Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingriff in den Kernbereich der VOB/B bei vorrangiger Geltung vereinbarter Vertragsbedingungen

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des Eingriffs in den Kernbereich der VOB/B durch vorrangig vereinbarte Vertragsbedingungen.

 

Normenkette

AGBG § 9; VOB/B § 13 Nr. 4

 

Verfahrensgang

OLG Nürnberg (Urteil vom 28.10.1999)

LG Nürnberg-Fürth

 

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 28. Oktober 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als hinsichtlich der im Schriftsatz des Klägervertreters vom 10. November 1994 unter Ziff. 1.6.1.1. bis 1.6.1.19 aufgeführten Mängel dadurch zu Lasten der Kläger erkannt worden ist, daß die Klage mit dem Erweiterungsbetrag von 58.324,16 DM (60.001 DM – 1.676,84 DM) abgewiesen und gegenüber dem auf die Widerklage zuerkannten Betrag die Aufrechnung der Kläger als nicht durchgreifend erachtet worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Kläger verlangen Schadensersatz wegen verschiedener Baumängel. Die Beklagte fordert mit der Widerklage restlichen Werklohn.

Die Beklagte errichtete für die Kläger aufgrund Bauvertrages vom 7. Dezember 1990 zu einem Festpreis ein Wohnhaus mit Garage. In dem Vertrag hieß es u.a.:

„Wesentliche Bestandteile dieses Vertrages sind … die VOB Teil B in der jeweils letzten Fassung.”

Der Vertrag sah ferner vor:

„Sonderwünsche sind nur bis zur Werkplanung M 1: 50 möglich und bedürfen einer gesonderten Vereinbarung, die Gegenstand dieses Vertrages wird.”

Schließlich enthielt der Vertrag in § 4 folgende Regelung:

„Die Kündigung ist nur aus wichtigen Gründen möglich. … Ist die Kündigung erfolgt, so sind die ausgeführten Bauleistungen nach Einheitspreisen abzurechnen. Ebenso werden die erbrachten Architektenleistungen nach der HOAI abgerechnet.”

Das Haus wurde am 5. Februar 1992 abgenommen. Der vereinbarte Werklohn wurde bis auf 16.162,90 DM bezahlt, die Gegenstand der Widerklage wurden.

Die Kläger haben Mängel geltend gemacht und im vorliegenden Rechtsstreit zunächst Zahlung von 1.676,84 DM begehrt. Das Landgericht hat die hierauf gerichtete Klage abgewiesen und die Kläger unter Abweisung der Widerklage im übrigen zur Zahlung restlichen Werklohns in Höhe von 15.662,90 DM verurteilt. In ihrer Berufungsbegründung vom 10. November 1994 haben sich die Kläger unter Ziff. 1.6.1.1. bis 1.6.1.19 auf das Vorliegen weiterer, bisher noch nicht vorgebrachter Mängel berufen (im folgenden: weitere Mängel) und hieraus Gewährleistungsansprüche geltend gemacht. Das Berufungsgericht hat das landgerichtliche Urteil dahingehend abgeändert, daß die Kläger lediglich 12.162,90 DM und Zinsen zu zahlen haben. Die bisherige und die erweiterte Klage hat es abgewiesen. Mit ihrer Revision wenden sich die Kläger nach deren Teilannahme noch dagegen, daß die von ihnen behaupteten weiteren Mängel wegen Verjährung nicht zu ihren Gunsten berücksichtigt wurden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat im Umfang der Annahme Erfolg. Sie führt insoweit zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Das für das Schuldverhältnis maßgebliche Recht richtet sich nach den bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Gesetzen (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).

I.

Das Berufungsgericht ist der Meinung, die Parteien hätten die VOB/B einbezogen. Die zweijährige Gewährleistungsfrist sei daher am 5. Februar 1994 abgelaufen, also weit vor Geltendmachung der weiteren Mängel. Ein Organisationsverschulden, das zu einer Verlängerung der regelmäßigen Verjährungsfrist führen könne, liege nicht vor. Schadensersatzansprüche wegen weiterer Mängel seien daher verjährt.

II.

Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg. Die Gewährleistungsansprüche der Kläger wegen der weiteren Mängel sind nicht verjährt.

1. Außer der VOB/B haben die Vertragsparteien weitere von der Beklagten gestellte Vertragsbedingungen vereinbart. Diese vorrangigen Klauseln ändern die Rechtslage, die bei vollständiger Geltung der VOB/B bestehen würde, erheblich ab.

Die Regelung des Bauvertrages, nach der Sonderwünsche nur bis zur Werkplanung M 1: 50 „möglich” sind und einer gesonderten Vereinbarung bedürfen, weicht deutlich von § 1 Nr. 3 VOB/B ab, wonach es dem Auftraggeber vorbehalten bleibt, Änderungen des Bauentwurfs auch nach Vertragsschluß einseitig und ohne Zustimmung anzuordnen.

Der Ausschluß der freien Kündigung in § 4 des Vertrages steht im klaren Gegensatz zu § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B, der das freie Kündigungsrecht des Auftraggebers ausdrücklich vorsieht.

Ferner bestimmt § 4, daß die ausgeführten Bauleistungen im Falle der Kündigung nach Einheitspreisen abzurechnen sind. Damit ist das auch der VOB/B zugrundeliegende Prinzip verlassen, nach dem sich bei einem Pauschalvertrag die Höhe der Teilvergütung nach Kündigung nur nach dem Verhältnis des Werts der erbrachten Teilleistung zum Wert der nach dem Pauschalvertrag geschuldeten Gesamtleistung errechnen läßt. Das gilt in gleicher Weise für die Vertragsklausel, die erbrachte Leistungen nach Vertragskündigungen erstmals der HOAI unterwerfen will.

Insgesamt wird durch diese Vertragsbestimmungen so stark in den Kernbereich der VOB/B eingegriffen, daß diese nicht mehr „als Ganzes” vereinbart ist. Schon deshalb ist die Verjährungsregelung der Inhaltskontrolle nicht entzogen. Ob die den Kernbereich der VOB/B verändernden Vertragsbedingungen ihrerseits wirksam oder etwa nach dem AGBG unwirksam sind, ist insoweit ohne Bedeutung (BGH, Urteil vom 17. November 1994 – VII ZR 245/93, BauR 1995, 234 = NJW 1995, 526 = ZfBR 1995, 77).

2. § 13 Nr. 4 VOB/B hält hinsichtlich der zweijährigen Gewährleistungsfrist der isolierten Inhaltskontrolle nach dem AGBG nicht stand (BGH, Urteil vom 7. Mai 1987 – VII ZR 129/86 = BauR 1987, 438 = ZfBR 1987, 199; Urteil vom 7. Mai 1987 – VII ZR 366/85, BGHZ 100, 391; Urteil vom 29. September 1988 – VII ZR 186/87, BauR 1989, 77 = ZfBR 1989, 28). Da die behaupteten weiteren Mängel Bauwerke betreffen, gilt die fünfjährige Frist des § 638 Abs. 1 BGB.

 

Unterschriften

Dressler, Haß, Wiebel, Kniffka, Bauner

 

Fundstellen

Haufe-Index 891983

DB 2003, 880

NJW 2003, 1321

BGHR 2003, 319

BauR 2003, 296

BauR 2003, 380

IBR 2003, 69

Nachschlagewerk BGH

WM 2003, 1426

ZfIR 2003, 173

MDR 2003, 327

ZfBR 2003, 248

BTR 2003, 135

BrBp 2003, 81

NZBau 2003, 150

IWR 2003, 76

JbBauR 2004, 354

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