Verfahrensgang
LG Köln (Beschluss vom 26.05.2011; Aktenzeichen 24 OH 7/06) |
Nachgehend
Tenor
Der Beschluss des Landgerichts Köln vom 26. Mai 2011 – 24 OH 7/06 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Köln zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 EUR (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die Ablehnung einer Berichtigung des Passivrubrums nach § 319 ZPO in einem selbständigen Beweisverfahren.
1. Der Beschwerdeführer beantragte vor dem Landgericht die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gegen seine Nachbarn. Als Antragsgegnerin benannte er:
die Eigentümer der Eigentumswohnanlage …, vertreten durch die Verwalterin Q. VerwaltungsGmbH, …
Das Landgericht führte die Akte unter dem Passivrubrum
Firma Q. Verwaltungs GmbH, Verwalterin d. Eigentümer der Eigentumswohnanlage …, vertr. d. d. GF., …
Von den Beteiligten und dem Gericht wurde in der Folge das Kurzrubrum „P. ./. Q. Verwaltungs GmbH” verwendet.
Nach Abschluss des Beweisverfahrens wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 494a Abs. 1 ZPO eine Frist von sechs Wochen zur Klageerhebung gesetzt. Unter dem im selbständigen Beweisverfahren verwendeten Rubrum erhob er fristgerecht Klage. Die so verklagte Verwalterin bestritt ihre Passivlegitimation. Auch das Amtsgericht wies auf die Notwendigkeit der Parteiidentität hin, sollte das selbständige Beweisverfahren im Klagewege beendet werden.
Der Beschwerdeführer nahm die Klage daraufhin zurück, beantragte beim Landgericht die Berichtigung des Rubrums im selbständigen Beweisverfahren sowie Wiedereinsetzung in die Frist des § 494a Abs. 1 ZPO und erhob Klage gegen die Eigentümergemeinschaft.
a) Den Antrag auf Rubrumsberichtigung wies das Landgericht zurück. Der Beschwerdeführer habe als Antragsgegnerin zwar die Eigentümer, vertreten durch die VerwaltungsGmbH, bezeichnet und zu keinem Zeitpunkt eine Parteiänderung beantragt. Der Antrag sei auch der VerwaltungsGmbH lediglich als Verwalterin zur Stellungnahme zugestellt worden. Nach diesem Zeitpunkt sei sodann aber
der gesamte Schriftverkehr der Parteien und des Gerichtes unter dem Rubrum P. ./. Q. VerwaltungsGmbH geführt worden, so dass jedenfalls im Nachhinein Bedenken aufkommen können, ob der Antragsteller nicht doch die Verwalterin hat in Anspruch nehmen wollen. Von daher sind die Voraussetzungen für eine „offensichtliche” Unrichtigkeit nicht gegeben.
b) Der Rechtsstreit gegen die Eigentümergemeinschaft wurde an das Amtsgericht verwiesen. Für die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag erklärten sich jedoch sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht für unzuständig. Im Verfahren entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bestimmte das Oberlandesgericht das Amtsgericht zum zuständigen Gericht. In dem Beschluss heißt es:
Aufgrund eines Übertragungsfehlers wurde in dem vom Landgericht am 26.09.2006 erlassenen Beweisbeschluss und in der Folge durchgehend als Antragsgegner des selbständigen Beweisverfahrens 24 OH 7/06 die Verwalterin der Wohnungseigentümergemeinschaft, die Q. VerwaltungsGmbH, aufgeführt.
c) Das Amtsgericht wies den Antrag auf Wiedereinsetzung zurück. Im sofortigen Beschwerdeverfahren wies das Landgericht darauf hin, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für den Wiedereinsetzungsantrag nicht ersichtlich sei. Eine Versäumung der gemäß § 494a ZPO gesetzten Frist sei unschädlich, wenn die Klage bis zum Erlass einer Entscheidung über die Kosten im selbständigen Beweisverfahren zugestellt werde; eine solche Kostenentscheidung sei noch nicht ergangen. Der Beschwerdeführer nahm daraufhin die Beschwerde zurück und bat um Zustellung der Klage, die zwischenzeitlich erfolgt ist.
2. Unter Verweis auf die Ausführungen des Oberlandesgerichts beantragte der Beschwerdeführer erneut die Änderung des Rubrums im selbständigen Beweisverfahren. Mit nicht angegriffenem Beschluss vom 19. Mai 2011 wies das Landgericht den Antrag unter dem Rubrum „P. gegen die Eigentümer der Eigentumswohnanlage …” zurück. Neue Gesichtspunkte hätten sich auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des Oberlandesgerichts nicht ergeben.
Der Beschwerdeführer erhob dagegen „Wiederaufnahmebeschwerde analog § 579 Absatz 1 ZPO, hilfsweise in Form einer Anhörungsrüge analog § 321a ZPO respektive einer Gegenvorstellung”. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 26. Mai 2011 wies das Landgericht den Antrag – erneut unter dem Rubrum „P. gegen die Eigentümer der Eigentumswohnanlage …” – zurück. Es fehle an einer „offensichtlichen” Unrichtigkeit im Sinne des § 319 ZPO, zumal der Beschwerdeführer selbst das vom Gericht gewählte Rubrum übernommen habe.
3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Willkürverbots sowie seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz durch den Beschluss vom 26. Mai 2011.
4. Die Antragsgegnerin des selbständigen Beweisverfahrens hat sich zu der Verfassungsbeschwerde nicht geäußert. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen dafür liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
a) Aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG wird als „allgemeines Prozessgrundrecht” der Anspruch auf ein faires Verfahren (BVerfGE 57, 250 ≪275≫; 78, 123 ≪126≫) sowie das Gebot effektiven Rechtsschutzes (BVerfGE 88, 118 ≪123 f.≫) abgeleitet. Das Verfahren muss so gestaltet werden, wie die Parteien des Zivilprozesses es vom Gericht erwarten dürfen. Das Gericht darf sich nicht widersprüchlich verhalten (vgl. BVerfGE 69, 381 ≪387≫), darf aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten (vgl. BVerfGE 110, 339 ≪342≫) und ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet (vgl. BVerfGE 78, 123 ≪126≫ m.w.N.).
b) Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben wird der angegriffene Beschluss nicht gerecht. Unstreitig hat der Beschwerdeführer im selbständigen Beweisverfahren die Eigentümergemeinschaft als Antragsgegnerin bezeichnet, nicht die VerwaltungsGmbH. Ebenfalls unstreitig hat er zu keinem Zeitpunkt eine Parteiänderung beantragt. Vielmehr führte ein Übertragungsfehler des Gerichts zu dem fehlerhaften Rubrum. Dieser Fehler darf dem Beschwerdeführer nicht zum Nachteil gereichen. Das hat das Landgericht offensichtlich missachtet, als es ohne weitere konkrete Anhaltspunkte darauf abgestellt hat, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer nicht doch die VerwaltungsGmbH habe in Anspruch nehmen wollen, nur weil er den allein dem Landgericht zuzurechnenden Fehler nicht korrigiert hat. Auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des selbständigen Beweisverfahrens – namentlich die Entlastung der Gerichte und die Beschleunigung der Verfahren – hätte das Landgericht den von ihm verursachten Fehler durch eine Rubrumsberichtigung beseitigen müssen.
Die Rubrumsberichtigung ist nach einfachem Recht insbesondere zulässig und auf Antrag wie auch von Amts wegen (§ 319 Abs. 1 ZPO) geboten, wenn im Rubrum Unklarheiten bestehen oder falsche Verfahrensbeteiligte genannt sind, während zweifelsfrei feststeht, wer tatsächlich als Partei gemeint ist, es sich also hier nicht im Gewand der Rubrumsberichtigung um einen Parteiwechsel handelt (vgl. BAG, Urteil vom 28. August 2008 – 2 AZR 279/07 –, NJW 2009, S. 1293). Nicht nur hat der Beschwerdeführer die Eigentümergemeinschaft als Antragsgegnerin in der Antragsschrift benannt. Auch aus dem Streitgegenstand – angeblich vom Grundstück der Eigentümergemeinschaft ausgehende Eigentumsverletzungen – folgt, dass Antragsgegnerin nur die Eigentümergemeinschaft sein kann. Es gibt damit keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer „im Nachhinein” statt der Eigentümergemeinschaft die VerwaltungsGmbH hat in Anspruch nehmen wollen.
2. Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Der allgemeine Gleichheitssatz tritt hinter der Garantie effektiven Rechtsschutzes zurück, insofern es um das selbständige Beweisverfahren sowie um Verfahrensnachteile geht, die durch einen Übertragungsfehler des Gerichts verursacht worden sind (vgl. BVerfGE 13, 290 ≪296≫; 64, 229 ≪238 f.≫; 65, 104 ≪112 f.≫; 75, 348 ≪357≫).
3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
4. Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG.
Unterschriften
Kirchhof, Masing, Baer
Fundstellen
Haufe-Index 5086772 |
NJW 2014, 205 |