Mit der Garantie des gesetzlichen Richters will Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG der Gefahr vorbeugen, dass die Justiz durch eine Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird. Es soll vermieden werden, dass durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter das Ergebnis der Entscheidung – gleichgültig von welcher Seite – beeinflusst werden kann (vgl. BVerfGE 17, 294 ≪299≫; 48, 246 ≪254≫; 82, 286 ≪296≫; 95, 322 ≪327≫). Damit sollen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (vgl. BVerfGE 4, 412 ≪416, 418≫; 95, 322 ≪327≫).
Aus diesem Zweck des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgt, dass die Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen Richters dienen, im Voraus so eindeutig wie möglich festlegen müssen, welches Gericht, welcher Spruchkörper und welche Richter zur Entscheidung des Einzelfalls berufen sind. Auch die die gesetzlichen Bestimmungen ergänzenden Regelungen über die Geschäftsverteilung in den jährlich aufzustellenden Geschäftsverteilungsplänen der Gerichte, die die Zuständigkeit der jeweiligen Spruchkörper festlegen und diesen die erforderlichen Richter zuweisen (vgl. BVerfGE 17, 294 ≪299≫; 18, 344 ≪349≫; 95, 322 ≪328≫), müssen die wesentlichen Merkmale gesetzlicher Vorschriften aufweisen. Sie müssen also zum einen der Schriftform genügen und zum anderen im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper und die Zuweisung der einzelnen Richter regeln, damit die einzelne Sache “blindlings” aufgrund allgemeiner, vorab festgelegter Merkmale an den entscheidenden Richter gelangt und so der Verdacht einer Manipulation der rechtsprechenden Gewalt ausgeschlossen wird (vgl. BVerfGE 4, 412 ≪416≫; 82, 286 ≪298≫; 95, 322 ≪329≫).
Das aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgende Gebot, den gesetzlichen Richter so eindeutig und genau wie möglich im Voraus zu bestimmen, schließt Neuregelungen, die das bisherige Recht über den gesetzlichen Richter ändern, nicht aus (vgl. BVerfGE 24, 33 ≪54≫; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 1988 – 1 BvR 155/85 u.a. –, NJW 1989, S. 382 f.). Die Rechtsprechungstätigkeit der Gerichte und ihrer Spruchkörper wird regelmäßig auch mit konkret nicht vorhersehbaren Tatsachen und Ereignissen wie Überlastung, ungenügende Auslastung, Wechsel oder Verhinderung einzelner Richter konfrontiert. Derartigen Umständen kann in den Regelungen zur Bestimmung des gesetzlichen Richters ebenso Rechnung getragen werden (vgl. BVerfGE 17, 294 ≪300≫; 18, 344 ≪349≫; 95, 322 ≪332, 333≫) wie Anforderungen an die Effektivität der Tätigkeit der Rechtsprechungsorgane (vgl. BVerfGE 95, 322 ≪332 oben≫). Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht daher einer Änderung der Zuständigkeit auch für bereits anhängige Verfahren nicht entgegen, wenn die Neuregelung generell gilt, also außer anhängigen Verfahren auch eine unbestimmte Vielzahl künftiger, gleichartiger Fälle erfasst und nicht aus sachwidrigen Gründen geschieht (vgl. BVerfGE 24, 33 ≪54≫; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 1988 – 1 BvR 155/85 u.a. –, NJW 1989, S. 382 ≪383≫; Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Band V, Art. 101 Rn. 24; Degenhardt, in: Sachs, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 101 Rn. 12; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Kommentar zum Grundgesetz, Band III, Art. 101 Rn. 18; Wassermann, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, 3. Auflage, Art. 101 Rn. 16; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, 6. Auflage, Art. 101 Rn. 4).