Verfahrensgang
OLG Köln (Beschluss vom 25.07.2003; Aktenzeichen 22 W 28/03) |
LG Köln (Beschluss vom 26.06.2003; Aktenzeichen 20 O 365/01) |
LG Köln (Beschluss vom 06.06.2003; Aktenzeichen 20 O 365/01) |
Tenor
1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 25. Juli 2003 – 22 W 28/03 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Köln zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
2. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ablehnung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe wegen nicht nachgewiesener Bemühungen um Arbeitsaufnahme.
I.
1. Der derzeit arbeitslose Beschwerdeführer erhob im Juni 2001 Klage auf Ersatz entgangenen Gewinns in Höhe von 1.000.449 DM wegen der Mangelhaftigkeit eines vom ihm gepachteten Hotelobjekts. Mit Urteil vom 21. Januar 2003 erklärte das Oberlandesgericht die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt und verwies die Sache zur Entscheidung über die Höhe des Anspruchs an das Landgericht zurück.
Unter dem 4. Juni 2003 beantragte der Beschwerdeführer beim Landgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und fügte seinem Antrag eine größere Anzahl von Bewerbungsschreiben bei, um seine Bemühungen um Arbeitsaufnahme zu dokumentieren. Mit Beschluss vom 6. Juni 2003 wies das Landgericht den Antrag zurück und führte unter anderem aus, die Voraussetzungen einer Bedürftigkeit im Sinne der §§ 114, 115 ZPO seien nicht nachvollziehbar dargelegt worden. Die mit den Bewerbungsschreiben und den dazugehörigen Ablehnungsschreiben der Unternehmen dokumentierten Bemühungen seien nicht ausreichend.
Der gegen diese Entscheidung eingelegten Beschwerde half das Landgericht nicht ab (Beschluss vom 26. Juni 2003). Das Oberlandesgericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 25. Juli 2003 zurück und führte aus, das Landgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass der nicht realisierte Wert der Arbeitskraft des Beschwerdeführers als einzusetzendes Vermögen im Sinne des § 115 Abs. 2 ZPO zu bewerten sei. Bei unterlassenem Arbeitseinsatz sei von einem fiktiven Einkommen in der bei ordnungsgemäßem Verhalten erzielbaren Höhe auszugehen. Voraussetzung hierfür sei, dass der Antragsteller ohne weiteres auf eine nach der Arbeitsmarktlage mögliche Arbeitsaufnahme verwiesen werden könne. Sprächen die Umstände des Falles für ungenutzte Erwerbsmöglichkeiten, müsse der Antragsteller konkrete Bemühungen um eine Arbeitsaufnahme darlegen und glaubhaft machen. Die vom Beschwerdeführer vorgelegten Bewerbungsschreiben könnten nicht als ausreichende und ernst gemeinte Bemühungen um einen Arbeitsplatz angesehen werden.
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts. Er rügt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG und macht im Wesentlichen geltend, das Oberlandesgericht habe Anforderungen an den Nachweis für eine Bemühung um Arbeitsaufnahme gestellt, die realistisch nicht erfüllbar seien. Selbst wenn man aber davon ausgehe, dass dieser Nachweis nicht erbracht worden sei, habe auf Grund der eigenen Ausführungen des Oberlandesgerichts ein fiktives Arbeitseinkommen angesetzt werden müssen. Dieses fiktive Einkommen sei dann in Relation zu den gesamten Prozessführungskosten zu setzen gewesen. Da dies nicht geschehen sei, seien die Entscheidungen insgesamt nicht mehr nachvollziehbar und damit willkürlich.
3. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und die Gegnerinnen des Ausgangsverfahrens haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts richtet, zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Verfassungsrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) liegen insoweit vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 4, 1 ≪7≫; 62, 189 ≪192≫). Die Verfassungsbeschwerde ist in diesem Umfang auch zulässig und begründet (1.). Soweit sich die Verfassungsbeschwerde darüber hinaus auch gegen die Beschlüsse des Landgerichts wendet, nimmt die Kammer sie nicht zur Entscheidung an. Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG sind insoweit nicht erfüllt, da die Verfassungsbeschwerde in diesem Umfang mangels Zulässigkeit (2.) keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫).
1. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Bedeutung als Willkürverbot. Ein Verfassungsverstoß liegt bei gerichtlichen Entscheidungen unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren Fehler enthalten. Willkürlich ist der Richterspruch erst dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 80, 48 ≪51≫; 86, 59 ≪62 f.≫; 87, 273 ≪278 f.≫; stRspr). So liegt es hier. Der Beschluss des Oberlandesgerichts ist offensichtlich sachwidrig und objektiv willkürlich, ohne dass es auf subjektive Umstände oder ein Verschulden des Gerichts ankäme (zu diesem Maßstab vgl. BVerfGE 58, 163 ≪167 f.≫; 71, 122 ≪136≫; 71, 202 ≪205≫; stRspr).
Nach § 114 ZPO ist – soweit die Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussichten hat und nicht mutwillig erscheint – der Partei Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Das Gericht hat dabei das anzurechnende Einkommen und das einzusetzende Vermögen nach Maßgabe des § 115 Abs. 1 und 2 ZPO zu ermitteln. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist umstritten, ob der nicht realisierte Wert der eigenen Arbeitskraft als Vermögen im Sinne von § 115 Abs. 2 ZPO anzusehen ist. Ein Teil der Rechtsprechung will ein solches fiktives Einkommen nur dann ansetzen, wenn es sonst zu einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe durch arbeitsunwillige Personen käme (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24. Oktober 2003, FamRZ 2004, S. 1120; OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 7. Februar 2000, FamRZ 2001, S. 924; OLG Koblenz, Beschluss vom 8. März 1996, FamRZ 1997, S. 376).
Die gegenteilige Auffassung, die insbesondere vom Oberlandesgericht Köln vertreten wird, geht davon aus, dass ein fiktives Einkommen in der bei ordnungsgemäßem Verhalten erzielbaren Höhe schon dann anzusetzen ist, wenn der Antragsteller ohne weiteres auf eine nach der Arbeitsmarktlage mögliche Arbeitsaufnahme verwiesen werden kann (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 7. März 1998, MDR 1998, S. 1434). Sprechen die Umstände für ungenutzte Erwerbsmöglichkeiten, muss der Antragsteller nach dieser Auffassung konkrete Bemühungen um eine Arbeitsaufnahme darlegen.
Ob diese Bemühungen im vorliegenden Fall nachgewiesen wurden und das Oberlandesgericht die Anforderungen an die Darlegung der Bedürftigkeit überspannt hat, wie es der Beschwerdeführer vorträgt, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die Entscheidung des Oberlandesgerichts verstößt schon deshalb gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot, weil das Gericht entgegen seinen eigenen Ausführungen in dem angegriffenen Beschluss die Ansetzung eines fiktiven Einkommens unterlassen und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe alleine auf Grund der Feststellung abgelehnt hat, dass der Beschwerdeführer keinen hinreichenden Nachweis für die Bemühung um Arbeitsaufnahme erbracht hat.
Dieses Vorgehen steht mit dem Gleichheitsgrundsatz in Gestalt des Willkürverbots ersichtlich nicht in Einklang. Die Vorschrift des § 114 ZPO sieht nach ihrem eindeutigen Wortlaut die Gewährung von Prozesskostenhilfe auch für den Fall vor, dass ein Antragsteller die Prozesskosten mit seinem Einkommen und dem einzusetzenden Vermögen nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Alleine das Vorhandensein von – fiktiv angesetztem oder tatsächlich existierendem – Einkommen oder Vermögen schließt daher eine Bedürftigkeit des Antragstellers nicht aus. Vielmehr kommt es auf die Höhe des einzusetzenden Vermögens im Verhältnis zu den Prozesskosten an. Ob der Anteil an den Gesamtprozesskosten, für den der Beschwerdeführer mit seinem Antrag vom 4. Juni 2003 Prozesskostenhilfe begehrt, von einem fiktiv angesetzten Einkommen gedeckt werden würde, entzieht sich ohne eine nähere Konkretisierung dieses fiktiven Einkommens jeglicher Beurteilung. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Höhe des geltend gemachten und dem Grunde nach bereits vom Oberlandesgericht anerkannten Anspruchs. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts, den Antrag des Beschwerdeführers ohne nähere Ausführungen über die Höhe des anzusetzenden Einkommens abzulehnen, ist rechtlich daher nicht mehr vertretbar.
Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts beruht auf dem festgestellten Verstoß. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Oberlandesgericht bei einem vor Art. 3 Abs. 1 GG standhaltenden Verfahren zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Beschluss gelangt wäre. Die Entscheidung war demnach aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BVerfGG).
Ob die Entscheidung des Oberlandesgerichts unter Verletzung des Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) zustande gekommen ist, bedarf keiner Erörterung, da sie bereits wegen des erfolgten Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG aufzuheben ist.
2. Soweit der Beschwerdeführer der Sache nach auch einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG durch das Landgericht rügt, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da das Vorbringen hinsichtlich der – auf einer weiteren, eigenständigen Begründungsalternative beruhenden – Beschlüsse des Landgerichts nicht den gesetzlichen Substantiierungsanforderungen der § 23 Abs. 1, § 92 BVerfGG entspricht.
3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Gaier
Fundstellen
Haufe-Index 1396549 |
NJW-RR 2005, 1725 |