Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsbegründung
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG (Zwischenurteil vom 18.07.2001; Aktenzeichen 2 Ss 209/01) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen der formalen Voraussetzungen für eine Revisionsbegründung nach § 345 Abs. 2 2. Alt. StPO und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei durch den Rechtspfleger verursachter fehlerhafter Revisionsbegründung.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt; denn die Verfassungsbeschwerde hat derzeit keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫).
I.
Das Amtsgericht Kiel verurteilte den Beschwerdeführer wegen räuberischen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung. Auf seine Berufung änderte das Landgericht Kiel das erstinstanzliche Urteil ab und verurteilte ihn wegen Diebstahls geringwertiger Sachen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Nötigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10,– DM. Gegen dieses Urteil legte der Beschwerdeführer Revision ein, die er zu Protokoll der Geschäftsstelle begründete. Dazu fertigte er maschinenschriftlich ein Schreiben, das dem Protokoll des Rechtspflegers ohne Änderungen beigefügt wurde. Das vorgelesene, vom Rechtspfleger und dem Beschwerdeführer unterzeichnete Protokoll enthielt lediglich den Zusatz, die Revisionsbegründung sei im Einzelnen besprochen worden. Der Rechtspfleger erklärte zudem unter Bezugnahme auf die Vorschrift des § 345 Abs. 2 StPO, bei der Aufnahme der Revisionsbegründung prüfend und beratend tätig gewesen zu sein.
Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft verwarf das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht die Revision des Beschwerdeführers als unzulässig. Zur Begründung führte das Gericht aus, die Revisionsbegründung verstoße gegen die Formvorschrift des § 345 Abs. 2 StPO, da es sich nicht um ein Protokoll im Sinne dieser Vorschrift handele. Der Rechtspfleger habe sich nicht an der Begründungsgestaltung beteiligt und die Verantwortung hierfür nicht übernommen. Eine umfassende, über die Revisionsbegründung des Beschwerdeführers hinausgehende, für diesen Fall erforderliche Begründung sei nicht erarbeitet worden. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Rechtspfleger über die vorgelegte Revisionsbegründung hinaus eigene Überlegungen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen, angestellt habe. Dazu hätte es gehört, auch die allgemeine Sachrüge zu erheben.
Ermittlungen zur Frage des Zustandekommens des Protokolls stellte das Oberlandesgericht nicht an; auf die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wies es den Beschwerdeführer nicht hin.
II.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verfahrensweise des Oberlandesgerichts als Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 und Art. 19 GG. Er trägt sinngemäß vor, das Gericht habe Fehler des Rechtspflegers zu seinen Lasten gewertet und ihm dadurch das rechtliche Gehör in der Revisionsinstanz abgeschnitten; zugleich werde hierdurch Art. 19 GG verletzt. Weiterhin rügt der Beschwerdeführer, dass das Oberlandesgericht nicht in der Sache entschieden habe und insoweit nicht auf seine Einwände eingegangen sei. Hierin sieht er einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG.
Entscheidungsgründe
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde derzeit unzulässig.
Der Subsidiaritätsgrundsatz fordert, dass ein Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle prozessualen Möglichkeiten ausschöpft, um es nicht zu einem Verfassungsverstoß kommen zu lassen oder um eine geschehene Grundrechtsverletzung zu beseitigen (vgl. BVerfGE 81, 97 ≪102≫). Zu diesen Möglichkeiten gehört auch ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. BVerfGE 42, 252 ≪256≫; 77, 275 ≪282≫). Dieser wäre hier nicht offensichtlich aussichtslos, auch wenn die Wochenfrist des § 45 Abs. 1 StPO bereits verstrichen ist, da dem Beschwerdeführer auch insoweit die Möglichkeit eines Wiedereinsetzungsantrags verbleibt. Die Stellung eines zweifachen Wiedereinsetzungsgesuchs (in die Revisionsbegründungsfrist, um eine formgerechte Revisionsbegründung einreichen zu können, und in die Frist zur Stellung eines Wiedereinsetzungsgesuchs) ist dem Beschwerdeführer auch zumutbar.
1. Die Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG und die Grundsätze fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) erfordern es, in Fällen wie dem vorliegenden den Rechtsbehelf der Wiedereinsetzung für zulässig zu erachten.
a) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet effektiven Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 40, 272 ≪275≫; 84, 34 ≪49≫; 84, 59 ≪77≫; stRspr). Die Gerichte dürfen bei der Auslegung und Anwendung des Verfahrensrechts den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender, Weise erschweren (vgl. BVerfGE 74, 228 ≪234≫; 77, 275 ≪284≫). Hierbei sind sie gehalten, die Grundsätze rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung zu beachten (vgl. BVerfGE 75, 183 ≪190≫; ferner BVerfGE 55, 72 ≪93 f.≫; 69, 126 ≪140≫). Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert in seinem Funktionsbereich auch das Recht auf ein faires Verfahren (vgl. BVerfGE 75, 183 ≪190≫ zur entsprechenden Rechtslage bei Art. 103 Abs. 1 GG). Der Grundsatz fairer Verfahrensdurchführung verwehrt es den Gerichten insbesondere, aus eigenen oder ihnen zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen Verfahrensnachteile für die Beteiligten abzuleiten (vgl. BVerfGE 75, 183 ≪190≫; 78, 123 ≪126≫).
b) Gemäß § 345 Abs. 2 StPO kann die Revision nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle begründet werden. Die Rechtsprechung hat die Vorschrift von jeher dahin ausgelegt, dass sich die Mitwirkung dieser Personen nicht in einer bloßen Beurkundung erschöpfen darf, sondern sie sich an der Begründung gestaltend beteiligen sowie die Verantwortung hierfür übernehmen müssen. Damit sollen die Revisionsgerichte vor einer Überlastung durch unsachgemäßes Vorbringen Rechtsunkundiger bewahrt werden; zugleich soll damit vermieden werden, dass Rechtsmittel rechtsunkundiger Angeklagter schon von vornherein an Formfehlern oder sonstigen Mängeln scheitern (vgl. BGHSt 25, 272 ≪273 f.≫; Kuckein, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Auflage, § 345 Rn. 1).
Diese Zulässigkeitsanforderungen begegnen angesichts der mit ihnen verfolgten bedeutsamen Anliegen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfGE 10, 274 ≪282 f.≫; 64, 135 ≪152 ff.≫). Allerdings kommt dem Rechtspfleger bei der Aufnahme des Protokolls nach § 345 Abs. 2 StPO eine prozessuale Fürsorgepflicht zu, die ihm auferlegt, auf eine sachdienliche Fassung und Begründung der gestellten Anträge hinzuwirken (vgl. Nr. 150 RiStBV; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Auflage, Rn. 195). Kommt er dieser Pflicht etwa aus Unkenntnis nicht nach, so kann die Revision zwar als unzulässig verworfen werden, dies jedoch nur dann, wenn eine Korrektur der Entscheidung, die auf Grund eines dem Angeklagten nicht zurechenbaren Fehlers eines Justizangehörigen ergangen ist, durch die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – von Amts wegen oder auf Antrag – ermöglicht wird (vgl. zur Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsgesuchs in diesem Zusammenhang BGH, Urteil vom 21. November 1991 – 1 StR 552/90 –, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 6 Nachbesserung).
Dass die den förmlichen Anforderungen nicht entsprechende Revisionsbegründung hier nicht auf die Unkenntnis des Rechtspflegers, sondern auf ein Verschulden des Beschwerdeführers zurückzuführen sei, lässt sich der angegriffenen Entscheidung nicht entnehmen; entsprechende Nachforschungen, etwa durch die Einholung einer dienstlichen Erklärung des Rechtspflegers, hat das Oberlandesgericht nicht unternommen. Mangels eines Verschuldens des Beschwerdeführers dürfte die Gewährung von Wiedereinsetzung hier mithin pflichtgemäßem richterlichen Ermessen entsprechen (vgl. BVerfGE 42, 252 ≪257≫).
2. Die Frist zur Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags hat der Beschwerdeführer offensichtlich mangels Kenntnis hiervon versäumt. Auch insoweit kommt aber die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht, da die Fristversäumnis auf der mangelnden Belehrung des Beschwerdeführers über die Möglichkeit eines Wiedereinsetzungsgesuchs beruht. Zwar sehen die Regelungen der §§ 44, 45 StPO eine Belehrung über Möglichkeit, Frist und Form der Wiedereinsetzung nicht vor. Es kann aber dahin stehen, ob es gleichwohl von Verfassungs wegen erforderlich ist, den Gerichtsentscheidungen, mit denen Rechtsmittel wegen nicht frist- oder formgerechter Einlegung als unzulässig verworfen werden, eine Belehrung über die Wiedereinsetzung beizufügen (so Maul, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Auflage, § 45 Rn. 18 m.w.N.). Jedenfalls in den Fällen, in denen der Wiedereinsetzungsgrund – wie vorliegend – in einem den Gerichten zuzurechnenden Fehler liegt, fordert aber der Grundsatz fairer Verfahrensführung eine Belehrung des Betroffenen über die Rechtsbehelfsmöglichkeiten gegen die sich aus dem Fehler ergebende nachteilige Entscheidung. Da die Belehrung hier unterblieben ist, wäre § 44 Satz 2 StPO entsprechend anwendbar und dem Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Wiedereinsetzungsfrist zur Begründung der Revision zu gewähren.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Hassemer, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 660111 |
Rpfleger 2002, 279 |