Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 18.11.2002; Aktenzeichen 3 S 1103/02) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 18. November 2002 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 150 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet. Die in ihr aufgeworfenen Fragen rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
1. Für rechtsgrundsätzlich bedeutsam hält die Beschwerde die Frage, “ob die Gesamtnichtigkeit eines Bebauungsplans wegen eines vermeintlichen im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willens des Gemeinderats auch dann gefolgert werden darf, wenn die sich aus der Gesamtnichtigkeit ergebende Rechtssituation erst recht dem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen widerspricht”. Mit dieser Frage knüpft die Beschwerde an die Ausführungen des Berufungsgerichts an, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Teilnichtigkeit eines Bebauungsplans nur dann nicht zur Ungültigkeit des gesamten Plans führe, wenn die restlichen Festsetzungen auch ohne den nichtigen Teil noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB bewirken könnten und die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch einen Plan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte. Die Beschwerde macht geltend, diese Rechtsprechung bedürfe einer klarstellenden Fortentwicklung. Dem Gericht müsse es in der Rechtskontrolle verwehrt sein, die Gesamtnichtigkeit eines Bebauungsplans anzunehmen, wenn die sich daraus ergebenden Folgen eindeutig und erst recht dem planerischen Willen der Gemeinde widersprechen würden und so “das Kind mit dem Bade ausgeschüttet” würde.
Zur Klärung dieser Frage kann die Revision schon deshalb nicht zugelassen werden, weil die Frage nicht entscheidungserheblich ist. Zwar ist der Beschwerde ohne Bedenken zuzustimmen, dass es bei der Ermittlung des potenziellen Willens der Gemeinde regelmäßig auch darauf ankommen wird, welche planungsrechtliche Situation eintreten würde, wenn der Bebauungsplan – statt nur teilweise – in vollem Umfang unwirksam wäre. Wenn sich ergibt, dass die Gesamtnichtigkeit des Plans erst recht mit den planerischen Vorstellungen der Gemeinde unvereinbar ist, so spricht dies – objektive Teilbarkeit der planerischen Festsetzungen unterstellt – dafür, nur Teilunwirksamkeit des Bebauungsplans anzunehmen. Das Berufungsgericht sieht dies aber auch nicht anders. Es geht keineswegs davon aus, dass im vorliegenden Fall die Gesamtnichtigkeit des Bebauungsplans “erst recht” dem planerischen Willen der beklagten Gemeinde widerspreche. Vielmehr stellt es fest, oberste Priorität habe für den Gemeinderat die Realisierung des Konzepts über das abgestufte Störungspotenzial gehabt; im Interesse der angrenzenden Wohnbebauung habe die Störungsintensität der gewerblichen Nutzung abgestuft eingeschränkt werden sollen (Berufungsurteil S. 14). Die Wertung der Beschwerde, bei Annahme der Gesamtnichtigkeit des Bebauungsplans werde dieses Konzept stärker verletzt als bei einer nur teilweisen Nichtigkeit der planerischen Festsetzungen, teilt das Berufungsgericht nicht. Im Gegenteil führt es – in anderem Zusammenhang – ausdrücklich aus, es seien keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der streitige Verbrauchermarkt, der wegen des Fehlens eines wirksamen Bebauungsplans nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen sei, es an der erforderlichen Rücksichtnahme gegenüber der Wohnbebauung fehlen lasse (Berufungsurteil S. 19). Tatsächlich beurteilt die Beschwerde nur die Frage anders als das Berufungsgericht, ob im vorliegenden Fall das planerische Konzept der Gemeinde bei Annahme der Gesamtnichtigkeit des Bebauungsplans stärker beeinträchtigt wird als bei einer Beschränkung der Nichtigkeit auf einzelne Festsetzungen. Eine rechtsgrundsätzliche Frage wird damit nicht berührt.
2. Nicht erst in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss, dass sich die Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht im Rahmen der inzidenten Normenkontrolle auswirkt. Mit der zeitlichen Beschränkung des Antragsrechts für das Normenkontrollverfahren durch das Sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 1. November 1996 (BGBl I S. 1626) sollte die Befugnis der Verwaltungsgerichte, Normen nach Ablauf der Frist inzident auf ihre Vereinbarkeit mit höherem Recht zu prüfen, nicht angetastet werden (vgl. BTDrucks 13/3993 S. 10). Das entspricht auch ganz allgemeiner Rechtsansicht. Jörg Schmidt, auf den sich die Beschwerde beruft, hat seine gegenteilige Meinung inzwischen aufgegeben (vgl. Eyermann, VwGO, 11. Auflage 2000, § 47 Rn. 74). Auch das Bundesverwaltungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kein Hindernis für eine Inzidentprüfung darstellt (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1999 – BVerwG 4 CN 7.98 – BVerwGE 110, 193 ≪199≫).
Der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage, ob der Gedanke der Verwirkung zur Unzulässigkeit einer Inzidentprüfung führen könne, braucht schon deshalb nicht nachgegangen zu werden, weil die Voraussetzungen einer Verwirkung hier nicht vorliegen. Allein durch Zeitablauf können Rechte nicht verwirken. Weshalb die Kläger gegenüber der Gemeinde zum Handeln verpflichtet gewesen sein sollten – in Betracht käme wohl nur: durch das Stellen eines Normenkontrollantrags –, lässt sich den Feststellungen im Berufungsurteil nicht entnehmen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Den Wert des Streitgegenstandes setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG fest.
Unterschriften
Paetow, Lemmel, Jannasch
Fundstellen