Verfahrensgang
Saarländisches OLG (Urteil vom 25.08.2010; Aktenzeichen 5 U 251/10-45) |
Tenor
Die Urteile des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 25. August 2010 – 5 U 241/10-44 und 5 U 251/10-45 – verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit das Oberlandesgericht die Klage der Beschwerdeführer auf Unterlassung folgender Äußerungen ab- und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückwies:
- Die Beschwerdeführer gehörten einer Seilschaft für Fördermittelveruntreuung an,
- die Beschwerdeführer beabsichtigten, in Ü. ein neues El Dorado für Geldwäsche entstehen zu lassen,
- das A., deren Geschäftsführerin die Beschwerdeführerin zu 1) sei, diene vor allem „der Propaganda und der Veruntreuung großer Mengen von Steuergeldern”,
- die B. in Ü., deren Geschäftsführerin ebenfalls die Beschwerdeführerin zu 1) sei, sei „wichtig zur Wäsche von Steuergeldern in einem unübersichtlichen Gewirr von Firmen”.
Die Entscheidungen werden insoweit aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Saarland hat den Beschwerdeführern die Hälfte ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 EUR (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen zivilgerichtliche Urteile, die den Beschwerdeführern einen Anspruch auf Unterlassung bestimmter Äußerungen versagen. Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).
1. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: der Beklagte) erstellte eine Broschüre mit dem Titel „Organisierte Unverantwortlichkeit – Reader zum Filz zwischen Konzernen, staatlicher Kontrolle, Wirtschaftsförderung und Lobbying deutscher Gentechnik”. In ihr wendet er sich gegen gentechnisch veränderte Agrarprodukte und berichtet über enge personelle Verflechtungen zwischen staatlichen Aufsichtsbehörden, Agrarindustrie und landwirtschaftlicher Forschung. Die Broschüre ist auch im Internet abrufbar.
Die Beschwerdeführerin zu 1) ist Geschäftsführerin zweier Unternehmen, die sich der Erforschung und Nutzung sogenannter „Grüner Gentechnik” verschrieben haben. Das eine, die Firma „A.”, führt in G. (M.) Freisetzungsversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen durch. Das andere, die Firma „B.”, betreibt in Ü. (S.) weitere Versuchsflächen und einen Schaugarten, in dem neu entwickelte Pflanzen vorgeführt werden.
Der Beschwerdeführer zu 2) war von 2002 bis 2006 und von 2008 bis zur Landtagswahl 2011 Abgeordneter im Landtag von S. Er engagiert sich als Vorsitzender des I. e.V. G. für die Verbreitung der „Grünen Gentechnik”. Zu den Mitgliedern dieses Vereins zählen auch Wissenschaftler des L.
Die Broschüre des Beklagten nennt die Beschwerdeführer im Fließtext an mehreren Stellen namentlich und an zwei Stellen unter Beifügung von Fotos als Teil des von ihm beschriebenen „Filzes”. In Bezug auf diese Broschüre begehrten die Beschwerdeführer die Unterlassung folgender oder sinngemäßer zehn Äußerungen:
a. Die Beschwerdeführer beabsichtigten „Steuermittel in eine Zentrale für Gentechnikpropaganda und undurchsichtige Firmengeflechte zu verschieben”,
b. die Beschwerdeführer gehörten einer Seilschaft für Fördermittelveruntreuung an,
c. die Beschwerdeführer beabsichtigten, in Ü. ein neues El Dorado für Geldwäsche entstehen zu lassen,
d. die Beschwerdeführer seien rücksichtslos und profitorientiert,
e. die Beschwerdeführer sackten für ihre dubiosen Firmenkonstrukte umfangreiche Firmen- und Steuergelder ein,
f. die Beschwerdeführer seien Angehörige einer Gentechnikmafia,
g. das A., deren Geschäftsführerin die Beschwerdeführerin zu 1) sei, diene vor allem „der Propaganda und der Veruntreuung großer Mengen von Steuergeldern”,
h.- die B. in Ü., deren Geschäftsführerin ebenfalls die Beschwerdeführerin zu 1) sei, sei „wichtig zur Wäsche von Steuergeldern in einem unübersichtlichen Gewirr von Firmen”,
i. der Beschwerdeführer zu 2) sei der „Macher aus dem I.-Filz in G.”,
j. der Beschwerdeführer zu 2) habe Demonstranten „gekauft”.
2. Das Landgericht Saarbrücken untersagte dem Beklagten, die genannten oder sinngemäße Äußerungen aufzustellen und zu verbreiten. Es führte jeweils zur Begründung an, dass die fraglichen Äußerungen teils Tatsachenbehauptungen beinhalteten, deren Wahrheit vom Beklagten nicht nachgewiesen worden sei, und teils die Grenze zur Schmähkritik überschritten.
3. Auf Berufung des Beklagten änderte das Oberlandesgericht mit den angegriffenen Entscheidungen die Urteile des Landgerichts und wies die Klage ab.
Die Bezeichnung des Beschwerdeführers zu 2) als „Macher” sei nicht herabwürdigend. Folglich läge diesbezüglich bereits kein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vor. Hinsichtlich der übrigen Äußerungen genieße die Meinungsfreiheit Vorrang gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführer. Einzig der Vorwurf, der Beschwerdeführer zu 2) habe Demonstranten gekauft, sei als Tatsachenbehauptung zu qualifizieren. Die übrigen Aussagen stellten sich schwerpunktmäßig als Meinungsäußerungen dar, die aufgrund ihres wertenden Charakters einer Prüfung auf Richtigkeit oder Wahrheit nicht unmittelbar zugänglich seien. Zwar beinhalteten die fraglichen Äußerungen auch tatsächliche Elemente. Diese seien jedoch derart eng mit den wertenden Aussagen verbunden, dass sie nicht aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert betrachtet werden dürften. Andernfalls würde das Grundrecht auf Meinungsfreiheit unzulässig verkürzt. Im Übrigen sei die Richtigkeit einer Reihe solcher verbundener Tatsachenbehauptungen gar nicht in Zweifel gezogen worden. Insbesondere hätten die Beschwerdeführer weder ihr verantwortliches Mit- und Zusammenwirken bei mehreren Projekten des Einsatzes von Gentechnik in der Agrarwirtschaft noch die vom Beklagten geschilderten Einzelheiten bezüglich Förder- und Forschungsmitteln, die im Zusammenhang mit diesen Projekten geflossen seien, bestritten. Soweit der Beklagte den Beschwerdeführern eine „Veruntreuung großer Mengen von Steuergeldern”, eine „Verschiebung von Steuermitteln in undurchsichtige Firmengeflechte” und „Geldwäsche” vorwerfe, sei dies eine Schlussfolgerung aus der Schilderung der unternehmerischen Tätigkeit der Beschwerdeführer und der Praxis bei der Vergabe von Förder- und Forschungsmitteln. Diese qualifiziere er als Verdachtsmomente für eine sachlich nicht gerechtfertigte Inanspruchnahme von Steuergeldern. Der juristisch nicht versierte Beklagte habe indes erkennbar nicht die Absicht gehabt, den Beschwerdeführern die Verwirklichung der Straftatbestände der §§ 261, 266 StGB zu unterstellen.
Die genannten Meinungsäußerungen seien zwar fraglos geeignet, die Beschwerdeführer in ihrer beruflichen Ehre zu beeinträchtigen. Sie überschritten indes noch nicht die Grenze zur Schmähkritik. Auch handele es sich weder um Formalbeleidigungen noch um einen Angriff auf die Menschenwürde der Beschwerdeführer.
In der Abwägung der Meinungsfreiheit mit den Persönlichkeitsrechten der Beschwerdeführer genieße erstere hier den Vorrang. Insbesondere Formulierungen wie „Gentechnikmafia” und „Seilschaften bei Fördermittelveruntreuung” seien zwar massive Beeinträchtigungen der persönlichen Ehre. Die Beschwerdeführer seien jedoch nicht in erster Linie als Privatpersonen sondern als Unternehmer, die in dieser Eigenschaft auch öffentliche Gelder in Anspruch nähmen, betroffen. Deshalb – aber auch weil der Einsatz von Gentechnik in der Agrarwirtschaft von besonderem öffentlichen und gesellschaftspolitischen Interesse sei – müssten die Beschwerdeführer in einer öffentlichen Auseinandersetzung scharfe Kritik hinnehmen. Selbst drastische Vergleiche („Gentechnikmafia”) oder ironisch-sarkastische Formulierungen („El Dorado für Geldwäsche”) seien hier zulässig, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Der Beklagte hätte auch nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit weniger scharfe oder sachlichere Formulierungen wählen müssen. In der Diskussion um ein Thema von öffentlichem Interesse müsse es erlaubt sein, sich derart Gehör zu verschaffen, dass der eigene Standpunkt möglichst wirksam vertreten würde.
Die Äußerung, der Beschwerdeführer zu 2) habe Demonstranten „gekauft”, sei hingegen eine Tatsachenbehauptung, die dieser nicht bewiesen habe. Der Beweis obliege hier entgegen der generellen Beweislastregel des § 186 StGB ausnahmsweise dem Beschwerdeführer zu 2). Denn der Beklagte nehme berechtigte Interessen des Umwelt- und Verbraucherschutzes wahr. Hierbei sei er auch mit der gebotenen Sorgfalt vorgegangen. Er habe sich nicht nur auf seine eigene unbestrittene Wahrnehmung gestützt, sondern eidesstattliche Versicherungen Dritter vorgelegt, die eine Bezahlung von Demonstranten durch den Beschwerdeführer zu 2) bestätigten.
4. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.
a) Bei den Behauptungen des Beklagten, das „A.” diene der „Veruntreuung großer Mengen von Steuergeldern” und die Beschwerdeführer beabsichtigten, „weiter Steuermittel in eine Zentrale für Gentechnikpropaganda und undurchsichtige Firmengeflechte zu verschieben” handele es sich um Tatsachenbehauptungen, zumindest aber um Äußerungen mit einem tatsächlichen Kern, die unwahr seien und somit den Tatbestand des § 186 StGB erfüllten. Auch die Behauptung, die Beschwerdeführer sackten als Beteiligte der „B.” „für ihre dubiosen Firmenkonstrukte umfangreiche Firmen- und Steuergelder ein”, enthalte eine Tatsachenbehauptung, die unzutreffend sei.
b) Bei den übrigen Äußerungen handele es sich um unzulässige Schmähkritik. Im Vordergrund stehe nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Beschwerdeführer. Die Begriffe „Veruntreuung großer Mengen von Steuergeldern”, „Fördermittelveruntreuung”, „Wäsche von Steuergeldern”, „neues El Dorado für Gentechnik und Geldwäsche”, „rücksichtslos und profitorientiert”, „Einsacken umfangreicher Firmen- und Steuergelder für dubiose Firmenkonstrukte” sowie „Machtübernahme der Gentechnikmafia” richteten sich nicht gegen die Gentechnik als solche, sondern gegen die Personen der Beschwerdeführer.
c) Mit Blick auf den Vorwurf, der Beschwerdeführer zu 2) habe Demonstranten „gekauft”, läge der vom Oberlandesgericht vorgenommenen Beweislastumkehr bei § 186 StGB eine unhaltbare Auslegung des Art. 5 Abs. 1 GG zugrunde.
5. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens hat sich zu der Verfassungsbeschwerde geäußert. Die Justizbehörde der Regierung des Saarlandes hat keine Stellungnahme abgegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG teilweise zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG teilweise offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, soweit sie Äußerungen zulassen, in denen gegen die Beschwerdeführer der Vorwurf der Geldwäsche und der Veruntreuung von Fördermitteln und Steuergeldern erhoben wird.
1. Die Entscheidungen berühren den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführer.
Das in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht ergänzt die im Grundgesetz normierten Freiheitsrechte und gewährleistet die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen (vgl. BVerfGE 54, 148 ≪153≫). Hierzu gehört der Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen der Person, insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken (vgl. BVerfGE 114, 339 ≪346≫ m.w.N.). Soweit gerichtliche Entscheidungen persönlichkeitsrelevante Aussagen zulassen, gegen die sich der Betroffene mit der Begründung wehrt, sie seien falsch, ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht berührt (vgl. BVerfGE 114, 339 ≪346 f.≫). Die vier Äußerungen b, c, g, h, die Beschwerdeführer würden Gelder „waschen”, Steuer- und Fördergelder veruntreuen und seien Teil eines „El Dorados für Geldwäsche” sind geeignet, das soziale und politische Ansehen der Beschwerdeführer zu schmälern, wie das Oberlandesgericht selbst zutreffend herausstellt. Die Entscheidungen des Oberlandesgerichts berühren daher deren allgemeines Persönlichkeitsrecht.
2. Durch die Urteile des Oberlandesgerichts wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführer teilweise verletzt. Soweit das Oberlandesgericht die gegenüber den Beschwerdeführern nachteiligen vier Äußerungen b, c, g, h nicht beanstandet, hält sich dies nicht mehr im fachgerichtlichen Wertungsrahmen.
a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann zivilrechtlich grundsätzlich durch einen Anspruch auf Unterlassung beeinträchtigender Äußerungen gemäß § 1004 Abs. 1 und § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 186 StGB durchgesetzt werden. Die Belange der Meinungsfreiheit finden hierbei vor allem in § 193 StGB Ausdruck, der bei der Wahrnehmung berechtigter Interessen eine Verurteilung wegen ehrverletzender Äußerungen ausschließt und – vermittelt über § 823 Abs. 2 BGB, sonst seinem Rechtsgedanken nach – auch im Zivilrecht zur Anwendung kommt (vgl. BVerfGE 114, 339 ≪347≫). Diese Vorschriften tragen dem Umstand Rechnung, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht vorbehaltlos gewährleistet ist. Nach Art. 2 Abs. 1 GG wird es durch die verfassungsmäßige Ordnung einschließlich der Rechte anderer beschränkt. Zu diesen Rechten gehört auch die Freiheit der Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Auch diese ist nicht vorbehaltlos garantiert. Sie findet nach Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen und in dem Recht der persönlichen Ehre.
Bei der Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften müssen die zuständigen Gerichte die betroffenen Grundrechte interpretationsleitend berücksichtigen, damit deren wertsetzender Gehalt auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪205 ff.≫; 85, 1 ≪13≫; stRspr). In Fällen der vorliegenden Art ist eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch die Untersagung der Äußerung andererseits vorzunehmen. Das Ergebnis dieser Abwägung lässt sich wegen der Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls nicht generell und abstrakt vorausbestimmen. Doch hat das Bundesverfassungsgericht eine Reihe von Kriterien entwickelt, die bei der Abwägung maßgeblich sind. Dabei spielt auch der Unterschied zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen eine Rolle. Insbesondere fällt bei Tatsachenbehauptungen ihr Wahrheitsgehalt ins Gewicht, der für reine Werturteile irrelevant ist. An der Aufrechterhaltung und Weiterverbreitung herabsetzender Tatsachenbehauptungen, die unwahr sind, besteht unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Interesse (vgl. BVerfGE 61, 1 ≪8≫; 94, 1 ≪8≫). Wahre Aussagen müssen dagegen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind (vgl. BVerfGE 99, 185 ≪196≫).
Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen grundsätzlich dem Beweis zugänglich (vgl. BVerfGE 90, 241 ≪247≫; 94, 1 ≪8≫). Das gilt auch für Äußerungen, in denen tatsächliche und wertende Elemente einander durchdringen. Bei der Abwägung fällt dann die Richtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (vgl. BVerfGE 90, 241 ≪248 f.≫; 94, 1 ≪8≫).
Die Einstufung einer Äußerung als Werturteil oder Tatsachenbehauptung durch die Fachgerichte wird wegen ihrer Bedeutung für den Schutzumfang des Grundrechts sowie für die Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern vom Bundesverfassungsgericht nachgeprüft (vgl. BVerfGE 82, 272 ≪281≫; 94, 1 ≪8 f.≫). Es hat dabei allerdings nur die Beachtung der verfassungsrechtlichen Anforderungen zu gewährleisten. Dagegen ist es nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, den jeweiligen Rechtsstreit, der trotz des grundrechtlichen Einflusses seine Eigenart als Zivil- oder Strafverfahren nicht verliert, selbst zu entscheiden (vgl. BVerfGE 94, 1 ≪9 f.≫).
b) Die angegriffenen Urteile werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht vollumfänglich gerecht. Das Oberlandesgericht geht zwar von den verfassungsrechtlichen Maßstäben aus und legt sie zugrunde. Es setzt sich differenziert mit den zehn angegriffenen Äußerungen auseinander und analysiert sie in Bezug auf ihre Qualifizierung als Werturteil oder Tatsachenbehauptung, ordnet sie überwiegend als Meinungsäußerungen ein, verneint das Vorliegen von Schmähkritik und wägt schließlich die Meinungsfreiheit des Beklagten gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführer ab.
aa) Hinsichtlich der Äußerungen a, d, e, f, i und j hält sich diese Abwägung im fachgerichtlichen Wertungsrahmen und wird die Verfassungsbeschwerde nicht angenommen. Von einer weiteren Begründung wird insoweit abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
bb) Zu beanstanden ist demgegenüber die Abwägung hinsichtlich der Äußerungen b, c, g und h.
(1) Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet dabei allerdings, dass das Oberlandesgericht die vier Äußerungen insgesamt als Meinungsäußerungen einordnet. Zutreffend erkennt das Oberlandesgericht, dass die Äußerungen zwar auch tatsächliche Elemente beinhalten, diese jedoch derart eng mit den wertenden Aussagen verbunden sind, dass sie nicht aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert betrachtet werden dürfen.
(2) Zutreffend wertet das Oberlandesgericht die beanstandeten Äußerungen auch nicht als Schmähkritik. Zwar mögen die Äußerungen wegen ihrer groben Polemik in einem umgangssprachlichen Sinne als Schmähungen bezeichnet werden. Verfassungsrechtlich jedoch ist die Schmähung eng definiert. Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪294≫). Eine Schmähkritik ist dadurch gekennzeichnet, dass nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 82, 272 ≪284≫). Dies ist hier nicht ersichtlich. Dem Beklagten geht es um die Auseinandersetzung in Bezug auf ein Sachthema. Ihm geht es darum, auf die aus seiner Sicht bestehenden Gefahren der Gentechnik in der Agrarwirtschaft aufmerksam zu machen. Der Beklagte kritisiert die Beschwerdeführer in ihrer Eigenschaft als Unternehmer, die öffentliche Gelder zur Erforschung und Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen empfangen oder empfangen haben und sich für eine Verbreitung der „Grünen Gentechnik” einsetzen. Es ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführer im Fließtext der 31-seitigen Broschüre neben anderen erwähnt werden, zwar an mehreren Stellen und mit Fotos, jedoch nicht derart, dass eine Diffamierung ihrer Personen im Vordergrund stünde.
(3) Das Oberlandesgericht überschreitet jedoch den fachgerichtlichen Wertungsrahmen, indem es hinsichtlich dieser vier Äußerungen die Meinungsfreiheit überwiegen lässt. Es übersieht dabei, dass die Äußerungen insoweit einen Tatsachenkern haben, auf dessen Erweislichkeit seitens des Äußernden es maßgeblich ankommt.
Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪295≫). Zwar legt das Oberlandesgericht in nicht zu beanstandender Weise dar, dass von einem durchschnittlichen Leser unter „Geldwäsche” und „Veruntreuung” nicht die Verwirkung rechtlich präzise bestimmter Straftatbestände verstanden werden muss. Jedoch entnimmt der Durchschnittsleser diesen Äußerungen zumindest, dass die Mittelverwendung in irgendeiner Weise rechtswidrig, wenn nicht sogar strafbar ist.
Indem das Oberlandesgericht der Frage der Richtigkeit oder Unrichtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts der vier Äußerungen nicht hinreichend nachgegangen ist, hat es verkannt, dass die Beantwortung dieser Frage Einfluss auf den Abwägungsvorgang hat und kam deshalb zu einem fehlerhaften Abwägungsergebnis.
3. Die Entscheidungen beruhen auf dem aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehler und sind insoweit aufzuheben. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.
4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführer beruht auf § 34a Abs. 2, 3 BVerfGG.
5. Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG.
Unterschriften
Kirchhof, Eichberger, Masing
Fundstellen
Haufe-Index 2909295 |
NJW 2012, 1643 |