Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftpflicht- und Fahrzeugversicherung. Allgemeine Versicherungsbedingungen. Beschränkung des örtlichen Geltungsbereichs des Versicherungsschutzes. Versicherter geographischer Bereich. Asiatischer Teil der Türkei. Individuelle Erweiterung des Versicherungsschutzes. Belehrungspflicht des Versicherers
Leitsatz (amtlich)
Wird dem Versicherer im Zusammenhang mit der Anforderung einer grünen Versicherungskarte mitgeteilt, dass sich der Versicherungsnehmer mit dem versicherten Fahrzeug in die Türkei begeben wird, muss er diesem - auch für die Fahrzeugversicherung - Klarheit über die Besonderheiten des Versicherungsschutzes verschaffen, der sich für die Türkei in einen (versicherten) europäischen und einen (nicht versicherten) asiatischen Teil spaltet.
Normenkette
AKB § 2a Abs. 1
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 09.03.2004; Aktenzeichen 25 U 4375/03) |
LG München I |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 25. Zivilsenats des OLG München v. 9.3.2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen eines Fahrzeugbrandes auf Versicherungsleistungen in Anspruch.
Er hatte bei dieser eine Haftpflicht- und eine Fahrzeugversicherung für sein Wohnmobil genommen. Dem Versicherungsverhältnis lagen Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) zu Grunde, die in ihrem hier maßgeblichen Teil den Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB 1996) entsprechen.
Im Jahre 2002 beabsichtigte der Kläger eine Urlaubsreise in die Türkei. Vor Fahrtantritt setzte sich seine Ehefrau mit dem Versicherungsagenten der Beklagten, dem Zeugen S., telefonisch in Verbindung; Einzelheiten des Gesprächs sind zwischen den Parteien streitig. Der Kläger erhielt nachfolgend eine grüne Versicherungskarte übersandt, bei der das Länderkürzel "TR" gestrichen war. Am 3.7.2002 brannte sein in C. bei I. abgestelltes Fahrzeug vollständig aus. Den dabei entstandenen Schaden machte der Kläger bei der Beklagten geltend. Diese verneinte ihre Eintrittspflicht, weil gem. § 2a Abs. 1 AVB für den asiatischen Teil der Türkei kein Versicherungsschutz bestehe.
Das LG hat der Zahlungsklage von 36.419,32 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5.025 EUR stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG - unter Zurückweisung des Rechtsmittels des Klägers, der vor dem Berufungsgericht noch einen Zahlungsanspruch von insgesamt 33.500 EUR verfolgt hat - die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Revision.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Dieses hat ausgeführt: Der Schaden habe sich im asiatischen Teil der Türkei und daher außerhalb des versicherten geographischen Bereichs ereignet. Eine "konkludente" Ausweitung des Versicherungsschutzes auf Asien sei dem Vorbringen des Klägers nicht zu entnehmen. Allerdings könnten den Versicherer Hinweispflichten treffen, wenn der Versicherungsnehmer ihm eine geplante Auslandsreise bekannt gebe. Das gelte aber nicht grundsätzlich schon dann, wenn im Zusammenhang mit der Anforderung einer grünen Versicherungskarte das Wort "Türkei" falle. Es müsse den Verantwortlichen vielmehr bekannt sein oder sich ihnen zumindest aufdrängen, dass eine Reise in ein nicht versichertes Gebiet anstehe. In Fällen wie dem vorliegenden müsse der Versicherungsnehmer zu erkennen geben oder es sonst nahe liegen, dass er in den außereuropäischen Teil der Türkei fahren wolle. Allein der Umstand, dass bei Anforderung der grünen Versicherungskarte die Türkei erwähnt werde, begründe keine Aufklärungspflichten über die geographische Unterteilung des Landes und die daraus resultierenden versicherungsrechtlichen Besonderheiten.
II. Das ist nicht frei von Rechtsfehlern.
1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings einen Anspruch auf Versicherungsleistungen verneint. Sie hat gem. § 2a Abs. 1 AVB ihr Leistungsversprechen nur auf Europa und die außereuropäischen Gebiete bezogen, die zum Geltungsbereich des Vertrages über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gehören. Der Versicherungsfall, aus dem der Kläger die Beklagte in Anspruch nimmt, hat sich jedoch in dem Teil der Türkei ereignet, der zu Asien gehört. Damit besteht für den geltend gemachten Kaskoschaden kein Versicherungsschutz.
Entgegen der Auffassung der Revision halten die AVB in ihrem hier entscheidenden Teil einer Inhaltskontrolle am Maßstab des Transparenzgebots (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) stand. Zwar ist der Versicherer gehalten, in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Rechtsposition des Versicherungsnehmers klar und durchschaubar darzustellen (BGH v. 9.5.2001 - IV ZR 121/00, BGHZ 147, 354 [361 f.] = MDR 2001, 1055 = BGHReport 2001, 542; BGH v. 24.3.1999 - III ZR 90/98, BGHZ 141, 137 [143]). Diesem Gebot hat die Beklagte indes genügt. Ihre Versicherungsbedingungen sind unter § 2a Abs. 1 verständlich und mit der erforderlichen Eindeutigkeit gefasst, wenn sie darin die örtliche Geltung des Versicherungsvertrages auf den Bereich Europas und auf bestimmte außereuropäische Gebiete beschränkt. Die Beklagte hat in der Klausel für die Haftpflichtversicherung den örtlichen Geltungsbereich übernommen, wie er durch den Verordnungsgeber in § 1 der Kraftfahrzeug-Pflichtversicherungsverordnung festgelegt ist. Die in § 2a Abs. 1 AVB weiter enthaltene Bestimmung, die Versicherung gelte auch für die Fahrzeugversicherung nur für Europa und bestimmte außereuropäische Gebiete, lässt beim durchschnittlichen Versicherungsnehmer, auf dessen Verständnismöglichkeit es ankommt (BGH v. 23.6.1993 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83 [85] = MDR 1993, 841, und ständig), keine ernsthaften Zweifel daran aufkommen, dass Versicherungsschutz nicht für Schäden gewährt wird, die in einem Gebiet eintreten, das nicht zu Europa gehört, wobei in diesem Zusammenhang auf eine geographische Sichtweise abzustellen ist (BGHZ 40, 22 [24]; BGH v. 4.7.1989 - VI ZR 217/88, BGHZ 108, 200 [204] = MDR 1989, 1091). Es ist dabei nicht Sache des Versicherers, den Versicherungsnehmer in den Versicherungsbedingungen oder auf sonstige Weise über die genauen geographischen Grenzen Europas in Kenntnis zu setzen. Er darf dieses Wissen beim Versicherungsnehmer voraussetzen oder zumindest erwarten, dass dieser es sich aus eigener Veranlassung verschafft.
2. Das Berufungsgericht geht weiter zu Recht davon aus, dass keine individuelle Erweiterung des Versicherungsschutzes in seinem örtlichen Geltungsbereich gem. § 2a Abs. 2 S. 1 AVB erfolgt ist. Dass eine solche Vereinbarung im Zuge des zwischen der Ehefrau des Klägers und dem Zeugen Sch. geführten Telefongespräches getroffen worden ist, hat der Kläger nicht behauptet. Auch die Aushändigung der - nur auf die Haftpflichtversicherung bezogenen - grünen Versicherungskarte hat keine Erstreckung des Versicherungsschutzes auf den asiatischen Teil der Türkei bewirkt. Dem Kläger ist die Versicherungskarte mit Streichung des Länderkürzels für die Türkei übersandt worden. Das musste der Kläger als Versicherungsnehmer bei gehöriger Sorgfalt so verstehen, dass die Beklagte von der in § 2a Abs. 1 AVB vorgesehenen Möglichkeit der Erweiterung des Geltungsbereiches des Versicherungsvertrages gerade keinen Gebrauch machen und den Versicherungsschutz nicht auf den asiatischen Teil der Türkei ausdehnen wollte (BGH v. 28.10.1992 - IV ZR 326/91, BGHZ 120, 87 [91 ff.] = MDR 1993, 217). Das gilt erst recht für die Fahrzeugversicherung; auch hier war für den Kläger mit der gebotenen Deutlichkeit erkennbar, dass es die Beklagte bei dem örtlichen Geltungsbereich des § 2a Abs. 1 AVB belassen wollte. Einer Beweisaufnahme zu der Frage, ob der Zeuge S. über grüne Versicherungskarten verfügte, bei denen das Länderkürzel für die Türkei nicht gestrichen war, bedurfte es entgegen der Ansicht der Revision in diesem Zusammenhang nicht. Dadurch allein hätte der Kläger den ihm obliegenden Nachweis für eine Erweiterung des Versicherungsschutzes nicht führen können. Es genügt nicht, dass der Zeuge S. die Möglichkeit gehabt hätte, dem Kläger eine grüne Karte ohne Streichung des Länderkürzels "TR" zu übersenden. Damit wäre noch nicht bewiesen, dass die dem Kläger tatsächlich übersandte Versicherungskarte keine Streichung des Länderkürzels enthielt; nur darauf kommt es aber an.
Für die von der Revision angesprochene ergänzende Auslegung des Versicherungsvertrages ist angesichts der eindeutig abgefassten Versicherungsbedingungen, die eine vertragliche Regelungslücke nicht erkennen lassen, kein Raum. Die Beklagte verhält sich schließlich auch nicht treuwidrig, wenn sie sich auf den beschränkten örtlichen Geltungsbereich des Versicherungsvertrages beruft. Dass sie im Falle einer Erweiterung des Versicherungsschutzes dem Kläger keine zusätzliche Versicherungsprämie berechnet hätte, ist unerheblich. Daraus lässt sich nicht ableiten, dass sie dem Kläger gegenüber zu einer Einbeziehung auch des asiatischen Teils der Türkei in den Versicherungsvertrag verpflichtet gewesen wäre.
3. Nicht zu folgen ist dem Berufungsgericht jedoch darin, dass schon aus Rechtsgründen ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus positiver Vertragsverletzung wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten zu verneinen ist.
Es besteht in Literatur und Rechtsprechung Einigkeit, dass den Versicherer Hinweispflichten treffen, wenn für ihn erkennbar wird, dass der Versicherungsnehmer einer Belehrung bedarf, weil er über einen für ihn wesentlichen Vertragspunkt - wie etwa über die Reichweite des bestehenden Versicherungsschutzes - irrige Vorstellungen hat (BGH v. 4.7.1989 - VI ZR 217/88, BGHZ 108, 200 [205 f.] = MDR 1989, 1091; OLG Koblenz ZfS 1998, 261; OLG Stuttgart ZfS 1992, 412; OLG Hamm NZV 1991, 314; OLG Köln RuS 1989, 3; OLG Karlsruhe VersR 1988, 486; OGH Österreich v. 13.7.1994 - 7 Ob 28/94, VersR 1995, 943; Stiefel/Hofmann, 17. Aufl., § 2a AKB Rz. 4; Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 2a AKB Rz. 4). Eine solche Aufklärung kann ferner dann angezeigt sein, wenn dem Versicherer bekannt wird oder sich ihm zumindest hätte aufdrängen müssen, dass der Versicherungsnehmer sich mit dem versicherten Fahrzeug außerhalb des örtlichen Geltungsbereiches des Versicherungsvertrages begeben will (Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung, 2. Aufl., § 2a AKB Rz. 3a).
Davon geht auch das Berufungsgericht grundsätzlich aus. Es verkürzt indes im Weiteren die Belehrungspflichten des Versicherers in unzulässiger Weise, wenn es die Benennung der Türkei als künftiges Reiseziel nicht genügen lässt und zusätzlich verlangt, der Versicherungsnehmer müsse zum Ausdruck bringen, er wolle sich mit dem Fahrzeug gerade auch in den asiatischen Teil der Türkei begeben. Vielmehr bringt schon die Erwähnung der Türkei für sich allein das Interesse des Versicherungsnehmers hinreichend zum Ausdruck, das Fahrzeug im gesamten Gebiet der Türkei mit Versicherungsschutz führen zu können. Angesichts des Umstandes, dass die Türkei mit ihrem weit überwiegenden Teil geographisch dem asiatischen Kontinent zuzuordnen ist, liegt es nahe, dass sich der Versicherungsnehmer bei seiner angekündigten Reise nicht auf den europäischen Raum beschränken könnte. Dem sich daraus ergebenden Aufklärungsbedürfnis darf sich der Versicherer redlicherweise nicht verschließen. Es ist seine Aufgabe, dem Versicherungsnehmer Klarheit über die Besonderheiten des Versicherungsschutzes zu verschaffen, der sich für die Türkei in einen (versicherten) europäischen und in einen (nicht versicherten) asiatischen Teil spaltet. Er hat dem Versicherungsnehmer die drohende Lücke im Versicherungsschutz vor Augen zu führen und zu erläutern, dass das Fahrzeug ohne eine Erweiterung des örtlichen Geltungsbereiches des Versicherungsvertrages weder in der Haftpflichtversicherung noch in der Fahrzeugversicherung Versicherungsschutz hat, sollte es im asiatischen Raum bewegt werden. Dass sich auch die Beklagte dieses Problems bewusst gewesen ist, zeigt die Aussage des Zeugen S. Dieser hat bekundet, er stelle einem Versicherungsnehmer keine grüne Versicherungskarte aus, sondern verweise ihn an das Kundendienstbüro der Beklagten, sollte ihm die Türkei als beabsichtigtes Reiseziel offen gelegt werden, ohne dies mit der Einschränkung zu versehen, der Versicherungsnehmer müsse dabei zwischen dem europäischen und dem asiatischen Teil unterscheiden.
4. Durch seinen unzutreffenden rechtlichen Ansatz hat sich das Berufungsgericht den Blick auf die Frage verstellt, ob die Ehefrau des Klägers dem Zeugen S. - über allgemeine Urlaubsschilderungen hinausgehend - die Türkei als konkretes Reiseziel benannt hat. Sollte dies zu bejahen sein, wäre der Zeuge S. gehalten gewesen, für entsprechende Hinweise an den Kläger Sorge zu tragen. Es kommt somit auf das Ergebnis der landgerichtlichen Beweisaufnahme an, mit dem sich das Berufungsgericht bislang nicht auseinander gesetzt hat. Das wird nachzuholen sein. Das Berufungsgericht wird sich ggf. auch mit der Frage eines Mitverschuldens des Klägers zu befassen haben, dem bei aufmerksamer Durchsicht der grünen Versicherungskarte hätte auffallen müssen, dass darin das Länderkürzel "TR" gestrichen war.
Fundstellen
Haufe-Index 1349979 |
NJW 2005, 2011 |
BGHR 2005, 1035 |
ZAP 2005, 817 |
DAR 2005, 396 |
MDR 2005, 1108 |
NZV 2005, 361 |
VRS 2005, 101 |
ZfS 2005, 348 |
NJW-Spezial 2005, 354 |
SVR 2006, 109 |
VRR 2005, 266 |
r+s 2005, 455 |