG gesamtschuldnerisch weiterhin hafteten. Die Einstellung der Milchproduktion durch die von ihnen unterhaltenen Gesellschaften habe nicht zu einem Wegfall der seitens der BZG vertraglich geschuldeten Milchlieferungspflicht geführt. Die im Rahmenvertrag wie auch im Milchliefervertrag gewählten Formulierungen ließen eine Vertragsauslegung dahin, daß mit der Einstellung der Rohmilchproduktion auch die Lieferpflichten entfielen, nicht zu. Die in den Verträgen vorgesehenen Ausnahmen von der Verpflichtung, der Klägerin die gesamte Rohmilchproduktion anzudienen, seien vielmehr nach der Überzeugung des Berufungsgerichts abschließend. Diese Formulierungen implizierten mithin auch die Verpflichtung, die Produktion aufrechtzuerhalten. Andernfalls könne sich auch die Klägerin gegenüber den Beklagten auf eine etwaige Betriebseinstellung berufen, was mit der beabsichtigten langfristigen Bindung nicht zu vereinbaren wäre. Hieran ändere auch die Berufung auf die insbesondere den Beklagten zu 1) bis 3) drohende Insolvenz nichts. Zwar möge der Klägerin unter den behaupteten Umständen ein außerordentliches Recht zur Kündigung des Dauerschuldverhältnisses zugestanden haben, nicht jedoch den Beklagten, die allein das Risiko ihrer eigenen Leistungsfähigkeit getroffen habe. Der BZG sei durch Veräußerung ihres Viehbestandes die Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten subjektiv unmöglich geworden, was gemäß § 275 Abs. 2 BGB der nachträglichen Unmöglichkeit im Sinne von § 325 Abs. 1 BGB gleichstehe und was von den Beklagten zu 1) bis 3) und 5) bis 13) zu vertreten sei. Selbst wenn die Beklagten aus finanziellen Gründen zu einer weiteren Bewirtschaftung der Milchviehanlage B. nicht in der Lage gewesen sein sollten und die Veräußerung zur Abwendung eines drohenden Gesamtvollstreckungsverfahrens erfolgt sei, habe es der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entsprochen, eine anderweitige Erfüllung der Vertragspflichten, beispielsweise durch die Beklagte zu 4), sicherzustellen.
Demgemäß hat das Berufungsgericht auch den Anspruch der Klägerin auf Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich des für die Zeit vom 1. August 1998 bis 30. Juni 2003 sich ergebenden weitergehenden Schadens für begründet erklärt.
II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Die Auslegung des § 1 Abs. 2 des Rahmenvertrages vom 11. April 1994 sowie des damit übereinstimmenden § 1 des zwischen der SAM und der BZG abgeschlossenen Milchliefervertrages vom 13./29. April 1994 durch das Berufungsgericht dahingehend, daß die BZG bzw. die später gegründeten Gesellschaften selbst bei einer Einstellung der Milchproduktion zur Milchlieferung verpflichtet sind, ist, wie die Revisionen der Beklagten zu 1) bis 3) und 5) bis 13) zu Recht rügen, nicht frei von Rechtsfehlern. Daher ist die tatrichterliche Auslegung für das Revisionsgericht nicht bindend (§ 561 Abs. 2 ZPO).
1. Zu den anerkannten Grundsätzen der Vertragsauslegung gehört es, daß diese in erster Linie den von den Parteien gewählten Wortlaut der Vereinbarung und den diesem zu entnehmenden objektiv erklärten Parteiwillen zu berücksichtigen hat (BGHZ 121, 13, 16; BGH, Urteil vom 31. Januar 1995 – XI ZR 56/94, WM 1995, 743 = NJW 1995, 1212 unter II 2; BGH, Urteil vom 11. September 2000 – II ZR 34/99, WM 2000, 2371 = NJW 2001, 144 unter II 1). Dagegen hat das Berufungsgericht verstoßen, indem es zwar erkannt hat, daß die Verpflichtungen des Verkäufers in den genannten Verträgen an die „Rohmilcherzeugung” der gebundenen Landwirte anknüpfen, hieraus jedoch keine Folgerungen gezogen, sondern ohne tatsächliche Anhaltspunkte eine Lieferpflicht des Verkäufers ohne Rücksicht auf die Fortdauer seiner Milchproduktion entnommen hat. Die Verpflichtung des Verkäufers, „seine gesamte Rohmilcherzeugung” – mit den genannten zwei Ausnahmen – der SAM bzw. der Klägerin als Vertragsnachfolgerin zum Kauf anzubieten, setzt jedoch eine Rohmilchproduktion der BZG bzw. ihrer Nachfolgegesellschaften voraus und steht einer Verpflichtung zur Lieferung von Rohmilch – unabhängig vom Umfang der Produktion und Fortbestand des Betriebes – nicht gleich.
2. Mit seinem Verständnis der fraglichen Vertragsbestimmungen verletzt das Berufungsgericht darüber hinaus das Gebot einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung (vgl. Senatsurteil vom 8. Juni 1994 – VIII ZR 103/93, WM 1994, 1720 = NJW 1994, 2228 unter II 2 b; Senatsurteil vom 29. März 2000 – VIII ZR 297/98, WM 2000, 1289 = NJW 2000, 2508 unter II 2 a, jew. m.w.Nachw.), durch die eine Abrede auf einen vertretbaren Sinngehalt zurückzuführen ist (vgl. Senatsurteil vom 6. Juni 1979 – VIII ZR 281/78, WM 1979, 918 unter II).
Wie die Revisionskläger zu Recht geltend machen, hängt die Rentabilität landwirtschaftlicher Betriebe nicht nur von der Tüchtigkeit des Landwirts, sondern von der jeweiligen Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik Deutschland ab. Dadurch kann es dazu kommen, daß ein Landwirt seinen Betrieb umstellen muß, um in den Genuß von Subventionen, Beihilfen, Steuervergünstigungen, Stillegungsprämien und anderem zu gelangen und damit wettbewerbsfähig zu bleiben. Darüber hinaus können persönliche Gründe und allgemeine wirtschaftliche Überlegungen die Einstellung der Milchproduktion erforderlich machen. Es entspricht daher, wie auch dem Vertragspartner erkennbar ist, nicht dem Interesse des Landwirts, mit der Eingehung einer Verpflichtung zur Anbietung seiner „Rohmilchproduktion” zugleich die Pflicht zur Aufrechterhaltung seines milchproduzierenden Betriebes bis zum Ende der Vertragslaufzeit, die sich hier zunächst von 1994 bis 30. Juni 2000, sodann bis zum 30. Juni 2003 erstrecken sollte, übernehmen zu wollen. Die im Vertrag eingeräumten Ausnahmen (unmittelbarer Verbrauch, Direktvermarktung mit Zustimmung der Käuferin) stellen demnach lediglich eine Einschränkung der Verpflichtung des Verkäufers zur Anbietung seiner Rohmilcherzeugung dar, nicht aber eine abschließende Regelung über das Freiwerden von einer Lieferverpflichtung. Das durch den Vertrag geschützte Interesse der Klägerin besteht demgegenüber darin, daß die von ihren Vertragspartnern erzeugte Milch (nur) ihr angeboten und von diesen nicht anderweitig vermarktet wird. In diese geschützten Belange wird nicht eingegriffen, wenn die Klägerin von den Landwirten, die aus den oben genannten Erwägungen ihre Milchproduktion eingestellt haben, nicht mehr mit Milch beliefert wird.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist auch die Berufung der Beklagten auf eine Betriebseinstellung mit der beabsichtigten langfristigen Bindung nicht unvereinbar. Diese langfristige Bindung der Vertragspartner im Bereich des Einzugsgebiets der SAM, durch welche die Existenz der betroffenen milcherzeugenden Betriebe gesichert und gleichzeitig ein Nachfolgeunternehmen für die in Gesamtvollstreckung befindliche SAM gewonnen werden sollte, ist auch dann gewährleistet und sinnvoll, wenn die Anbietungspflicht der Verkäufer auf die tatsächlich erzielte Milchproduktion beschränkt ist. Dieser Anbietungspflicht, die einen anderweitigen Absatz der Rohmilchproduktion durch die Verkäufer ausschloß, steht dann die Abnahmepflicht der SAM bzw. der Klägerin als Gegenleistung gegenüber.
III. Da weitere tatsächliche Feststellungen nicht in Betracht kommen, kann der Senat die Auslegung der fraglichen Vertragsbestimmungen selbst vornehmen (BGHZ 124, 39, 45; BGH, Urteil vom 3. April 2000 – II ZR 194/98, WM 2000, 1195 = NJW 2000, 2099 unter I 2 c). Danach sind die Verkäufer und damit die Beklagten zu 1) bis 3) und 5) bis 13) zur Belieferung der Klägerin nicht mehr verpflichtet, wenn sie aus vertretbaren Gründen ihren Betrieb aufgegeben haben und daher nicht mehr in der Lage sind, Milch aus eigener Produktion zum Verkauf anzubieten. Dies ist hier von sämtlichen noch am Revisionsverfahren beteiligten Beklagten geltend gemacht worden, ohne daß die Klägerin dem entgegengetreten wäre. Soweit die Klägerin unter Beweisantritt vorgetragen hat, eine Auslegung der Klausel dahingehend, daß bei willkürlicher Einstellung der Milchproduktion die Lieferverpflichtung entfalle, entspreche weder dem allgemeinen Verständnis der Mitglieder der SMEG noch dem Parteiwillen, steht dies der vorgenommenen Auslegung nicht entgegen, da ein solcher Fall hier auch von der Klägerin nicht behauptet worden ist.
Da die zwischen der Klägerin und der BZG bestehenden Verträge auch eine Verpflichtung der Verkäufer nicht enthalten, das Andienungsrecht auf einen etwaigen Betriebsnachfolger zu übertragen, scheidet ein Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen Verletzung dieser Pflicht bei Übertragung der Milchviehanlage auf die frühere Beklagte zu 4) ebenfalls aus.
IV. Auf die Revisionen der Beklagten zu 1) bis 3) und 5) bis 13) war daher unter entsprechender Aufhebung des Berufungsurteils und Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Unterschriften
Dr. Deppert, Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Dr. Deppert, 22.2.2002, Dr. Frellesen für den wegen Urlaubs an der Unterzeichnung verhinderten, Dr. Leimert
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 13.02.2002 durch Kirchgeßner, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 708250 |
BGHR 2002, 485 |
NJW-RR 2002, 852 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2002, 1458 |
AgrarR 2002, 284 |
MDR 2002, 811 |