Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtskraft eines früheren Urteils über denselben Streitgegenstand als negative Prozessvoraussetzung auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu beachten. Klagabweisende Entscheidung, die Zulässigkeit der Klage ausdrücklich offen läßt, erwächst als Sachurteil in Rechtskraft. Feststellungsanspruch und Leistungsanspruch als unterschiedliche Streitgegenstände
Leitsatz (amtlich)
a) Die Rechtskraft einer in einem Vorprozess der Parteien ergangenen Entscheidung ist nicht nur bei Identität der Streitgegenstände in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten, sondern auch dann, wenn eine für den nachfolgenden Rechtsstreit (hier: Leistungsklage) entscheidungserhebliche Vorfrage im Vorprozess (dort: Feststellungsklage) rechtskräftig entschieden wurde.
b) Auch ein klagabweisendes Urteil, das die Zulässigkeit der Klage verfahrensfehlerhaft dahinstehen lässt, ist der uneingeschränkten materiellen Rechtskraft fähig, wenn aus dessen Tenor und Entscheidungsgründen ersichtlich ist, dass das Gericht ungeachtet seiner Zweifel an der Zulässigkeit der Klage kein Prozessurteil erlassen, sondern eine Sachentscheidung getroffen hat.
Normenkette
ZPO § 322
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden unter Zurückweisung der Rechtsmittel des Klägers das Urteil des 9. Zivilsenats des OLG Naumburg vom 6.12.2005 und das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Halle vom 27.4.2005 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten entschieden wurde.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Der Kläger verlangt vom Beklagten aus gekündigten Mietverhältnissen als Ersatz seines Mietausfallschadens für die Monate Oktober 1999 bis Dezember 2000 einen Betrag von 28.974,19 EUR zzgl. 4.727,39 EUR Nebenkosten für die Monate Juni 1999 bis Dezember 2000, jeweils nebst Zinsen.
[2] Die Parteien waren gemeinsam mit Walter K. Gesellschafter einer Grundstücks-, Besitz- und Verwaltungsgesellschaft bürgerlichen Rechts. Diese Gesellschaft schloss mit dem Beklagten drei jeweils bis Ende 2006 befristete Mietverträge zum Betrieb eines Fitnessstudios, nämlich am 1.4.1993 über das Kellergeschoss, die Räume im Erdgeschoss rechts sowie sieben Parkplätze im Objekt D.-weg 4, am 29.4.1994 über das Obergeschoss dieses Objekts und am 27.12.1995 über sieben weitere Parkplätze auf dem Grundstück D.-weg 2.
[3] Nachdem der Beklagte den Mietzins bis einschließlich Juli 1997 an den Kläger gezahlt hatte, stellte er seine Zahlungen ein. Daraufhin kündigte der Kläger die drei Mietverträge fristlos mit Schreiben vom 10.9.1997. Am 28.2.1999 räumte der Beklagte die Mietobjekte.
[4] Der Kläger leitete das vorliegende Verfahren mit Mahnbescheid vom 18.12.2003 über 8.369,58 EUR nebst Kosten und Zinsen ein.
[5] Das LG gab der zuletzt auf 33.601,58 EUR erhöhten Klage i.H.v. 22.520,06 EUR nebst Zinsen statt. Dagegen legten beide Parteien Berufung ein. Das Berufungsgericht gab der Klage auf die Berufung des Klägers abändernd i.H.v. 27.147,45 EUR nebst Zinsen statt und wies die Berufungen der Parteien im Übrigen zurück. Dagegen richten sich die vom Senat zugelassene Revision des Beklagten sowie die Anschlussrevision des Klägers, mit denen die Parteien ihre zuletzt gestellten Anträge weiterverfolgen.
Entscheidungsgründe
[6] Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Änderung der angefochtenen Entscheidungen und zur Abweisung der Klage insgesamt. Die Anschlussrevision des Klägers hat keinen Erfolg.
[7] Auf den Streit der Parteien darüber, ob der Kläger auf Vermieterseite in die von der Gesellschaft bürgerlichen Rechts abgeschlossenen Mietverträge eingetreten ist, und ob die Vorinstanzen, die dies bejahen, durch Verwertung von den Parteien nicht eingeführter Erkenntnisse aus Vorprozessen zwischen ihnen gegen den Beibringungsgrundsatz verstoßen haben, kommt es nicht an. Ebenso kann dahinstehen, ob die Schriftform dieser Verträge gewahrt ist und der Beklagte sich ggü. der Klageforderung zu Recht auf Verjährung berufen hat.
[8] Dem sachlichen Erfolg der Klage steht nämlich die vor ihrer Erhebung (2004) eingetretene Rechtskraft eines zwischen den Parteien ergangenen Urteils vom 9.9.1998 (3 O 57/98 LG Halle) entgegen.
[9] 1. Die Rechtskraft eines früheren Urteils über denselben Streitgegenstand ist als negative Prozessvoraussetzung auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu beachten (BGHZ 53, 332, 334; BGH, Urt. v. 21.12.1988 - VIII ZR 277/87, NJW 1989, 2133, 2134; Stein/Jonas/Leipold ZPO, 21. Aufl., § 322 Rz. 221; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 322 Rz. 67; Thomas/Putzo/Reichold ZPO, 28. Aufl., § 322 Rz. 13). Aber auch dann, wenn eine im Vorprozess rechtskräftig entschiedene Rechtsfrage lediglich Vorfrage für die Entscheidung des nachfolgenden Rechtsstreits ist, hat das Revisionsgericht die Rechtskraft der früheren Entscheidung und die sich daraus ergebende Bindungswirkung von Amts wegen zu beachten (vgl. BGH, Urt. v. 24.6.1993 - III ZR 43/92, NJW 1993, 3204, 3205; v. 6.10.1989 - V ZR 283/86, BGHR ZPO § 322 Abs. 1 Amtsprüfung 1m.N.; Zöller/Vollkommer ZPO, 26. Aufl., § 322 Rz. 20; Hk-ZPO/Saenger 2. Aufl., § 322 Rz. 16).
[10] Deshalb ist es hier ohne Belang, dass sich die Parteien in den Vorinstanzen nicht auf die Rechtskraft dieses Urteils berufen hatten, sie den Vorinstanzen deshalb verborgen blieb und der Beklagte erstmals im Rahmen seiner Nichtzulassungsbeschwerde die Beiziehung der Akten 3 O 57/98 LG Halle beantragt und auf die Rechtskraft dieses Urteils hingewiesen hat. In diesem Vorprozess (3 O 57/98 LG Halle) hatte der Kläger erstinstanzlich aus allen drei vorgenannten Mietverträgen u.a. Mietausfallentschädigung für die Zeit bis Ende Februar 1998 geltend gemacht und zusätzlich die Feststellung beantragt, "dass der Beklagte auch nach dem 1.3.1998 verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz aus entgangenen Mieteinnahmen zu leisten".
[11] Das LG hatte diese Klage mit Urteil vom 9.9.1998 insgesamt abgewiesen. Seine hiergegen eingelegte Berufung nahm der Kläger - nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist - in der mündlichen Verhandlung vor dem OLG am 23.12.1998 hinsichtlich des Feststellungsantrages zurück.
[12] Hierdurch ist die Abweisung des Feststellungsantrags in Rechtskraft erwachsen.
[13] a) Dem steht nicht entgegen, dass das LG in diesem Vorprozess - rechtsfehlerhaft - in den Entscheidungsgründen ausgeführt hat, es könne dahinstehen, inwieweit der vom Kläger gestellte Feststellungsantrag zulässig sei.
[14] Die höchstrichterlich noch nicht geklärte Frage, ob eine der Rechtskraft fähige Sachentscheidung vorliegt, wenn ein Gericht eine Klage alternativ als unzulässig oder unbegründet abweist, ist in der Literatur umstritten. Nur wenn das Gericht die Zulässigkeit der Klage eindeutig verneint, besteht Einigkeit darüber, dass weitere Ausführungen zur Begründetheit lediglich obiter dicta darstellen und nicht in Rechtskraft erwachsen.
[15] Teilweise wird die Auffassung vertreten, ein klagabweisendes Urteil, das die Zulässigkeit der Klage zu Unrecht bewusst ungeprüft lasse, weil jedenfalls ihre Unbegründetheit ohne weiteres feststehe, erwachse nicht in Rechtskraft (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO, 26. Aufl. vor § 322 Rz. 43).
[16] Nach überwiegend vertretener Auffassung erwächst jedoch auch eine klagabweisende Entscheidung, die die Zulässigkeit der Klage ausdrücklich "offen" lässt, als Sachurteil in Rechtskraft (vgl. Gottwald in MünchKomm/ZPO, a.a.O., § 322 Rz. 175; Musielak/Musielak ZPO, 5. Aufl., § 322 Rz. 46; Hk-ZPO/Saenger 2. Aufl., § 322 Rz. 36).
[17] Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an. Denn unzweifelhaft erwächst eine Sachabweisung auch dann in Rechtskraft, wenn das Gericht das Fehlen einer Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage übersehen oder die Zulässigkeit grob fehlerhaft bejaht hat. Darüber hinaus erwächst auch ein Urteil in Rechtskraft, das unter Verstoß gegen § 308 ZPO mehr als beantragt zuspricht; insoweit fehlt es aber nicht nur an der Zulässigkeit einer Klage, sondern an einer Klageerhebung überhaupt. Demgegenüber erscheint eine Entscheidung, die zwar Zweifel an der Zulässigkeit anspricht, es aber verfahrenswidrig unterlässt, ihnen weiter nachzugehen, weniger fehlerhaft, so dass für den Senat kein Grund ersichtlich ist, ihr wegen eines minder schweren Fehlers die Rechtskraft abzusprechen.
[18] Im vorliegenden Fall hat das LG im Vorprozess jedenfalls seine nicht näher bezeichneten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Feststellungsklage ersichtlich nicht zum Anlass einer Prozessabweisung genommen. Vielmehr hat es davon abgesehen, diesen Bedenken weiter nachzugehen, und sich nicht gehindert gesehen, sämtliche Klageanträge mit ausführlicher und einheitlicher Begründung, nämlich wegen fehlender Sachbefugnis des Klägers, in der Sache abzuweisen. Abgesehen davon vermag der Senat nicht zu erkennen, was der Zulässigkeit der Klage auf Feststellung einer fortdauernden Ersatzpflicht für einen hinreichend genau bezeichneten und noch nicht endgültig zu beziffernden Kündigungsfolgeschaden hier hätte entgegenstehen können.
[19] b) Damit steht zwischen den Parteien rechtskräftig fest, dass das behauptete Rechtsverhältnis, nämlich eine Schadensersatzpflicht des Beklagten dem Kläger gegenüber auch für die Zeit nach dem 1.3.1998, nicht besteht (vgl. Gottwald in MünchKomm/ZPO, a.a.O., § 322 Rz. 183).
[20] Im Verhältnis eines vorausgegangenen Feststellungsurteils zu einer nachfolgenden Leistungsklage bedeutet dies, dass die Abweisung der auf Feststellung einer Forderung erhobenen Klage in der Sache insoweit Rechtskraft für eine später auf dieselbe Forderung gestützte Leistungsklage schafft, als das mit ihr erstrebte Prozessziel unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr aus demselben Lebenssachverhalt hergeleitet werden kann, der der Feststellungsklage zugrunde gelegen hat (BGH, Urt. v. 14.2.2006 - VI ZR 322/04, NJW-RR 2006, 712, 714 Rz. 15m.N.).
[21] c) Dem sachlichen Erfolg der vorliegenden Klage hätte die rechtskräftige Abweisung der Feststellungsklage im Vorprozess daher nur dann nicht von vornherein entgegen gestanden, wenn der Kläger nunmehr geltend gemacht hätte, die ihm im Vorprozess abgesprochene Sachbefugnis zur Geltendmachung der streitgegenständlichen Ansprüche im eigenen Namen inzwischen nachträglich, das heißt nach der letzten Tatsachenverhandlung im Vorprozess (18.8.1998), erworben zu haben, sei es durch Abtretung oder im Rahmen der Auseinandersetzung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, von der der Beklagte die Mietobjekte gemietet hatte (vgl. BGH, Urt. v. 14.2.2006 - VI ZR 322/04, NJW-RR 2006, 712, 714 Rz. 16m.N.). Hierfür ist dem Vorbringen des Klägers aber nichts zu entnehmen.
[22] 3. Dies macht die vorliegende Klage zwar nicht unzulässig. Denn nach der Rechtsprechung des BGH führt die materielle Rechtskraft eines Urteils in einem späteren Rechtsstreit nur dann zur Unzulässigkeit der neuen Klage und deshalb zur Prozessabweisung, wenn die Streitgegenstände beider Prozesse identisch sind oder im zweiten Prozess das kontradiktorische Gegenteil der im ersten Prozess ausgesprochenen Rechtsfolge begehrt wird. Das ist hier nicht der Fall. Da das Urteil im Vorprozess einen Feststellungsanspruch betrifft, während hier ein Leistungsanspruch geltend gemacht wird, liegen unterschiedliche Streitgegenstände vor (vgl. BGH, Urt. v. 22.11.1988 - VI ZR 341/87, NJW 1989, 393 f.; v. 17.2.1983 - III ZR 184/81, NJW 1983, 2032 f.).
[23] b) Die Klage ist aber unbegründet. Für den im vorliegenden Rechtsstreit vom Kläger geltend gemachten Zahlungsanspruch (Ersatz des durch die fristlose Kündigung der Mietverträge in der Zeit von Juni 1999 bis Dezember 2000 entstandenen Mietausfallschadens) ist die im Vorprozess entschiedene Frage nach dem Bestehen oder Nichtbestehen der streitigen Schadensersatzverpflichtung des Beklagten dem Kläger gegenüber für die Zeit nach dem 1.3.1998 entscheidend. Steht - wie hier - infolge rechtskräftiger Abweisung der positiven Feststellungsklage fest, dass der Beklagte dem Kläger wegen der vorzeitigen Beendigung der drei Mietverträge für die Zeit nach dem 1.3.1998 nicht schadensersatzpflichtig ist, kann eine auf Ersatz eines solchen Schadens gerichtete Leistungsklage keinen Erfolg haben, weil das nachentscheidende Gericht an einer abweichenden Beurteilung der rechtskräftig entschiedenen (Vor-)Frage gehindert ist (BGH, Urt. v. 17.2.1983 - III ZR 184/81, NJW 1983, 2032 f. m.w.N.).
[24] Dies gilt hier auch, soweit der Kläger einen Betrag von 4.627,39 EUR als verbrauchsunabhängige Nebenkosten für die Monate Oktober 1999 bis Dezember 2000 verlangt. Denn hierbei handelt es sich nicht um die Nachzahlung vertraglich geschuldeter Nebenkosten für einen Zeitraum, in dem die Mietverhältnisse noch bestanden, sondern, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, um verbrauchsunabhängige Nebenkosten aus der Zeit nach vorzeitiger Beendigung der Mietverhältnisse und damit ebenfalls um einen Kündigungsfolgeschaden, der in gleicher Weise wie der sonstige ab 1.3.1998 verlangte Mietausfallschaden von der Rechtskraft der im Vorprozess ergangenen Entscheidung erfasst wird.
[25] 4. Da die Klage somit insgesamt unbegründet ist, kommt es auf die von der Anschlussrevision angenommene Verjährung des Anspruchs auf Mietausfall für 1999 nicht mehr an.
Fundstellen
Haufe-Index 1937950 |
NJW 2008, 1227 |
BGHR 2008, 559 |
EBE/BGH 2008 |
FamRZ 2008, 774 |
NZM 2008, 285 |
WM 2008, 1569 |
WuB 2009, 81 |
AnwBl 2008, 146 |
JuS 2008, 754 |
MDR 2008, 522 |
GuT 2008, 149 |
MietRB 2008, 138 |
RÜ 2008, 228 |
LL 2008, 445 |
Mitt. 2008, 188 |