Entscheidungsstichwort (Thema)
Willenserklärung. Auslegung. Auslegungsregel. Auslegungsgrundsatz. Wortlaut. Verzicht. Vergleichsverhandlungen. Scheitern
Leitsatz (redaktionell)
Anerkannte Auslegungsregel ist, dass an die Auslegung einer Willenserklärung, die zum Verlust einer Rechtsposition führt, als Verzicht auf diese Position strenge Anforderungen zu stellen sind und i. d. R. eine insoweit eindeutige Willenserklräung erforderlich ist, weil Rechtsverzicht niemals zu vermuten ist. Anerkannter Auslegungsgrundsatz ist ferner, dass Vergleichsverhandlungen unter Aufrechterhaltung der beiderseitigen Rechtsstandpunkte geführt werden und die dabei abgegebenen Erklärungen nach dem Scheitern der Verhandlungen keine Wirkungen mehr haben.
Normenkette
BGB § 133
Verfahrensgang
OLG Dresden (Urteil vom 25.08.2004; Aktenzeichen 11 U 1780/03) |
LG Dresden (Urteil vom 19.09.2003) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 11. Zivilsenats des OLG Dresden v. 25.8.2004 aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Dresden v. 19.9.2003 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die klagende Stadt war Eigentümerin eines mit einem sanierungsbedürftigen Wohn- und Geschäftshaus bebauten Grundstücks. Mit notariell beurkundeter Erklärung v. 11.9.1997 bot die Klägerin dem Beklagten das Grundstück für 374.400 DM zzgl. 1.955 DM Gutachterkosten zum Kauf an. Nach dem Angebot hatte der Beklagte innerhalb von drei Jahren ab dessen Annahme in das Gebäude mindestens 1.323.000 DM zu investieren. Für den Fall der Verletzung dieser Verpflichtung war die Klägerin berechtigt, die Rückübertragung des Grundstücks auf sich zu verlangen. Die Gewährleistung der Klägerin für Sachmängel war ausgeschlossen. Der Beklagte sollte jedoch bis zum 30.3.1998 zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt sein, sofern das Gebäude mit echtem Hausschwamm befallen sei und die Sanierungskosten hierdurch um mehr als 10.000 DM erhöht würden.
Mit notariell beurkundeter Erklärung v. 30.9.1997 nahm der Beklagte das Angebot der Klägerin an. Die Auflassung des Grundstücks erfolgte am 15.10.1997. Zur Sicherung des möglichen Rückübertragungsanspruchs der Klägerin wurde eine Vormerkung in das Grundbuch eingetragen. Mit Schreiben v. 17.3.1998 teilte der Urkundsnotar dem Beklagten den Eintritt der für die Fälligkeit des Kaufpreises vereinbarten Voraussetzungen mit. Der Beklagte leistete keine Zahlung. Im Einverständnis mit der Klägerin nahm er am 5.5.1998 das von dem Notar B. beurkundete Angebot von B. W. und M. B. an, das Grundstück für 550.000 DM zu erwerben. Die Sanierung des Gebäudes sollte nach diesem Angebot durch die W. Wohn- und Gewerbebau GmbH (W.) erfolgen, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Beklagte ist. W. und B. sollten hierfür 1.841.000 DM an die W. zahlen.
Mit Schreiben v. 5. und 29.5.1998 teilte der Beklagte der Klägerin mit, das Dachgebälk des Hauses sei teilweise von Schwamm befallen, bemängelte im Hinblick hierauf den zwischen den Parteien vereinbarten Preis und bat um einen Besprechungstermin. Die Klägerin mahnte den Beklagen am 20.5.1998 zur Zahlung. Mit Schreiben v. 4.6.1998 erklärte ihr Bürgermeister u.a.:
... "Zur Problematik des vermeintlich unangemessenen Kaufpreises erwartet die Stadt R. den Nachweis der tatsächlich getätigten Mehraufwendungen.
Auf der Grundlage dieser Kostenermittlung kann über eine eventuelle Kaufpreisreduzierung verhandelt werden, soweit durch die Mehraufwendungen die Gesamtinvestition i.H.v. 1.323.000 DM überschritten wird.
Die Forderung zur Kaufpreiszahlung (PK Nr. 0022540) aus dem Kaufvertrag UR-Nr. 1./97 betreffend ist die Stadt R. zu folgendem Entgegenkommen bereit:
Die Kaufpreiszahlung wird bis zum Abschluss der Sanierung/Modernisierung des Objektes auf 300.000 DM beschränkt. ...
Ein Ausgleich zwischen dieser Forderung und dem endgültigen Kaufpreis erfolgt zwischen den Parteien auf der Grundlage der von Ihnen beauftragten Mehraufwandsermittlung bei Nachweis der tatsächlichen Gesamtinvestitionskosten, jedoch spätestens 3 Wochen nach dem 30.9.2000." ...
Am 23.6.1998 überwies der Beklagte den Betrag von 300.000 DM an die Klägerin. Mit Schreiben v. 12.10.1998 wandte sich der Notar B. wegen der eingetragenen Rückauflassungsvormerkung an die Klägerin. In ihrer Antwort v. 4.11.1998 erklärte die Klägerin, "den Kaufpreis vorbehaltlich des konkreten Nachweises der Mehrkosten auf 300.000 DM" herabzusetzen. Mit Schreiben v. 1.12.1998 zeigte der Beklagte den Abschluss der Sanierung des Gebäudes und "das Ende der Regelung über die Beschränkung des Kaufpreises" an. In seiner Sitzung v. 27.1.1999 lehnte der Stadtrat der Klägerin eine Herabsetzung des Kaufpreises ab.
Mit der Klage verlangt die Klägerin aus dem Restkaufpreis für das Grundstück 37.835,60 EUR zzgl. Zinsen. Der Beklagte hat widerklagend Schadensersatz i.H.v. 51.133,37 EUR verlangt, die er über den mit der Klage verlangten Betrag hinaus für die Schwammbeseitigung habe aufwenden müssen.
Das LG hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Der Beklagte hat die Abweisung der Widerklage hingenommen und sich mit der Berufung gegen seine Verurteilung gewandt. Das OLG hat der Berufung stattgegeben und die Klage abgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung der Verurteilung des Beklagten zur Zahlung.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht verneint den geltend gemachten Anspruch. Es meint, der Beklagte habe das Schreiben der Klägerin v. 4.6.1998 zu Recht als Angebot verstanden, die Kosten der Schwammbeseitigung bis zu dem Betrag von 74.400 DM von dem Kaufpreis abziehen zu können. Dieses Angebot habe er schlüssig durch die Zahlung des Betrages von 300.000 DM angenommen. Die Auslegung der Erklärung der Klägerin als Angebot, den Kaufpreis für das Grundstück herabzusetzen, werde durch das Schreiben der Klägerin an den Notar B. v. 4.11.1998 bestätigt.
Tatsächlich sei das Gebäude schwammbefallen gewesen. Die Beseitigung des Schwamms habe die Kosten seiner Sanierung um mehr als 42.000 EUR erhöht. Der Mehraufwand sei zwar bei der W. angefallen. I.S.d. Vereinbarung der Parteien, den Kaufpreis für das Grundstück herabzusetzen, sei der Aufwand der W. jedoch einem Aufwand des Beklagten gleichzusetzen.
Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
II.
Die Klägerin kann aus dem Kaufvertrag über das Grundstück den geltend gemachten Betrag von dem Beklagten als Restkaufpreis verlangen. Eine Einigung der Parteien, den Kaufpreis herabzusetzen, ist nicht zu Stande gekommen. Die Auslegung des Schreibens der Klägerin v. 4.6.1998 durch das Berufungsgericht als Angebot, den Kaufpreis für das Grundstück zu reduzieren, ist rechtsfehlerhaft und bindet den Senat daher nicht.
1. Die Auslegung einer Willenserklärung kann im Revisionsverfahren nur beschränkt überprüft werden (st.Rspr., BGH, Urt. v. 20.5.1976 - III ZR 156/74, WM 1976, 977; v. 3.4.2000 - II ZR 194/98, NJW 2000, 2099, m.w.N.), nämlich dahin, ob der Tatrichter die gesetzlichen Auslegungsregeln, die anerkannten Auslegungsgrundsätze, die Denkgesetze und die Erfahrungssätze beachtet und die der Auslegung zu Grunde liegenden Tatsachen ohne Verfahrensfehler festgestellt hat (st.Rspr., BGH v. 23.4.1997 - VIII ZR 212/96, BGHZ 135, 269 [273] = MDR 1997, 721; Urt. v. 29.3.2000 - VIII ZR 297/98, MDR 2000, 968 = NJW 2000, 2508 [2509]). Daran fehlt es.
Anerkannte Auslegungsregel ist es, dass bei der Auslegung einer Willenserklärung von deren Wortlaut auszugehen ist (st.Rspr., BGH v. 10.12.1992 - I ZR 186/90, BGHZ 121, 13 [16] = MDR 1993, 635; Urt. v. 31.1.1995 - XI ZR 56/94, MDR 1995, 563 = NJW 1995, 1212 [1213]; v. 27.11.1997 - IX ZR 141/96, MDR 1998, 441 = NJW 1998, 900 [901]; v. 28.1.2002 - II ZR 385/00, ZfIR 2004, 170). Diese Auslegungsregel wird von dem Berufungsgericht insoweit verletzt, als es dem Passus, dass "über eine eventuelle Kaufpreisreduzierung verhandelt" werden könne, keine Bedeutung zumisst. Mit dieser Wendung ist eine Auslegung grundsätzlich nicht vereinbar, die Klägerin habe angeboten, den Kaufpreis für das Grundstück um die schwammbedingten Mehrkosten für die Sanierung des Gebäudes, höchstens jedoch um 74.400 DM, zu mindern. Eine solche Auslegung missachtet den Wortlaut des Schreibens, nach dem die Klägerin Verhandlungen über eine "eventuelle Kaufpreisreduzierung" angeboten hat.
Anerkannte Auslegungsregel ist weiter, dass an die Auslegung einer Willenserklärung, die zum Verlust einer Rechtsposition führt, als Verzicht auf diese Position strenge Anforderungen zu stellen sind und i.d.R. eine insoweit eindeutige Willenserklärung erforderlich ist, weil ein Rechtsverzicht niemals zu vermuten ist (st.Rspr., BGH, Urt. v. 20.12.1983 - VI ZR 19/82, MDR 1984, 565 = NJW 1984, 1346 [1347]; v. 16.11.1993 - XI ZR 70/93, MDR 1994, 156 = NJW 1994, 379 [380]; v. 22.6.1995 - VII ZR 118/94, MDR 1995, 1011 = WM 1995, 1677 [1678 f.]). Auch dieser Auslegungsregel laufen die Ausführungen des Berufungsurteils zuwider. In dem Kaufvertrag zwischen den Parteien ist die Verpflichtung der Klägerin zur Gewährleistung für Sachmängel des Grundstücks ausgeschlossen. Der Schwammbefall des Gebäudes bedeutete einen solchen Mangel. Das Recht des Beklagten, wegen des Schwammbefalls vom Vertrag zurückzutreten, war mit Ablauf des 31.3.1998 erloschen. Die Klägerin war daher nicht gehalten, dem Beklagen wegen des Schwammbefalls entgegen zu kommen. Eine eindeutige Erklärung der Klägerin, trotzdem auf den Kaufpreis teilweise zu verzichten, fehlt. Ein Grund für einen solchen Verzicht ist weder festgestellt noch erkennbar.
Anerkannter Auslegungsgrundsatz ist schließlich, dass Vergleichsverhandlungen unter Aufrechterhaltung der beiderseitigen Rechtsstandpunkte geführt werden und die dabei abgegebenen Erklärungen nach dem Scheitern der Verhandlungen keine Wirkungen mehr haben (BGH, Urt. v. 23.1.1970 - I ZR 37/68, WM 1970, 548 [549]; v. 8.5.2002 - I ZR 28/00, MDR 2003, 78 = BGHReport 2002, 1057 = NJW-RR 2002, 1433 [1434]). Gegen diesen Grundsatz verstößt die Auslegung des Schreibens der Klägerin durch das Berufungsgericht, in dem es feststellt, die Klägerin habe dem Beklagten durch ihr Schreiben "dem Grunde nach zugesagt", die Kosten der Schwammsanierung bis zur Höhe von 74.400 DM von dem vereinbarten Kaufpreis abziehen zu können. Die Klägerin hat dem Beklagten im Hinblick auf den behaupteten Schwammbefall des Gebäudes angeboten, zunächst nur 300.000 DM für den Kauf des Grundstücks zu bezahlen und wegen ihrer weiter gehenden Forderung abhängig von der Höhe der Mehrkosten nach dem Abschluss der Sanierung in Verhandlungen einzutreten. Damit kann die von der Klägerin erklärte Bereitschaft grundsätzlich nicht als "Zusage dem Grunde nach" ausgelegt werden.
2. Das Schreiben der Klägerin an den Notar B. v. 4.11.1998 führt nicht zu einer anderen Auslegung. Die Erklärung der Klägerin v. 4.6.1998 ist auf der Grundlage dessen auszulegen, was der Beklagte ihr im Juni 1998 entnehmen konnte und nicht anhand einer Äußerung, die die Klägerin fünf Monate später gegenüber einem Dritten gemacht hat.
3. Da weitere Feststellungen nicht in Betracht kommen, ist der Senat zur Auslegung des Schreibens der Klägerin v. 4.6.1998 in der Lage. Die Klägerin hat dem Beklagten angeboten, bis zum Abschluss der Sanierung des Gebäudes den über 300.000 DM hinausgehenden Betrag entgegen ihrer Mahnung v. 20.5.1998 nicht weiter zu verfolgen und nach dem Abschluss der Renovierung des Gebäudes im Hinblick auf etwaige Mehrkosten wegen des Schwammbefalls in Verhandlungen um eine Minderung des Kaufpreises einzutreten. Ein Verzicht der Klägerin auf einen Teil der offenen Kaufpreisforderung ist nicht erfolgt. Die zugesagten Verhandlungen sind mit der entgegenstehen Entschließung des Stadtrats der Klägerin gescheitert. Ein Schaden, dessen Ersatz der Beklagte im Hinblick auf die Verhandlungszusage des Bürgermeisters, die die Willensbildung des Stadtrats übergangen hat, verlangen könnte, ist nicht ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 1445193 |
BGHR 2006, 4 |