Verfahrensgang
LG Frankfurt (Oder) (Beschluss vom 18.09.2006; Aktenzeichen 15 T 84/05) |
LG Frankfurt (Oder) (Beschluss vom 17.05.2006; Aktenzeichen 15 T 84/05) |
AG Frankfurt (Oder) (Beschluss vom 20.07.2005; Aktenzeichen 2.6 C 309/05) |
AG Frankfurt (Oder) (Beschluss vom 14.06.2005; Aktenzeichen 2.6 C 309/05) |
Tenor
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 14. Juni 2005 – 2.6 C 309/05 – und der Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 17. Mai 2006 – 15 T 84/05 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Frankfurt (Oder) zurückverwiesen.
2. Damit ist der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. Juli 2005 – 2.6 C 309/05 – gegenstandslos.
3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
4. Das Land Brandenburg hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
5. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 EUR (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage der Beschwerdeführerin gegen ihre Hausbank auf Rückgängigmachung von Belastungsbuchungen auf ihrem Girokonto.
I.
1. Die Beschwerdeführerin unterhält bei der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens ein Girokonto, für das ihr eine bis zum Jahresende 2004 gültige EC-Karte mit zugehöriger persönlicher Geheimzahl („PIN”) zur Verfügung stand. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Antragsgegnerin sahen zur Frage einer Haftung für Schäden durch eine missbräuchliche Kartenverwendung vor, dass der Kontoinhaber den Schaden in vollem Umfang zu tragen hat, wenn die Antragsgegnerin ihre Verpflichtungen erfüllt und der Karteninhaber seine Pflichten grob fahrlässig verletzt habe, er insbesondere die persönliche Geheimzahl auf der Karte vermerkt, mit ihr verwahrt oder einer anderen Person mitgeteilt habe und der Missbrauch dadurch verursacht worden sei.
Von dem Konto der Beschwerdeführerin wurden am 8., 9. und 10. November 2004 an unterschiedlichen Geldautomaten an ihrem Wohnort, die nicht durch Videokameras überwacht wurden, Geldbeträge in Höhe von 1.000 EUR, 1.000 EUR und 570 EUR abgehoben; die Gesamtsumme entsprach annähernd dem Guthabenstand des Girokontos zuzüglich der eingeräumten Überziehungslinie. Die Beträge wurden dem Girokonto belastet. Auf Nachfrage der Beschwerdeführerin zum Grund der Abbuchungen teilte die Antragsgegnerin mit, dass der Beschwerdeführerin aufgrund der ablaufenden Gültigkeit ihrer bisherigen EC-Karte am 27. Oktober 2004 eine Nachfolgekarte per Post zugesandt worden sei. Im Zuge der Kartenerneuerung sei keine neue PIN vergeben und übermittelt worden; vielmehr habe die bisherige Geheimzahl ihre Gültigkeit für die neue Karte behalten. Die beanstandeten Abhebungen seien mit der neuen Karte unter Eingabe der zutreffenden Geheimzahl vorgenommen worden. Zu Fehlversuchen bei der Eingabe sei es nicht gekommen.
2. Im Ausgangsverfahren beantragte die Beschwerdeführerin vor dem Amtsgericht Prozesskostenhilfe für die Erhebung einer Klage gegen die Antragsgegnerin, gerichtet auf Rückgängigmachung der Kontobelastungen in Höhe von 2.570 EUR sowie einer weiteren Abbuchung in Höhe von 5,11 EUR, die von der Antragsgegnerin für die Kartensperrung veranlasst worden war. Die Beschwerdeführerin trug vor, die neue EC-Karte nicht erhalten und die Abhebungen nicht veranlasst zu haben. Sie bestritt, dass die Nachfolgekarte tatsächlich an sie versandt worden sei. Ferner berief sie sich auf Unregelmäßigkeiten in ihren Kontoauszügen, welche nach ihrer Auffassung darauf hindeuteten, dass die Ersatzkarte schon vor der behaupteten Versendung gebraucht worden sei, sowie auf den Umstand, dass sie im zeitlichen Zusammenhang mit der behaupteten Versendung ihre ursprüngliche Karte unter Verwendung der Geheimzahl eingesetzt habe. Die Antragsgegnerin trug vor, dass die übersandte Karte ohne Kenntnis der PIN aufgrund von Sicherungsvorrichtungen nicht habe eingesetzt werden können.
Mit Beschluss vom 14. Juni 2005 lehnte das Amtsgericht den Prozesskostenhilfeantrag mangels Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung ab. Ein Anspruch, die Belastungsbuchungen rückgängig zu machen, bestehe nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht. Gegen die Beschwerdeführerin spreche ein Beweis ersten Anscheins, dass sie ihrer Pflicht zur Geheimhaltung der PIN nicht nachgekommen sei oder die Abhebungen selbst veranlasst habe, da diese mit der neuen EC-Karte unter Verwendung der richtigen Geheimzahl ohne Fehlversuche erfolgt seien. Dieser Geschehensablauf sei typisch für einen vorwerfbaren Verlust der Geheimnummer seitens des Karteninhabers. Der Anschein sei durch die Beschwerdeführerin nicht entkräftet worden; hierzu sei die pauschale Behauptung, dass sich eine unbekannte Person im Organisationsbereich der Antragsgegnerin Kenntnis von der Geheimnummer verschafft und die Beträge abgehoben haben könnte, nicht ausreichend. Das Amtsgericht berief sich zur Begründung seiner rechtlichen Bewertung auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 5. Oktober 2004 – XI ZR 210/03 –, BGHZ 160, 308).
3. Die Beschwerdeführerin beanstandete mit ihrer gegen den amtsgerichtlichen Beschluss gerichteten sofortigen Beschwerde, dass das Amtsgericht unberücksichtigt gelassen habe, dass die verwendete EC-Karte ihr nicht gestohlen oder sonst abhanden gekommen, sondern gar nicht erst zugegangen sei; für einen Beweis ersten Anscheins fehle es daher an einer ausreichenden Grundlage.
Das Amtsgericht half dem Rechtsmittel mit Beschluss vom 20. Juli 2005 nicht ab; das Landgericht wies es mit Beschluss vom 17. Mai 2006 zurück. Ergänzend zu den als zutreffend bezeichneten Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung führte das Landgericht aus, dass es zwar mehrere theoretische Möglichkeiten der Kenntniserlangung von der PIN durch einen Dritten gebe, die streitgegenständlichen Abhebungen aber anders als durch ein grob fahrlässiges Verhalten der Beschwerdeführerin nicht zu erklären seien, weil andere Ursachen bei wertender Betrachtung außerhalb der Lebenserfahrung lägen. Soweit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Möglichkeit eines Ausspähens der Geheimzahl bei Eingabe in einen Geldautomaten, in ein Kartenterminal oder durch technische Manipulationen gegen eine Annahme grober Fahrlässigkeit sprechen könne, liege eine solche Fallgestaltung nicht vor.
Mit Beschluss vom 18. September 2006 wies das Landgericht eine Gehörsrüge und eine Gegenvorstellung der Beschwerdeführerin zurück. Es bemerkte, dass es nicht darauf ankomme, ob die neue EC-Karte tatsächlich versandt worden sei, denn unabhängig hiervon spreche ein Beweis ersten Anscheins für ein grob fahrlässiges Verhalten der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit der Geheimhaltung ihrer Geheimzahl.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer gegen die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und aus Art. 103 Abs. 1 GG.
III.
Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens misst der Verfassungsbeschwerde keine Erfolgsaussicht bei und meint, die Versagung der Prozesskostenhilfe entspreche der fachgerichtlichen Rechtsprechung und sei auch von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Die Landesregierung Brandenburg hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens sind beigezogen.
IV.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe durch die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 14. Juni 2005 und des Landgerichts vom 17. Mai 2006 richtet. Die Annahme ist zur Durchsetzung der verfassungsmäßigen Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Insoweit liegen die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung vor (§ 93c BVerfGG).
1. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu den Anforderungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. BVerfGE 9, 124; 22, 83 ≪87≫; 63, 380 ≪394≫; 78, 104 ≪117 f.≫; 81, 347 ≪357≫). Danach gebietet Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪356≫). So ist zwar verfassungsrechtlich unbedenklich, dass die Gewährung von Prozesskostenhilfe nach § 114 Satz 1 ZPO von einer hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung abhängt. Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf allerdings nicht dazu führen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Prozesskostenhilfeverfahren zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Denn das Prozesskostenhilfeverfahren soll den gebotenen Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern erst zugänglich machen (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪357≫; BVerfGK 1, 111 ≪114≫).
Diesen verfassungsrechtlich gebotenen Zweck der Prozesskostenhilfe haben die Fachgerichte bei Auslegung und Anwendung von § 114 Satz 1 ZPO zu beachten. Den ihnen zukommenden Entscheidungsspielraum überschreiten sie, wenn sie in Verkennung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit die Anforderungen an die Erfolgsaussichten überspannen und der unbemittelten Partei im Verhältnis zur bemittelten die Rechtsverfolgung unverhältnismäßig erschweren. Dies kommt dann in Betracht, wenn dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht seines Begehrens Prozesskostenhilfe vorenthalten wird, obwohl die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer in Ansehung der einschlägigen gesetzlichen Regelung und bereits vorliegenden Rechtsprechung schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪359 f.≫; BVerfGK 2, 279 ≪281≫). Gleiches gilt für den Fall, dass eine entscheidungserhebliche Tatsache zwischen den Parteien im Streit steht und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine durchzuführende Beweisaufnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Lasten des bedürftigen Antragstellers ausgehen würde, oder wenn abzusehen ist, dass der beweisbelastete Antragsgegner für das Vorliegen einer entscheidungserheblichen Tatsache beweisfällig bleiben wird (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 20. Februar 2002 – 1 BvR 1450/00 –, NJW-RR 2002, S. 1069; 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 3. Juni 2003 – 1 BvR 1355/02 –, NJW-RR 2003, S. 1216).
2. Diesen Grundsätzen werden die Entscheidungen zur Versagung von Prozesskostenhilfe nicht gerecht. Die Fachgerichte haben die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der von der Beschwerdeführerin beabsichtigten Klage überspannt. Sie sind ersichtlich davon ausgegangen, dass die ihnen unterbreitete Fallgestaltung in beweisrechtlicher Hinsicht durch obergerichtliche Rechtsprechung bereits geklärt, ihre rechtliche und tatsächliche Beurteilung daher nicht als schwierig oder offen anzusehen ist. Dies trifft indes nicht zu.
a) Richtig ist zwar, dass ein Rückforderungsanspruch der Beschwerdeführerin dann ausscheidet, wenn sie die beanstandeten Abhebungen selbst vorgenommen hat oder ihr ein grob fahrlässiges Verhalten zur Last liegt, welches zu den Automatenverfügungen geführt hat. In diesem Fall steht der Bank ein Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 670, 675 BGB oder ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB gegen den Kunden zu. Im Einklang mit fachprozessualen Grundsätzen und der fachgerichtlichen Rechtsprechung steht auch, dass die – insoweit beweisbelastete – Bank sich zum Nachweis eines derartigen Verhaltens in bestimmten Fällen auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises berufen kann (vgl. BGHZ 160, 308 ≪312≫; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 30. März 2006 – 16 U 70/05 –, NJW-RR 2007, S. 198; Casper, in: MünchKomm BGB, 5. Aufl., § 676h Rn. 34).
Bei einer Automatenabhebung unter Verwendung der EC-Karte und der zugehörigen Geheimnummer obliegt demnach zunächst dem Bankkunden, durch die Darlegung eines atypischen Geschehensablaufes, etwa eines Kartendiebstahls, die Vermutung zu entkräften, dass es sich um eine befugte Abhebung gehandelt habe (vgl. Martinek, in: Staudinger, BGB, 13. Aufl., § 676h Rn. 81 m.w.N.). Soweit demnach von einer missbräuchlichen Kartenverwendung auszugehen ist, spricht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Beweis ersten Anscheins dafür, dass der Karteninhaber seine Pflicht zur Geheimhaltung der Geheimzahl grob fahrlässig verletzt hat, indem er diese auf der EC-Karte vermerkt oder mit ihr verwahrt habe (BGHZ 160, 308 ≪312 ff.≫). Der Karteninhaber kann auch dieser Vermutung durch die Darlegung eines atypischen Verlaufs die Grundlage entziehen, etwa dadurch, dass ihm die EC-Karte in einem näheren zeitlichen Zusammenhang mit einem – dann naheliegend durch einen Dritten ausgespähten – eigenen Gebrauch der PIN entwendet worden sei (BGHZ 160, 308 ≪317 f.≫).
b) Der den Fachgerichten im Ausgangsverfahren unterbreitete Sachverhalt unterschied sich von den bislang entschiedenen Fällen zur Frage einer missbräuchlichen EC-Kartennutzung allerdings in entscheidungserheblichen Punkten. Denn die Beschwerdeführerin war nach ihrem Vorbringen zu keiner Zeit im Besitz der bei den streitgegenständlichen Abhebungen verwendeten EC-Karte. Ihre Behauptung, die von der Antragsgegnerin neu ausgegebene Karte nicht erhalten zu haben, ist im Prozesskostenhilfeverfahren unstreitig geblieben; nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen wäre der Zugang der Karte zudem von der Antragsgegnerin nachzuweisen.
Hiernach konnten die Fachgerichte auf Grundlage der bereits ergangenen Rechtsprechung nicht ohne weiteres von dem Anschein einer von der Beschwerdeführerin selbst veranlassten oder in grob fahrlässiger Weise ermöglichten Bargeldabhebung ausgehen. Der Vermutung einer Eigenabhebung steht als atypischer Umstand schon der fehlende Besitz der Karte entgegen. Ein Anschein für ein vorwerfbares Verhalten der Beschwerdeführerin liegt nach dem Maßstab der herangezogenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 160, 308) gleichfalls nicht vor. Anknüpfungstatsachen für die – schon begrifflich den Karteninhaber betreffende – Beweisregel bilden der ursprüngliche Besitz und nachfolgende Verlust der EC-Karte sowie die Kenntnis des Karteninhabers von der ihm zugewiesenen PIN. Ist der Bankkunde von vornherein nicht im Besitz der Karte, fehlt es an einem maßgeblichen Teil des die Typizität begründenden Sachverhalts; denn für die Vermutung einer unsorgfältigen Aufbewahrung der Geheimzahl zusammen mit der Karte bietet sich keine Grundlage. Hinzu kommt, dass die Fachgerichte die Möglichkeit eines atypischen Verlaufs nicht erörtert haben, wonach ein Dritter sich im Zusammenhang mit der Versendung der Karte in ihren Besitz gebracht und zeitnah hierzu Kenntnis von der Geheimzahl bei ihrem Gebrauch seitens der Beschwerdeführerin erlangt haben könnte.
Soweit die Fachgerichte ein vorwerfbares Verhalten der Beschwerdeführerin allein aus dem Umstand folgern, dass die Abhebungen unter Verwendung der zutreffenden Geheimzahl ohne Fehlversuche vorgenommen wurden, konnten sie sich auch nicht auf anderweitige obergerichtliche Entscheidungen stützen. Ebenso wenig liegt eine gefestigte zivilgerichtliche Rechtsprechung zu vergleichbaren Fallgestaltungen vor, in denen bereits der ursprüngliche Besitz der Karte durch den Bankkunden in Frage steht. So ist verschiedentlich ausgesprochen worden, dass das Risiko eines Kartenmissbrauchs dem Bankkunden ohne nachgewiesenen Erhalt der Karte nicht zuzurechnen sei (vgl. OLG Bamberg, Urteil vom 23. Juni 1993 – 8 U 21/93 –, WM 1994, S. 194 ≪196≫; AG Berlin, Urteil vom 18. Oktober 2001 – 16 C 202/01 –, MDR 2002, S. 654). Demgegenüber soll nach einer von den Fachgerichten im Ausgangsverfahren angeführten Entscheidung des LG Köln (Urteil vom 20. September 1994 – 11 S 338/92 –, WM 1995, S. 976) im Fall einer dem Kartenmissbrauch unmittelbar vorausgehenden, nach Behauptung des Kunden fehlgeschlagenen Versendung einer Ersatzkarte ein Anscheinsbeweis zu Lasten des Bankkunden anzunehmen sein.
c) Die von der konkreten Fallgestaltung aufgeworfenen Rechtsfragen sind damit in der ergangenen Rechtsprechung noch nicht hinreichend geklärt. Sie sind auch im Übrigen nicht einfach oder eindeutig zu beantworten. Das Amts- und das Landgericht hätten daher über sie im summarischen Prozesskostenhilfeverfahren zum Nachteil der Beschwerdeführerin nicht abschließend befinden dürfen.
3. Die Entscheidungen über die Versagung von Prozesskostenhilfe beruhen auf dem dargelegten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Fachgerichte bei Beachtung der sich aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Anforderungen zu einem anderen Ergebnis gelangt wären. Schon deshalb sind die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 14. Juni 2005 und des Landgerichts vom 17. Mai 2006 aufzuheben. Der auf die Anhörungsrüge hin ergangene Beschluss des Landgerichts vom 18. September 2006 ist damit gegenstandslos.
V.
Soweit die Verfassungsbeschwerde sich auch gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 20. Juli 2005 über die Nichtabhilfe auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin hin richtet, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen; insoweit ist sie unzulässig. Von diesem angegriffenen Beschluss geht keine eigenständige Beschwer aus.
VI.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
Der nach § 37 Abs. 2 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren beträgt, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Entscheidung einer Kammer stattgegeben wird, in der Regel 8.000 EUR. Weder die objektive Bedeutung der Sache noch Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit weisen hier Besonderheiten auf, die eine Abweichung veranlassen würden.
Unterschriften
Papier, Bryde, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 2280323 |
NJW 2010, 1129 |
WM 2010, 208 |
WuB 2010, 245 |
VuR 2010, 182 |
VuR 2010, 78 |