Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Beschluss vom 05.02.1997; Aktenzeichen 14 B 94.3132) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. Februar 1997 wird verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50.000 DM festgesetzt.
Gründe
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den formellen Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Darlegung des geltend gemachten Zulassungsgrundes.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), wenn zu erwarten ist, daß die Entscheidung im künftigen Revisionsverfahren dazu dienen kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. In der Beschwerdebegründung muß deshalb eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufgeworfen und ausformuliert werden, die im Interesse der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung in einem künftigen Revisionsverfahren mit Bedeutung über diesen Einzelfall hinaus geklärt werden könnte (BVerwG, Beschluß vom 2. Oktober 1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ≪91≫, stRspr). Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht.
1. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen, ob „bei der gegebenen Situation” eine Planungspflicht für die Beklagte besteht (§ 1 Abs. 3 BauGB), ob der Klägerin ein Abwehranspruch nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO zusteht und in welcher Mindestentfernung Wohngebäude von einem Industriegebiet genehmigt werden dürfen, beurteilen sich nach den tatsächlichen Umständen des Einzelfalles. Eine Planungspflicht nach § 1 Abs. 3 BauGB besteht nur dann, wenn ein Bebauungsplan nach der planerischen Konzeption der Gemeinde erforderlich ist (BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1971 – BVerwG 4 C 76.68 – Buchholz 406.11 § 2 BBauG Nr. 7). Da die Gemeinde hier ihr Planungsermessen verfolgen darf, entzieht sich die auf die konkrete Situation des Falles zugeschnittene Fragestellung einer allgemeinen, rechtsgrundsätzlichen Klärung durch das Revisionsgericht (vgl. BVerwG, Beschluß vom 24. August 1993 – BVerwG 4 NB 12.93 – ZfBR 1994, 100 ≪101≫). Diese Erwägungen treffen in gleicher Weise auf die zu § 15 BauNVO und die Mindestabstände zwischen Wohn- und Industrienutzung formulierten Fragen zu: Wann bestimmte Nutzungen dem in § 15 BauNVO konkretisierten Rücksichtnahmegebot widersprechen, vermag nicht losgelöst von dem jeweiligen Einzelfall beantwortet zu werden (vgl. BVerwG, Beschluß vom 18. August 1995 – BVerwG 4 B 183.95 – Buchholz 406.12 § 15 BauNVO Nr. 10).
2. Die im Zusammenhang mit dem von der Beklagten nicht weiter betriebenen Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans formulierten Fragen erweisen sich – abgesehen davon, daß sie ebenfalls nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise zu beantworten sind – als nicht entscheidungserheblich. Die Vorinstanzen haben das Vorhaben nicht an dem von der Beklagten (noch) nicht öffentlich bekanntgemachten Bebauungsplan gemessen. Sie haben vielmehr offengelassen, ob sich das Vorhaben bauplanungsrechtlich nach § 34 oder § 35 BauGB beurteilt, haben aber alternativ einen subjektivrechtlichen Abwehranspruch der Klägerin verneint. Damit kommt es auf die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen zur planerischen Ausweisung von Wohn- und Industriegebiet, zur Verpflichtung der Beklagten, einen einheitlichen Bebauungsplan für Gewerbe- und Wohnnutzung aufzustellen und zur Festsetzung eines schmaleren Grüngürtels offensichtlich nicht an. Die Frage, ob die Beklagte verpflichtet war, das Planaufstellungsverfahren durch Veröffentlichung des Bebauungsplans abzuschließen, ist in ihrem abstrakten Kern ohnedies bereits in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt: Wenn eine Gemeinde – aus welchen Gründen auch immer – ein Planaufstellungsverfahren aufgibt, schließt § 2 Abs. 3 BauGB einen individuellen Anspruch auf Fortführung dieses Verfahrens aus (BVerwG, Beschluß vom 3. August 1982 – BVerwG 4 B 145.82 – DVBl 1982, 1096; Beschluß vom 9. Oktober 1996 – BVerwG 4 B 180.96 – UPR 1997, 102). Selbst wenn – wofür nichts ersichtlich ist – die Beklagte gemäß § 1 Abs. 3 BauGB objektiv zur Planaufstellung verpflichtet gewesen sein sollte, ist jedenfalls eine subjektive Rechtsverletzung des Nachbarn allein wegen des Unterbleibens der Planaufstellung ausgeschlossen (BVerwG, Beschluß vom 3. August 1982 – BVerwG 4 B 145.82 – a.a.O.).
3. Die von der Beschwerde angegriffene Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, daß die Klägerin mit ihrem Betrieb bereits auf die vorhandene Wohnbebauung in der Nachbarschaft Rücksicht zu nehmen habe und diese Rücksichtnahme durch das Vorhaben nicht in einer ihr unzumutbaren Weise gesteigert werde, läßt keine Fragen grundsätzlicher Bedeutung erkennen. Konkret wendet sich die Beschwerde dagegen, daß der Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich des Lärmschutzes der bereits vorhandenen Wohnbebauung gegenüber dem Vorhaben der Beigeladenen eine „Präzedenzwirkung” beigemessen habe. Abgesehen davon, daß die Beschwerde insoweit keine Frage rechtsgrundsätzlicher Art aufwirft, sondern sich in der bloßen Kritik an der berufungsgerichtlichen Entscheidung erschöpft, ist die angesprochene Frage bereits in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Der erkennende Senat hat in einem vergleichbaren Fall hervorgehoben, daß sich ein Wohnbauvorhaben in eine durch gewerbliche Nutzung mit Lärmbelästigung und Wohnnutzung geprägte Umgebung einfügt (§ 34 Abs. 1 BBauG), wenn es nicht stärkeren – i.S. eines „Mittelwerts” zumutbaren – Belastungen ausgesetzt sein wird als die bereits vorhandene Wohnbebauung (BVerwG, Beschluß vom 5. März 1984 – BVerwG 4 B 171.83 – NVwZ 1984, 646 ≪647≫).
4. Die von der Beschwerde als grundsätzlich angesehene Frage, ob ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot darin liegt, daß das Vorhaben auf dem Baugrundstück ohne Schwierigkeiten in einem größeren Abstand von dem Betrieb der Klägerin hätte errichtet werden können, geht schon im Ansatz fehl. Die baurechtliche Prüfung ist – im Gegensatz zum Planfeststellungsrecht mit seiner aus dem Abwägungsgebot als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips eröffneten Alternativenprüfung (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 1985 – BVerwG 4 C 15.83 – BVerwGE 71, 166 ≪171 f.≫; Beschluß vom 2. November 1992 – BVerwG 4 B 205.92 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 92 S. 101 ≪104≫) – an das aus dem Bauantrag ersichtliche Vorhaben gebunden. Nachdem das Berufungsgericht festgestellt hat, daß die Wohnbebauung an dem von den Beigeladenen gewählten Standort Nachbarrechte der Klägerin nicht verletzt, kann diese die Baugenehmigung nicht durch einen Hinweis auf ihres Erachtens besser geeignete Alternativstandorte zu Fall bringen (vgl. OVG Münster, Beschluß vom 27. August 1992 – OVG 10 B 3439/92 – NVwZ 1993, 279 ≪280≫).
5. Auch die zur (unterlassenen) Nachbarbeteiligung im Baugenehmigungsverfahren und zur daraus resultierenden Fehlerfolge aufgeworfene Frage genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Mit dieser Frage spricht die Beschwerde irrevisibles Landesrecht (hier: Art. 73 BayBO a.F.) an, an dessen Auslegung durch das Berufungsgericht (hier durch Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO) das Revisionsgericht gebunden ist (vgl. §§ 137 Abs. 1, 173 VwGO, 562 ZPO).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren aufzuerlegen. Zwar haben die Beigeladenen die Zurückweisung der Beschwerde beantragt. Ihr nicht näher begründeter Antrag ist jedoch schon innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist, noch bevor die Klägerin selbst ihre Beschwerde begründet hatte, gestellt worden. Er war deshalb ungeeignet, das Verfahren zu fördern.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 14 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Berkemann, Heeren, Halama
Fundstellen
Haufe-Index 1471284 |
BRS 1997, 529 |
BRS 1998, 529 |