Leitsatz (amtlich)
Bestehen ausnahmsweise gewichtige Interessen des Beklagten gegenüber dem auf eine unrichtige geographische Herkunftsangabe gestützten Kennzeichnungsverbot, so greift dieses nicht durch, wenn aufgrund entlokalisierender Zusätze einer Irreführung des Verkehrs (hier: über die Herkunft eines Bieres aus einer bestimmten Produktionsstätte) in ausreichendem Maße entgegengewirkt wird und verbleibende Fehlvorstellungen des Verkehrs daneben nicht ins Gewicht fallen.
Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung kann eine Wechselwirkung zwischen den Anforderungen an entlokalisierende Zusätze und der Relevanz der Herkunft der Ware für die Kaufentscheidung der Verbraucher bestehen.
Normenkette
MarkenG § 126 Abs. 1, § 127 Abs. 1, 4 Nr. 1, § 128 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe |
LG Mannheim |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 14. Februar 1996 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist ein eingetragener Verein mit dem satzungsmäßigen Zweck, unlauteren Wettbewerb zu bekämpfen.
Die Beklagte betreibt in Warstein eine Brauerei. Diese befindet sich seit 1753 im Familienbesitz. Die Beklagte ist Inhaberin der aufgrund Verkehrsdurchsetzung am 24. Oktober 1990 eingetragenen Marke Nr. 1 166 399 „Warsteiner” für „Bier nach Pilsener Brauart”.
Im Herbst 1990 erwarb die Beklagte die 40 km von Warstein entfernt gelegene Paderborner Brauerei, in der sie die Sorten „Light” und „Fresh” bis Ende 1991 braute.
Gegenstand des Rechtsstreits sind die von der Beklagten für diese Sorten auf den Vorder- und Rückseiten der Flaschen verwendeten, nachfolgend abgebildeten Etiketten:
Der Kläger hat die Gestaltung der Etiketten als irreführend beanstandet und geltend gemacht, für das in Paderborn gebraute Bier dürfe nicht die geographische Herkunftsangabe „Warsteiner” verwendet werden.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat ausgeführt, der Verkehr sehe in „Warsteiner” keinen Hinweis auf eine geographische Herkunft. Der Ort Warstein sei dem Verkehr unbekannt. Selbst wenn Teile des Verkehrs die Bezeichnung „Warsteiner” mit einer geographischen Herkunft verbinden sollten, so hänge die Wertschätzung des Bieres nicht von den örtlichen Gegebenheiten ab. Auch andere Biere mit geographischer Herkunftsbezeichnung stammten nicht (ausschließlich) aus dem so bezeichneten Ort.
Das Landgericht hat nach Einholung eines demoskopischen Gutachtens dem – vom Kläger mit Rücksicht auf eine strafbewehrte Unterlassungserklärung der Beklagten gegenüber einem anderen Wettbewerbsverein und einer entsprechenden Verurteilung zum Antrag auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache nur hilfsweise gestellten – Unterlassungsantrag im wesentlichen stattgegeben und unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel der Beklagten verboten, die in Paderborner Braustätten hergestellten Biere „Warsteiner Premium Light” und „Warsteiner Premium Fresh” mit den oben wiedergegebenen Etiketten anzubieten, zu vertreiben und/oder in den Verkehr zu bringen.
Das Berufungsgericht hat nach Einholung eines ergänzenden demoskopischen Gutachtens die Klage abgewiesen.
Mit der Revision begehrt der Kläger, das Urteil des Landgerichts wiederherzustellen. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Durch Beschluß vom 2. Juli 1998 hat der Senat die Entscheidung über die Revision ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung nach Art. 177 EG (jetzt: Art. 234 EG) folgende Frage vorgelegt (GRUR 1999, 251 = WRP 1998, 998 – Warsteiner I):
„Steht die Regelung der Verordnung Nr. 2081/92 vom 14. Juli 1992 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel der Anwendung einer nationalen Regelung entgegen, welche die irreführende Verwendung einer einfachen geographischen Herkunftsbezeichnung verbietet, d.h. einer Angabe, bei welcher kein Zusammenhang zwischen den Eigenschaften des Produkts und seiner geographischen Herkunft besteht?”
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat hierüber durch Urteil vom 7. November 2000 – Rs. C-312/98 – wie folgt entschieden (GRUR 2001, 64 = WRP 2000, 1389):
„Die Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 des Rates vom 14. Juli 1992 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel steht nicht der Anwendung einer nationalen Regelung entgegen, die die möglicherweise irreführende Verwendung einer geographischen Herkunftsangabe verbietet, bei der kein Zusammenhang zwischen den Eigenschaften des Produktes und seiner geographischen Herkunft besteht.”
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat die Klageansprüche für unbegründet erachtet. Hierzu hat es ausgeführt:
Der klagende Verein sei als prozeßführungsbefugt im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG anzusehen. Ihm gehörten Verbände an, die ihrerseits prozeßführungsbefugt seien. Eine erhebliche Zahl von Gewerbetreibenden, die wie die Beklagte Bier vertrieben, sei Mitglieder dieser Verbände. Aufgrund einer eidesstattlichen Versicherung des Geschäftsführers des Klägers sei davon auszugehen, daß bereits zum Landesverband B. e.V. die erforderliche Anzahl von Brauereien gehöre.
Die Verwendung der Bezeichnung „Warsteiner” für ein in Paderborn gebrautes Bier der Beklagten stelle aber keine Irreführung im Sinne des § 3 UWG dar. Aus der Verkehrsbefragung folge, daß kein erheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise durch diese Bezeichnung in relevanter, d.h. in einer für das Konsumverhalten maßgeblichen Weise irregeführt werde. Letztendlich verblieben nur 8 % der befragten Verbraucher, die Bier tränken, sei es auch nur gelegentlich oder selten, welche wüßten, daß es einen Ort Warstein gebe, und die auf Nachfrage diesem Ort auch Bedeutung beimäßen. Aus §§ 127 ff. MarkenG ergebe sich keine andere rechtliche Beurteilung, da auch dort auf die Relevanz der Irreführung durch eine unzutreffende geographische Herkunftsangabe abzustellen sei.
II. Die Revision ist unbegründet.
1. Mit Recht ist das Berufungsgericht von der Befugnis des Klägers ausgegangen, die beanstandete wettbewerbswidrige Verwendung der Bezeichnung „Warsteiner” als geographische Herkunftsangabe zu verfolgen (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG i.V. mit § 128 Abs. 1 MarkenG). Die Revisionserwiderung zieht ohne Erfolg in Zweifel, daß dem Kläger eine erhebliche Zahl von Gewerbetreibenden auf dem hier einschlägigen Markt angehört.
Die Revisionserwiderung macht geltend, der Kläger habe die Brauereien, die ihm unmittelbar angehörten, nicht namentlich benannt. Dies steht seiner Klagebefugnis jedoch nicht entgegen. Es reicht aus, daß der Kläger die Verbände, aus deren Mitgliedschaft er seine Klagebefugnis herleitet, namentlich benannt hat. Die Beklagte war damit in die Lage versetzt, zur Wahrung ihrer berechtigten Interessen die Angaben zur Mitgliederstruktur dieser Verbände substantiiert zu bestreiten und überprüfen zu lassen, was sie nicht getan hat (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 2.7.1998 – I ZR 55/96, GRUR 1999, 252, 254 = WRP 1998, 1002 – Warsteiner II, m.w.N., insoweit in BGHZ 139, 138, 141 nicht abgedruckt).
Auf die vom Berufungsgericht herangezogene und entgegen dem Vorbringen in der Revisionserwiderung als Anlage K 25a im vorliegenden Verfahren mit der Berufungsentgegnung vom 27. Februar 1995 vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers des Klägers zur Mitgliederstruktur kommt es daher nicht an.
2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, daß das Berufungsgericht einen Unterlassungsanspruch verneint hat.
Die rechtliche Beurteilung des Streitfalles richtet sich nach dem Inkrafttreten des Markengesetzes zum 1. Januar 1995 nach § 128 Abs. 1 i.V. mit § 127 Abs. 1, § 126 Abs. 1 MarkenG (vgl. BGHZ 139, 138, 139 – Warsteiner II; Fezer, Markenrecht, 2. Aufl., § 152 Rdn. 5). Die neue Regelung schließt als lex specialis in ihrem Anwendungsbereich vorliegend die Bestimmungen der §§ 3, 1 UWG aus.
a) Die Vorschrift des § 127 Abs. 1 MarkenG regelt den Schutz (einfacher) geographischer Herkunftsangaben gegen irreführende Verwendung für Waren und Dienstleistungen anderer Herkunft.
Bei der Bezeichnung „Warsteiner”, die in adjektivischer Form auf den Ort „Warstein” Bezug nimmt, handelt es sich um eine geographische Herkunftsangabe i.S. des § 126 Abs. 1 MarkenG.
Die (einfache) geographische Herkunftsangabe gemäß § 127 Abs. 1 MarkenG setzt nicht voraus, daß der Verbraucher mit ihr eine besondere, auf regionale oder örtliche Eigenheiten zurückzuführende Qualitätsvorstellung verbindet (vgl. BGHZ 139, 138, 140 – Warsteiner II, m.w.N.).
Die nationalen Bestimmungen zum Schutz (einfacher) geographischer Herkunftsangaben werden durch die Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 des Rates zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel vom 14. Juli 1992 (ABl. EG Nr. L 208 v. 24.7.1992 S. 1 = GRUR Int. 1992, 750 ff.) nicht ausgeschlossen (vgl. EuGH, Urt. v. 7.11.2000 – Rs. C-312/98, GRUR 2001, 64, 66 – Warsteiner; BGH, Urt. v. 25.1.2001 – I ZR 120/98, GRUR 2001, 420, 421 = WRP 2001, 546 – SPA). Nach Art. 2 Abs. 2 lit. b der Verordnung Nr. 2081/92, die gemäß Art. 1 Abs. 1 i.V. mit dem Anhang I auch Bier umfaßt, betrifft diese nur die geographischen Angaben, bei denen sich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einer bestimmten Qualität, dem Ansehen oder einer anderen Eigenschaft des Erzeugnisses und seinem spezifischen geographischen Ursprung ergibt. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Unstreitig besteht keine durch örtliche Besonderheiten bedingte Eigenart des in Warstein gebrauten Bieres.
Im Streitfall steht auch der Schutz der Bezeichnung „Warsteiner” als einer kraft Verkehrsdurchsetzung eingetragenen Marke und deren Verwendung auf den Etiketten der Bierflaschen dem im Interesse der Allgemeinheit gewährten Schutz der geographischen Herkunftsangabe i.S. des § 127 Abs. 1 MarkenG nicht entgegen (vgl. hierzu näher BGHZ 139, 138, 142 – Warsteiner II).
b) Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß 50 % der angesprochenen Verkehrskreise – das sind diejenigen Befragten, die häufig, gelegentlich oder selten Bier kaufen oder trinken – die Bezeichnung „Warsteiner” so verstehen, daß dieses Bier im Ort Warstein gebraut wird und es deshalb „Warsteiner” heißt. Kommt ein derartig bezeichnetes Bier aber aus einer Braustätte in Paderborn, so werden bei einer Quote von 50 % maßgebliche Teile des Verkehrs über die geographische Herkunft des Produkts irregeführt.
Das Berufungsgericht hat eine Irreführung i.S. des § 127 Abs. 1 MarkenG mit der Begründung verneint, auch bei § 127 Abs. 1 MarkenG komme es wie bei § 3 UWG auf eine für die Kaufentscheidung relevante Irreführung an.
Der Senat hat demgegenüber die Frage, ob der Schutz der geographischen Herkunftsangabe nach § 127 Abs. 1 MarkenG voraussetzt, daß die Herkunft der Ware für die Kaufentscheidung des Verbrauchers relevant i.S. des § 3 UWG ist, bislang verneint (BGHZ 139, 138, 140 – Warsteiner II; BGH GRUR 2001, 420, 421 – SPA; so auch Helm, Festschrift für Vieregge, S. 335, 349; Fezer aaO § 127 Rdn. 3; Althammer/Klaka, Markengesetz, 6. Aufl., § 127 Rdn. 3; Ullmann, GRUR 1999, 666, 667; a.A.: Ingerl/Rohnke, Markengesetz, § 127 Rdn. 3). Ob daran – was die Revisionserwiderung bezweifelt – angesichts der Ausführungen des Generalanwalts Jacobs in dem Vorabentscheidungsverfahren des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften im vorliegenden Verfahren unter Hinweis auf Art. 28 EG (Tz. 63 der Schlußanträge, vgl. auch Tz. 38 und 39 der Vorabentscheidung des EuGH) weiterhin festgehalten werden kann, kann im Streitfall offenbleiben.
c) Ein Unterlassungsanspruch nach § 128 Abs. 1 i.V. mit § 127 Abs. 1 MarkenG scheidet jedenfalls deshalb aus, weil das Verbot unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit steht (vgl. BGHZ 139, 138, 145 – Warsteiner II, m.w.N.; Fezer aaO § 127 Rdn. 6a; Althammer/Klaka aaO § 127 Rdn. 5; zur Interessenabwägung auch Helm aaO S. 335, 352). Daher ist eine Abwägung des Interesses der Verbraucher und der Mitbewerber daran, daß keine Irreführung über die Herkunft des Bieres erfolgt, mit dem Interesse der Beklagten an der Nutzung der Marke „Warsteiner” erforderlich.
Ausgangspunkt dieser Abwägung ist, daß im allgemeinen kein schutzwürdiges Interesse Dritter besteht, eine unrichtige geographische Herkunftsangabe zu verwenden (vgl. BGH, Urt. v. 6.6.1980 – I ZR 97/78, GRUR 1981, 71, 72 = WRP 1981, 18 – Lübecker Marzipan; Gloy, Festschrift für Piper, S. 543, 559; Großkomm./Lindacher, § 3 UWG Rdn. 573). Die Besonderheiten des Streitfalls führen jedoch dazu, daß dem Interesse der Beklagten an der uneingeschränkten Weiterverwendung der Bezeichnung „Warsteiner” der Vorrang einzuräumen ist.
Wie der Senat bereits in dem Parallelverfahren ausgeführt hat (BGHZ 139, 138, 145 – Warsteiner II), ist zugunsten der Beklagten zu berücksichtigen, daß diese sich mit der Marke „Warsteiner” ein wertvolles Kennzeichen, welches auch Unternehmenskennzeichen ist, aufgebaut hat. Für ein expandierendes Unternehmen erweist es sich gerade als wirtschaftlich vernünftig, die Kennzeichnungskraft des bekannten Unternehmenskennzeichens auch bei der Fortentwicklung des eigenen Unternehmens einzusetzen. Dazu gehört es auch, weitere Produktionsstätten an anderen Orten aufzubauen oder zu erwerben, um zu expandieren. Zudem besteht ein berechtigtes Interesse daran, die Unternehmensstrategie unter Beibehaltung des wichtigsten immateriellen Gutes, der Marke „Warsteiner”, fortzusetzen, zumal die Beklagte ihren Unternehmenssitz in Warstein beibehalten hat, von wo sie auch die unternehmerischen Entscheidungen hinsichtlich der Produktionsstätte in Paderborn trifft.
Der Senat hat allerdings auch betont, daß diese gewichtigen Interessen gegenüber dem Kennzeichnungsverbot des § 127 Abs. 1 i.V. mit § 128 Abs. 1 MarkenG nur dann durchgreifen, wenn die Beklagte bei der Verwendung ihrer Marke „Warsteiner” durch deutliche entlokalisierende Zusätze auf die Besonderheiten der Produktionsstätte in Paderborn hinweist und verbleibende Fehlvorstellungen des Verkehrs, soweit sie für seine Kaufentscheidung relevant sein können, daneben nicht ins Gewicht fallen (BGHZ 139, 138, 145 – Warsteiner II). Dabei sind an den Ausschluß der Irreführung des Verkehrs durch entlokalisierende Zusätze (vgl. § 127 Abs. 4 Nr. 1 MarkenG) strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BGH, Urt. v. 29.4.1982 – I ZR 111/80, GRUR 1982, 564, 565 = WRP 1982, 570 – Elsässer Nudeln; Fezer aaO § 127 Rdn. 18; Althammer/Klaka aaO § 127 Rdn. 17; Großkomm./Lindacher, § 3 UWG Rdn. 594; v. Gamm, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., Kap. 37 Rdn. 242; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 3 UWG Rdn. 224; Köhler/Piper, UWG, 2. Aufl., § 3 Rdn. 315; Gloy aaO S. 543, 546 f.; Helm aaO S. 333, 351). Dies findet seine Rechtfertigung darin, daß geographischen Herkunftsangaben ein möglichst wirksamer Schutz gegen unrichtige Verwendung gewährt werden soll und daß im allgemeinen kein schutzwürdiges Interesse Dritter besteht, unrichtige Angaben über die Herkunft zu verwenden (BGH GRUR 1981, 71, 72 – Lübecker Marzipan).
Der vorliegende Sachverhalt weicht jedoch von dem in der angeführten Rechtsprechung zugrunde gelegten Regelfall ab. Im Streitfall kann sich die Beklagte – wie dargelegt – auf erhebliche Interessen berufen. Demgegenüber kann dem Schutzbedürfnis der Verbraucher unter den gegebenen besonderen Umständen kein entscheidendes Gewicht beigemessen werden. Die Beklagte hat zwar anders als im Parallelverfahren I ZR 55/96 nicht auf den Vorder-Etiketten, wohl aber auf den Rück-Etiketten – worauf die Revisionserwiderung in der letzten mündlichen Verhandlung noch einmal ausdrücklich hingewiesen hat – hinreichend deutlich angegeben, daß das in Rede stehende Bier „in unserer neuen PADERBORNER BRAUEREI” gebraut wird. Zwar hat der Senat diesen Hinweis im Vorlagebeschluß vom 2. Juli 1998 – bei seiner insoweit zunächst nur vorläufigen Prüfung – nicht genügen lassen. In der Folgezeit erfolgte jedoch in der Rechtsprechung verstärkt die Hinwendung zu einem gegenüber früher veränderten Verbraucherleitbild. Dies kommt nicht nur in der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften zum Ausdruck (vgl. EuGH, Urt. v. 16.7.1998 – Rs. C-210/96, GRUR Int. 1998, 795 = WRP 1998, 848 – Gut Springenheide; Urt. v. 22.6.1999 – Rs. C-342/97, GRUR Int. 1999, 734, 736 Tz. 26 = WRP 1999, 806 – Lloyd; Urt. v. 13.1.2000 – Rs. C-220/98, GRUR Int. 2000, 354 = WRP 2000, 289, 292 – Lifting-Creme). Auch der Senat geht inzwischen sowohl im Wettbewerbs- als auch im Markenrecht von dem Leitbild des durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers aus, der das fragliche Werbeverhalten mit einer der Situation angemessenen Aufmerksamkeit verfolgt (vgl. zum Wettbewerbsrecht: BGH, Urt. v. 20.10.1999 – I ZR 167/97, GRUR 2000, 619, 621 = WRP 2000, 517 – Orient-Teppichmuster; Urt. v. 17.2.2000 – I ZR 239/97, GRUR 2000, 820, 821 = WRP 2000, 724 – Space Fidelity Peep-Show; Urt. v. 17.5.2001 – I ZR 216/99, Umdr. S. 11 – Mitwohnzentrale.de; zum Markenrecht: BGH, Urt. v. 13.1.2000 – I ZR 223/97, GRUR 2000, 506 = WRP 2000, 535 – ATTACHÉ/TISSERAND; Beschl. v. 27.4.2000 – I ZR 236/97, GRUR 2000, 875, 877 = WRP 2000, 1142 – Davidoff). Der durchschnittlich informierte und verständige Verbraucher, der an zusätzlichen Informationen über ein bestimmtes Bier interessiert ist, weiß, daß er nähere Angaben auch auf den Rück-Etiketten findet. Macht er von dieser Informationsmöglichkeit Gebrauch, kann ihm der Hinweis auf die Braustätte in Paderborn nicht verborgen bleiben. Wie der Senat in seiner Entscheidung im Parallelverfahren betont hat, können verbleibende Fehlvorstellungen des Verkehrs, soweit sie für seine Kaufentscheidung relevant sein können, bei ausreichenden Hinweisen auf die Herkunft vernachlässigt werden. Der Senat ist dabei davon ausgegangen, daß die Relevanz jedenfalls im Rahmen der Interessenabwägung durchaus Bedeutung erlangen kann (BGHZ 139, 138, 146 – Warsteiner II). Zwischen ihr und den Anforderungen an den entlokalisierenden Zusatz kann eine Wechselwirkung bestehen. Bei erheblicher Relevanz sind auch hohe Anforderungen an die Klarheit und Deutlichkeit aufklärender Hinweise zu stellen und umgekehrt. In der im Parallelverfahren ergangenen Entscheidung hat der Senat der Relevanz im Rahmen der Interessenabwägung bereits eine eher geringe Bedeutung beigemessen: Auch wenn man mit der Revision davon ausgehe, daß entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts nicht nur 8 % der Befragten dem mit der Bezeichnung „Warsteiner” verbundenen Hinweis auf den Brauort „Warstein” eine Bedeutung für die Kaufentscheidung beimessen, sondern diese Quote – wie die Revision meine – bei nicht weniger als 12 % der Gesamtbevölkerung bzw. bei nicht weniger als 16 % der „häufigen” Biertrinker liege, könne eine andere Beurteilung nicht Platz greifen (BGHZ 139, 138, 146 – Warsteiner II). Dies gilt auch hier.
III. Danach war die Revision mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Erdmann, v. Ungern-Sternberg, Pokrant, Büscher, Schaffert
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 19.09.2001 durch Walz Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 649965 |
NJW 2002, 600 |
NWB 2001, 4071 |
BGHR 2001, 966 |
BGHR |
EWiR 2001, 1111 |
GRUR 2002, 160 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 2002, 404 |
WRP 2001, 1450 |
Mitt. 2002, 25 |